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Georg Scheibelreiter: HÄUPTLINGE UND SCHEIKS

25.06.2022 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

buch karl may~1

Georg Scheibelreiter:
HÄUPTLINGE UND SCHEIKS
Die Figuren in Karl Mays Reise- und Jugenderzählungen
615 Seiten, Böhlau Verlag, 2022

Man hat alles nur Mögliche getan, um Karl May zu diffamieren – den Autor, der Generationen von Jugendlichen abenteuerliche Welten in Amerika und im Nahen Osten und darüber hinaus eröffnet hat. Aber er hat sie doch gar nicht selbst gesehen! ist der wiederkehrende Einwand (bzw. konnte er sich das Reisen erst nach den Einnahmen seiner Bücher leisten). Was macht es, wenn es ihm gelungen ist, sie so zu imaginieren, dass sie für seine treuen Leser real sind?

So ist begreiflich, dass man auch ihm widmet, dessen sonst nur die ganz Großen von Shakespeare bis Goethe für würdig erachtet wurden, nämlich ein Lexikon ihrer Gestalten. Und noch dazu mit einem Umfang von 615 Seiten. Was natürlich nur die eingefleischtesten Fans von A bis Z durchlesen werden (weil sie vermutlich alle Figuren kennen).

Doch auch für die anderen, die nur mit Winnetou durch die Prärie ritten und von Bagdad nach Stambul unterwegs waren, ist es ein herrliches Schmöker-Erlebnis. Abgesehen davon, dass ein Hochglanz-Bildteil nicht nur den Schöpfer (u.a. in seinen Westernheld- und arabischen Posen) zeigt, sondern auch die enorme Popularisierung seines Werks durch Illustrationen, Plakate, Postkarten, Karl-May-Spiele und Filme.

Allerdings wird man mit dem Autor Georg Scheibelreiter feststellen, was der Karl-May-Leser ohnedies weiß, aber nicht so sehr verinnerlicht hat: Es gibt kaum einen Autor, der eine solche Überfülle von Personen kreiert hat wie er, wobei  sich darunter viele Meisterporträts befinden. Für den A bis Z Lexikonteil bedeutet das allerdings eine Überfülle von Figuren mit auf den ersten Blick diffusen Namen, so dass man sich manchmal fragt, ob eine Gliederung nach Buch-Genres (Wilder Westen, Naher Osten, Südamerika usw.) nicht sinnvoller gewesen wäre. Oder zumindest gleich neben dem Namen ein Hinweis, in welchen Büchern die Figur zu fiinden ist.

Dennoch: Tatsache ist, die einzelnen Personen werden ausführlich geschildert, in ihrem Aussehen, in ihren Eigenarten und dann in den Aktionen, die sie in den Büchern setzen, wobei viele von ihnen in vielen Werken vorkommen. Das hat den Nachteil, dass diese Kennzeichnung nur durch römische Zahlen erfolgt – die Werke von „I“ (Durch die Wüste) bis „LXXXI“ (Abdahn Effendi). Nun weiß wiederum nur der Karl-May-Fachmann auf Anhieb, dass „XIV“ Old Surehand ist oder „XXVIII“ Im Reich des silbernen Löwen. Da die Titel ja im allgemeinen nicht so lange sind, wäre dem Leser mehr gedient gewesen, hätte man sie hingeschrieben und wüsste dann ohne wiederum nachschlagen zu müssen, wo man jede Figur findet.

Aber es wäre ungerecht mit dem Autor zu rechten, angesichts der enormen Arbeit, die Georg Scheibelreiter, ehemaliger Professor für mittelalterliche Geschichte und historische Hilfswissenschaften an der Universität Wien hier geleistet hat. Vermutlich hat er alle Jahre seit seinem Ruhestand 2008 benötigt, um dieses lexikalische Monsterwerk fertig zu stellen. In der Einleitung charakterisiert er noch einmal Werk und Leistung von Karl May, den er als typischen Vertreter seiner Zeit darstellt, der die damals selbstverständliche „weiße“ Haltung europäischen  Überlegenheitsgefühls mit Liebe und Verständnis für fremde Kulturen verband.

Renate Wagner

 

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