Georg Biron:
DER HERR UDO
Das wilde Leben des Udo Proksch
152 Seiten, Wieser Verlag, 2021
Vor 20 Jahren, am 27. Juni 2001, ist Udo Proksch in der Haftanstalt Graz Karlau verstorben, wo er eine lebenslängliche Strafe für vielfachen Mord absaß. Nicht gerade eine Persönlichkeit von hohem Wert, der man eine Biographie widmen müsste – abgesehen davon, dass Ingrid Thurnher das schon (mit reichem Dokumentarmaterial versehen) vor zehn Jahren getan hat. Nur, das war klar: Sie hat Udo Proksch nicht persönlich gekannt, und er war ihr als Person herzlich unsympathisch. Da kann der Journalist Georg Biron mit ganz anderen Voraussetzungen aufwarten: Er hat Udo gut gekannt, war sozusagen ein „Spezi“ von ihm, und gemocht hat er ihn auch. Das gibt dem schmale Erinnerungsbüchlein zwanzig Jahre nach dem Tod von Udo seinen eigenen Charakter.
Es ist keine chronologische, gewissenhafte Erzählung, die da geboten wird, es ist gewissermaßen impressionistischer Journalismus (Schwergewicht Biron wird auch als „Reporter“ charakterisiert). Um fast ein Vierteljahrhundert jünger als Proksch, hat er diesen im „Gutruf“ (dem „In“-Treff der damaligen Zeit) kennen gelernt, genaue Zahlen gibt es nicht, es muss aber jedenfalls nach dem „Lucona“-Unglück (23. Jänner 1977) gewesen sein, wo Proksch noch jahrelang davon kam, bevor ihn die Justiz schnappte.
Da hatte sich der Verdacht schon erhärtet. Proksch habe als „Unternehmer“ den Frachter gechartert, eine angeblich darauf transportierte Uranerzmühle hoch versichert, aber eigentlich nur wertlosen Schrott eingelagert – und dann habe man das Schiff irgendwo im Nirgendwo des Indischen Ozeans explodieren lassen, wobei sechs Menschen ums Leben kamen, und sei um die Versicherungssumme eingekommen…
Nun, Proksch hat den kriminellen Akt immer geleugnet, geglaubt hat es ihm kaum einer, Biron war einer der wenigen, die ihm die Stange hielten. Er war es auch, der dem Udo nach Manila nachgereist ist, als dieser sich absetzte und meinte, im Fernen Osten (mit neuem Gesicht) ein neues Leben beginnen zu können…
Das alte Leben war bunt genug gewesen, auch blöd genug, was Biron nicht schön schreiben kann und will. Aber der Scharlatan war ja doch ein genialer Manipulator, verkaufte sich erst als Künstler und Designer, dem jeder Blödsinn einfiel, Hitler-Puppen als Watschenmann und Senkrecht-Bestattung. Dann verkaufte er sich als Netzwerker und Frauenheld, wobei er immerhin so Hochrangiges wie Erika Pluhar und eine Tochter aus dem Bayreuther Wagner-Clan in seine Netze zog.
Das Interessanteste an Birons Buch ist der Einblick in Wiener Polit-Verhältnisse, den er aus erster Hand bekommen hat, war er doch in der „Blase“ des Udo Proksch, der in seiner Eigenschaft als Chef des legendären Wiener Demel die ganze „rote“ Wiener Polit-Prominenz bei sich versammelte (Vranitzky, Sinowatz, Androsch, Gratz, Blecha, Heinz Fischer, Zilk, Lütgendorf…). Dass er im Hinterzimmer auch ein Puff betrieb und die Herren filmte und fotografierte, ist Tatsache und ihm später nicht gut bekommen. Im übrigen lief da alles Mögliche.
Und es ist interessant für uns heute, ein paar Jahrzehnte später, wo man sich so sehr über die „Moral“ und Machenschaften der Politiker entrüstet, zu lesen, wie locker-unmoralisch es damals zuging. So soll der in der Erinnerung schon heilig gesprochene Bruno Kreisky ohne Probleme Waffenlieferungen in den Nahen Osten gebilligt haben – an beide Seiten. „Macht’s es unter der Tuchent – und lasst’s euch ned erwischen“, zitiert Biron den großen Staatsmann. Udo war bei den Waffen-Deals natürlich dabei (und ging, als berüchtigter Waffen-Narr, stets mit geladener Pistole herum). Und am Schmuggeln von Technologie hat er auch verdient. Ein echter Krimineller, der davon ausging, dass jeder korrumpierbar war, mit dem Glorienschein, den die Society ihm verlieh.
Weiter zur Politszene: Da soll ein deutscher Zeitungsverlag sich an Kreiskys Wahlkampf beteiligt haben und Unterhändler mehrmals mit Koffern voller Geld nach Wien gefahren sein. Dafür revanchierte sich Kreisky mit einem Gesetz (gegen den Protest der Katholischen Kirche), das den Schmuddelzeitungen erlaubte, mit ihren Nackedeis am Kiosk offen verkauft zu werden. Als Dank für die großzügige Wahlkampfhilfe gab er sogar dem deutschen „Playboy“ ein Interview. Und wir erregen uns über unsere Politiker? Die sind doch dagegen Zwerge!
Aber was hat Udo das Netzwerken (und von Kreisky bis Dichand war er mit allen „gut“) am Ende genutzt? Alle haben ihn beim Prozess fallen lassen, keiner seiner politischen „Freunderln“ hängte sich für ihn aus dem Fenster, im Gegenteil. Es habe, sagte ein Staatsanwalt, unendlich viele Interventionen im Proksch-Prozess gegeben. Aber keine einzige für ihn, alle gegen ihn…
Das Buch hat ein persönliches Nachspiel ganz besonderer Art, das bedingt mit Udo Proksch zu tun hat, denn ohne diesen wäre Georg Biron nicht in Manila gelandet. Als er den Artikel über Udo nach Wien geschickt hatte, wollte er noch ein paar Tage in der philippinischen Hauptstadt bleiben. Es wurde ein halbes Jahr in der Hölle daraus. Überfallen, ausgeraubt, die Fußsohlen zerschnitten, nur in seiner Unterhose auf einer Müllhalde abgelegt. Eine Müllhalde, „Smokey Mountain“ genannt, in der Menschen lebten. Eine Frau nahm sich seiner an. Er lebte im Müll, aß Müll. Wenn ihn nicht ein krimineller Jugendlicher niedergestochen und die Polizei ihn ins Spital gebracht hätte, wahrscheinlich hätte er nie den Weg zurück gefunden. Das Hotel hatte ihn längst aufgegeben, seine Sachen irgendwo im Keller verstaut…
Nun, Biron kam zurück, um wieder einmal an seinen Freund Udo zu erinnern. Der ja nun wirklich beispielhaft ist – dafür, wie schlimm es in Wien, in Österreich zugehen kann, wenn solche Figuren noch Kultstatus erlangen.
Renate Wagner