GENOVA/TEATRO CARLO FELICE : IL PIPISTRELLO von JOHANN STRAUSS II
„Klänge der Heimat“. Foto: Teatro Carlo Felice
am 31.1. 2022(Premiere)
Aus unerfindlichsten Gründen ist DIE FLEDERMAUS zur Sylvester-Operette schlechthin geworden. Aber warum bloß? Nur weil die französische Vorlage LE REVEILLON (= Sylvester), von dem aber in der österreichischen Fassung keine Rede mehr ist, heißt ? Das kann’s doch nicht sein. Die Handlung wiederum ist nicht so geschaffen, dass sie sich für ein fröhliches, ausgelassenes, unbeschwertes Hinübergleiten ins Neue Jahr eignen würde. Halten wir uns doch vor Augen, worum es in der „weltbesten Operette“ (glauben zumindest die Wiener) eigentlich geht: eine Frau betrügt ihren Mann, der Mann belügt sie und versucht sie auch zu betrügen, ein steinreicher,jähzorniger Russe droht seinen Gästen brutale Gewalt an („Flasche an den Kopf“), die angesagte Droge der damaligen Zeit („Champagner der Erste“) fliesst in solchen Strömen, dass es am Ende des zweiten Akts zu einer Massenorgie kommt(„duiduduidu“ „Brüderlein und Schwesterlein“), ein Dienstmädchen prostituiert sich, um eine Schauspielausbildung zu erhalten, ein permanent besoffener Gefängnisaufseher gibt Unsinn von sich, und das Ganze entpuppt sich am Schluss als ein von langer Hand akribischst geplantes perfides Mobbing eines rachsüchtigsten Zwangsneurotikers („Rache einer Fledermaus“). Alle sind nicht das, was sie vorgeben zu sein, alle lügen und betrügen, was das Zeug hält. Zurück bleiben totale Desillusionen und zerstörte Leben…aber um das „happy end“ pro forma zu retten, wird flugs dem an und für sich völlig unschuldigen „Champagner dem Ersten“ die Schuld in die Magnum-Flasche geschoben …obwohl doch mehr als ersichtlich ist, dass der Wurm schon im Ersten Akt in den Charakteren und in den Beziehungen wohnte, als nachweislich noch alle handelnden Personen stocknüchtern waren…Nun gut, es gibt auch noch Johann Strauss Sohns geniale und blutgefässerweiternde Musik, aber trotzdem bleibt die Fledermaus-Tradition zu Sylvester ein Mysterium.
„Duidu, duidu, duidu …immerzu“. Foto: Teatro Carlo Felice
Mysteriöser ist nur noch, dass sich dieser Fledermaus-Effekt nicht nur flächendeckend auf Wien und Umgebung ( Volksoper, Staatsoper, Bühne Baden – in der Staatsoper sogar mit zwei Vorstellungen am Tag) beschränkt, sondern mittlerweile auch auf unsere Nachbarländer übergeschwappt ist: in Italien gab es heuer Fledermäuse (hier „Il Pipistrello“ genannt) zu Sylvester z.B. in Ferrara und in Genua etc.
Das Teatro Carlo Felice in Genova hat für seine Premiere am Capodanno (31.12.) weder Kosten noch Mühen gescheut, um sich der bewunderten Wiener Tradition als würdig zu erweisen (was ja ziemlich rührend ist). Als Regisseur wurde Cesare Lievi engagiert (der unter Peymann viel am Burgtheater inszeniert hat sowie an der Berliner Schaubühne), dazu der einst weltbeste Eisenstein Bo Skovhus, Ex-Staatsopernprimadonna Valentina Nafornita (Rosalinde), der Spross des Altstaatsoperndirektors Liviu Holender (Dr.Falke) und Ex-Schaubühnenstar Udo Samel als Frosch sowie Maestro Fabio Luisi für die musikalische Gesamtleitung.
Lievis Regie in den Bühnenbildern und mit den Kostümen von Luigi Perego war leider eine ziemliche Enttäuschung. Als sich der Vorhang hebt, sieht man sich zum 150000 Mal in eine Theater – bzw. Filmprobe versetzt…bitte nicht schon wieder ! Abgesehen davon, dass diese abgelutschte „Idee“ nicht weiter ausgeführt wird, ist Peregos nahezu leere, nur mit abstrakten Requisiten bestückte geometrische Bühne für die Sängerinnen unheimlich schwer bis unmöglich zu bespielen, weil sie keine Beziehungen untereinander aufbauen können und daher in ihrer Verzweiflung meistens direkt zum Dirigenten und frontal zum Publikum singen.
Der riesige Vogel Strauss im zweiten Akt ergibt ebenfalls keinen Sinn – außer vielleicht als Wortspiel auf den Namen des Komponisten (auf Italienisch heisst Strauss allerdings „struzzo“)…
Die Kostüme sind auch von einer nicht weiter einleuchtenden mittelmäßigen Hässlichkeit.
So weit, so nicht soo gut.
Gesanglich steht es bedauerlicherweise auch nicht zum Besten. Bei aller Liebe und Verehrung für Bo Skovhus muss man doch feststellen, dass man ihn (zumindest was diesen Abend betrifft) schon in w e i t besserer Form erlebt hat. An Valentina Nafornitas Stimme haben sich schon immer die Geister geschieden …die meisten fanden sie zu spitz und zu schrill…die italienischen Kritiker gebrauchen sogar die Redewendung, dass sie ihnen „die Milch in die Knie“ treibt. Hinzu kommt noch dass sie, die doch über 10 Jahre in Wien gelebt und an der Staatsoper Hauptrollen gesungen hat, einen schwäären rrrrrussichen Akzzänt an den Tag legt, als ob sie gestern im Flüchtlingslager Traiskirchen angekommen wäre. Unverständlich.
Einen – weil Griechin – etwas geringeren Akzent lässt uns Danae Kontora (Adele) vernehmen. Ihre Stimme ist zwar auch recht spitz und schrill, treibt aber die Milch – um im Bilde zu bleiben – maximal bis zu den Ellenbogen.
Liviu Holender (Dr.Falke) singt sehr gepflegt, darstellerisch stellt er zwar die stolzgeschwellte Brust seines Papas zur Schau, kann aber den fiesen Urheber dieser ganzen Intrige nicht wirklich glaubhaft machen.
Sehr überzeugend hingegen Deniz Uzun als Prinz Orlovsky.
„Das schöne große Vogelhaus“. Foto: Teatro Carlo Felice
Der wirkliche Rettungsanker für diese nicht ganz so geglückte Produktion ist allerdings Maestro Luisi am Dirigentenpult. Er dürfte in seiner Studienzeit in Graz das austriakische Musikidiom osmotisch so sehr in sich aufgesogen haben, dass er hier in Genua eine leidenschaftliche, rasante und energetische Interpretation der Fledermaus abliefern kann, die alle rundum begeisterte.
Wenn die Wiener Philharmoniker nicht so sehr auf Berliner Marschkapellmeister fixiert wären, wäre Fabio Luisi eine absolut exzellente Wahl für ein Neujahrskonzert…
Robert Quitta, Genova