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GENF: LES AVENTURES DU ROI PAUSOLE von Arthur Honnegger

30.12.2012 | KRITIKEN, Oper

Operetten-Rarität in Genf: „Les Aventures du roi Pausole“ von Arthur Honegger (Vorstellung: 29. 12. 2012)


In der Titelrolle brillierte Jean-Philippe Lafont als König Pausole  (Foto: GTG Yunus Durukan)

 „Zum Jahresende weht ein leichter Schweizer Wind über dem Genfer Grand Théâtre.“ Mit diesen Worten kündigte das Grand Théâtre de Genéve, das Genfer Opernhaus, ihre neueste „Hausproduktion“ an: „Les Aventures du roi Pausole“ („Die Abenteuer des Königs Pausole“) von Arthur Honegger. Der Schweizer Komponist (1892 in Le Havre geboren, 1955 in Paris gestorben), der vor allem durch sein Operndrama Jeanne d’Arc au bûcher („Johanna auf dem Scheiterhaufen“) Weltruhm erlangte, schrieb die Operette im Jahr 1930. Sie wurde im selben Jahr in Paris uraufgeführt und erlebte dort mehr als 500 Vorstellungen.

 Das Libretto, das Albert Willemetz verfasste, basiert auf der erotisch angehauchten Fabel Les Chansons de Bilitis des französischen Autors Pierre Louÿs. Ihr Inhalt: König Pausole hat in seinem sagenhaften Reich Tryphème einen Harem mit 365 Frauen, von denen jede einmal im Jahr „Königin für einen Tag“ wird. Für amouröse Abwechslung wäre also reichlich gesorgt, doch die Damen erfreuen sich keines besonderen Interesses seitens des Königs. Vergeblich erstrebt Diane, die „Königin vom Dienst“, ein Zusammensein mit ihm, doch den König plagen andere Sorgen: Seine geliebte Tochter Aline hat sich in Prince Charmant verliebt, der in Wirklichkeit verkleideten Tänzerin Mirabelle, und ist mit ihm durchgebrannt. Pausole begibt sich auf Rat seines Pagen Giglio auf die Suche nach der Ausreißerin. So kann er auch der Monotonie seines Lebens entfliehen. – Im „Goldenen Hahn“, wo seine Tochter mit ihrem vermeintlichen Liebhaber Zuflucht gefunden hat und im einzigen passablen Zimmer „residiert“, erfährt der König von seinem Minister Taxis und der Dame Perchuque von einer Revolution seiner verlassenen Haremsdamen, die seine Anwesenheit bei Hofe dringend erforderlich macht. So entgehen ihm auch die frivolen Verführungsspielchen, die sein Page mit Aline und Mirabelle treibt. – In Tryphème quartiert sich der König wegen der prekären Situation in seinem Harem im Hotel „Bouffe Royal“ ein. Auch Aline kehrt mit Mirabelle zurück und findet im kecken Pagen Giglio, der bereits des Öfteren den König bei seinen Haremsdamen vertreten hat, endlich den richtigen Mann. Nach einigen weiteren Verwechslungen gibt Pausole schließlich sein Einverständnis zur Hochzeit. In einer Ansprache ans Volk gibt er bekannt, als König abzudanken und schläft in seinem Thronsessel ein. War nun alles bloß ein Traum oder doch Realität?

 Der mit frivolem Witz und pikanten zeitgenössischen politischen Anspielungen durchsetzte Text rückt das Werk in die Nähe Offenbachscher Burlesken, dessen Wert in der einfallsreichen Musik Honeggers liegt. Seine Partitur, die durchgehend harmonische, rhythmische und klanglich reizvolle Stücke aufweist, bietet spanische Folklore ebenso wie Jazzelemente und ins Ohr gehenden Melodien.

 Regisseur Robert Sandoz – er war in den Jahren 2004 und 2005 Assistent von Olivier Py – gilt als sehr vielseitig. Während seines Studiums verfasste er eine Abhandlung über den Begriff der Heiligkeit in Theaterstücken, später adaptierte er Romane für die Bühne, schrieb Chansons und ist Mitglied einer Rockgruppe, die durch Europa tourte. Er inszenierte die Operette flott und komödiantisch und ließ das Ensemble ihre Rollen mit Augenzwinkern spielen. Erfreulich, dass die Komik nie in Klamauk abdriftete, wie man es in diesem Jahr bei einigen Operettenproduktionen in Deutschland erleben musste! In Gian Maurizio Fercioni, der für die Bühnendekoration und Kostüme zuständig war, hatte er einen kongenialen Partner. Er kam mit wenigen Requisiten aus und arbeitete mehr mit farblichen Lichteffekten, die Simon Trottet sehr kreativ umsetzte. Bei den hübschen Seidengewändern der Haremsdamen und der Montur des weiblichen Dienstpersonals sorgte er für viel Beinfreiheit, wodurch die Erotik nie zu kurz kam.

 Als König Pausole hatte man im französischen Bassbariton Jean-Philippe Lafont eine Idealbesetzung. Seine unübertreffliche Bühnenpräsenz sowie seine komödiantische Gestik und Mimik ließ das Publikum immer wieder hellauf lachen. Dazu kam seine mächtige, ein wenig rauchige Stimme, mit der er alle seine Gefühlsausbrüche wunderbar zum Besten gab. Nicht minder komödiantisch der britische Tenor Mark Milhofer als Taxis, der mit artistischer Körpersprache agierte und in der Verführungsszene mit Mirabelle seinen großen Auftritt hatte. Beeindruckend auch die stimmliche und schauspielerische Leistung des dunkelfarbigen französischen Tenors Loϊc Félix in der Rolle des Verführers Giglio. Geschmeidig wie eine Raubkatze umgarnte er mit süßlich weicher Stimme sehr erfolgreich die Frauen. Man glaubte ihm, dass er ein idealer „Stellvertreter“ des Königs im Harem war.

 Die französische Sopranistin Sophie Angebault war eine reizvolle Prinzessin Aline, der man gönnte, statt der verkleideten Tänzerin Mirabelle schließlich den Königspagen Giglio zu bekommen. Mit ihrem dunkel gefärbten Mezzosopran und leidenschaftlichem Spiel begeisterte Lamia Beuque in der Hosenrolle der Mirabelle. Köstlich ihre Szene mit Taxis. Stimmlich wie darstellerisch beeindruckte auch die Sopranistin Ingrid Perruche als Diane mit ihren verzweifelten Versuchen als „Königin vom Dienst“, Pausole endlich ins Bett zu bringen.

 Sehr damenhaft die österreichische Mezzosopranistin Doris Lamprecht als Dame Perchuque, köstlich quirlig die italienische Sopranistin Elisa Cenni in der kleineren Rolle der Thierette. Mit subtiler Komik legte der Bass Alexandre Diakoff die Rolle des Métayère an, sehr forsch die Altistin Vanessa Beck-Hurst als Feministin. Stimmlich wie schauspielerisch eindrucksvoll der Chor (Leitung: Ching-Lien Wu), der etwa zwanzig der 365 Haremsdamen auf die Bühne stellte und als erotisch werkende Dienstmädchentruppe vor allem die Augen des männlichen Publikums auf sich zog.

 Das Orchestre de la Suisse Romande unter der einfühlsamen Leitung von Claude Schnitzler – den Wienern von vielen Gastdirigaten bekannt – gab die reizvolle Partitur Honeggers, aus der am bekanntesten die Chorkantate „Vive le roi Pausole“, das Terzett „Dem Pfirsich gleichen ihre Wangen“ und das im Bolero-Rhythmus gehaltene Lied von der „Spanischen Schokolade“ (eine besondere Delikatesse der Aufführung!) sind, mit Bravour wieder.

 Lang anhaltender Applaus des begeisterten Publikums beschloss die sehenswerte Vorstellung dieser dreiaktigen Schweizer Operetten-Rarität, die in französischer Sprache mit französischen und englischen Übertiteln gegeben wurde.

 Udo Pacolt, Wien – München

 

 

 

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