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GELSENKIRCHEN: STREET SCENE von Kurt Weill

03.10.2012 | KRITIKEN, Oper

GELSENKIRCHEN: STREET SCENE. Besuchte Vorstellung am 3. Oktober (Premiere am 22. September)

 „Street Scene“ gehört zu den späten Bühnenwerken von Kurt Weill und repräsentiert in besonderer Weise dessen bewusst angestrebte Amerikanisierung. 1933 hatte er mit seiner Gattin Lotte Lenya Nazi-Deutschland den Rücken gekehrt und sollte nie mehr zurückkommen. Eine der wichtigsten künstlerischen Begegnungen war die mit Gershwins „Porgy and Bess“, worin er ein lebensnahes Sujet mit hohem Kunstanspruch verwirklicht sah und zwar auf Basis originärer Musik des Landes. Weill selber machte zusätzliche Studien, um ihrem Idiom nahe zu kommen. „Street Scene“ wurde unterschiedlich untertitelt, als „Dramatic Musical“, „Broadway Opera“ und schließlich und verbindlich als American Opera“. Diese Formulierung erscheint in der Tat am triftigsten, fasst sie den musikalischen Stil des Werkes doch nicht zu eng. Große Arien finden sich nämlich in der Partitur ebenso wie fetzige Nummern, einfache Songs kontrastieren zu einem quirligen Sextett und dem anspruchsvollen Ensemble gegen Ende der Oper. Singen und Sprechen sind ungeachtet deutlicher Nummerneinteilung eng verzahnt. Gelegentlich wirkt die Musik etwas hollywood-süffig, aber das gehört nun einmal zu Weills Ausdrucksvielfalt. Mit strengem „E“ und „U“ sollte man ihrer Ästhetik freilich nicht kommen.

Es bedurfte einer gewissen Zeit, bis Weill den Dramatiker Elmer Rice überreden konnte, sein 1929 geschriebenes Stück als Opernversion einzurichten. Die Rezeption des Werkes gestaltete sich ihrerseits zögerlich. Dabei war die New Yorker Uraufführung 1947 ein Erfolg, sogar bei der Kritik. Nach der deutschen Premiere (Düsseldorf 1955) wurde das Werk aber für lange Zeit ignoriert, gewann dann aber wieder an Boden. Der Autor dieser Zeilen erlebte Aufführungen in Aachen (2002) und Hagen (2009). Die letzte deutsche Produktion war wohl voriges Jahr in Dresden.

Der Titel der Oper wirkt lapidar, sogar nüchtern. Aber die sich innerhalb des kurzen Zeitraums von zwei Tagen abspielende „Straßenszene“ beschreibt ja auch ganz diesseitig ernste wie heitere, existenzielle wie banale Vorgänge in einem schäbigen New Yorker Wohnviertel, wobei Regisseur GIL MEHMERT statt den vierziger Jahren die Jetztzeit wählt. . Auf dem von HEIKE MEIXNER schräg auf die Bühne gelegten Mehrstockhauses (die Fenster dienen als „Eingänge“) sind Fernsehschüsseln montiert, und es wird bereits per Handy telefoniert. Man darf dies als Verweis auf die Wiederkehr immer gleicher, zeitloser Lebensläufe verstehen. Darüber hinaus bringt diese Ausstattung eine leicht ironische Note ins Spiel, wie ja auch die tragische Familiengeschichte der Maurrants begleitet ist von allerlei komischen und skurrilen Episoden. Die freudlose und in einem Eifersuchtsmord endende Ehe von Anna und Frank bleibt freilich düsterer Mittelpunkt. Sie ist mit Sicherheit nicht das einzige Beziehungs-Down in dieser Stadt. Das die Oper rahmende Tratschgespräch dreier ordinärer Weiber deutet „Unvergängliches“ jedenfalls an.

Für das extrem personenreiche Werk wird nahezu das gesamte Ensemble des Musiktheaters im Revier aufgeboten, ergänzt durch Studenten der Folkwang Universität der Künstler Essen. In dem ewig mürrischen und misstrauischen Frank Maurrant findet JOACHIM GABRIEL MAAß mal wieder eine zentrale und besonders dankbare Partie, NORIKO OGAWA-YATAKE setzt mit ihrem mezzofarbiger gewordenen Sopran die Warmherzigkeit der Anna dagegen. Mit vokaler Frische und attraktivem Aussehen gestaltet DORIN RAHARDJA die Tochter Rose. Aus Ehr- und Pflichtgefühl gibt das Mädchen eine erhoffte Zukunft mit dem Nachbarjungen Sam Kaplan auf, den LARS-OLIVER RÜHL ungemein sympathisch als Leseratte und „Weichei“ gibt. Sein Tenor klingt in dieser Partie besonders frei und voll. Die jazzige Gesangs- und Tanznummer von MARIE LUMPP und MATTHIAS KUMER (beide Studenten) ist als besonders gelungen hervorzuheben. Für die Spielfreude des Ensembles seien namentlich wenigstens ANKE SIELOFF, ALMUTH HERBST und CHRISTA PLATZER als die weiblichen Klatschmäuler erwähnt.

HEIKO MATHIAS FÖRSTER am Pult der NEUEN PHILHARMONIE WESTFALEN nimmt Weills Musik opernhaft ernst, bedient aber auch ihren Swing-Charakter mit Verve. Gil Mehmerts Inszenierung (zunächst entstanden für die Bayerische Theaterakademie und die Hochschule für Musik und Theater München) setzt glücklich auf lebendiges Spiel, gönnt sich aber auch – durchaus angemessen – das eine oder andere tableauhafte Bild. Selbst in der 4. Vorstellung (die Premiere fand am 22. September statt) war der Publikumszuspruch ausgesprochen rege.

 Christoph Zimmermann

 

 

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