Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

GELSENKIRCHEN: LADY MACBETH VON MZENSK – Trotz happy Gulag & Seidenstrumpforgien ergreifend. Premiere

11.02.2013 | KRITIKEN, Oper

Gelsenkirchen. LADY MACBETH VON MZENSK: Trotz happy Gulag & Seidenstrumpforgien ergreifend

Auf allerhöchstem musikalischem Niveau dank GMD Rasmus Baumann

 

9. Februar 2013 – es wird auf deutsch gesungen


Yamina Maamar. Foto: Musiktheater/Forster

 Fangen wir mit dem Guten an: Er heißt Rasmus Baumann und ist Chefdirigent eines großen Sinfonieorchesters, der Neuen Philharmonie Westfalen, von mir einst in fernen Tagen als „Beamtenorchester“ geschmäht – was ich natürlich nie wieder schreiben werde. Versprochen!

Baumann dirigierte an diesem Premierenabend ein dermaßen exzellentes Orchester, dass mir das Wort „Weltklasse“ durchaus nicht unsympathisch in der Beurteilung erscheint. Bravo! Bravi! Was für eine unendliche Probenzeit ging wohl dieser Glanzleistung voraus? Es hat sich mehr als gelohnt!

Und so war es nur gerecht und richtig, daß Baumann, wie u.a. Directore Barenboim an der Scala, alle Musiker zum geradezu frenetischen Schlußbeifall des enthusiasmisierten, sehr fachkundigen und disziplinierten Publikums (atemlose Stille, Huster nur im Fortissimo der Musik und GSD kein Zwischenbeifall!) auf die Bühne holte. Selten habe ich in den letzten 30 Jahren auf der Bühne des wunderbaren MIR einen solchen Beifall erlebt. Daß dermaßen Begeisterung bei einem leider leider (Karneval?) halbleeren Haus zustande kommt, ist schon überwältigend.

 Wesentliches Moment einer Lady-Macbeth-Produktion – damit steht und fällt jede Inszenierung – ist die Besetzung der Hauptpartie, die sicherlich zu den schwierigsten Opernpartien überhaupt gehört. Man braucht eine Ausnahme-Sängerin, die bereit ist um ihr Leben zu singen, denn die Stimme muß sich zwischen glasklarem und glockenreinem Legato bis hin zum geradewegs expressiven Forte-Fortissimo bewegen lassen, aber auch ein Wagner-Orchester übertönen können. Eine stimm-mordene Rolle, die nur wenige große Sängerinnen beherrschen. Wer diese Partie relativ vibratolos über die ühne bringt, kann alles singen.

 Unter den Begriff „Weltklasse“ fällt daher auch eine Ausnahmesängerin wie Yamina Maamar, welche auf deutsch (!) eine dermaßen begnadete und ausgesprochen textverständliche, perfekt gesungene Rollenauslegung bot, wie ich sie selten live gehört habe – und ich habe so gut wie alle „Ladys“ der letzten 25 Jahre in Europa wahrgenommen. Wobei ich bei diesem Jahrhundertwerk – übrigens eine meiner erklärten Lieblingsopern – hier ausdrücklich, auch wegen des drastischen Textes, für die deutsche Übersetzung (als ÜT eingeblendet) plädieren würde, denn der deutsche Text in der Übersetzung von Jörg Morgener & Siegfried Schoenbohm ist und kling so gut wie das russische Original. Und es ist gerade in dieser Oper wichtig, wirklich jedes Wort zu verstehen.

Dass man auch alle anderen Partien fast schallplattenreif besetzen konnte, spricht für das Musiktheater im Revier und die Besetzungspolitik, welche der OPERNFREUND mit einigen Berichten ja in letzter Zeit kritisch infrage stellte. Der stets zuverlässige Lars-Oliver Rühl bot einen adäquaten Sergej, der auch in jedem großen Haus Bestand haben könnte – auch hier fiel die fabelhafte Textverständlichkeit auf; darüber hinaus ist Rühl natürlich auch ein Musiktheaterdarsteller par excellence. Von den vielen Comprimarii enttäuschte keiner, wobei ich allerdings Thomas Möwes (Boris) als dritte Sängergröße des Abends noch herausheben möchte. Der Chor bot die bekannte gute gesangliche Solidität dank ausgezeichnete Arbeit von Chorleiter Christian Jeub.

Szenischer Nihilismus

Die Bühne von Dirk Becker ist ein zeit- und lieblos gestalteter weißer Kasten – Marke Einheitsbühne mit großem runden Ausschnitt in der beweglichen Decke – hundertmal schon gesehen, wenn dem Regieteam nichts einfällt oder man dezent modern (frei nach Wagner) „selige Öde auf wonniger Höh“ darstellen möchte. „Das ist halt moderne Bühnen-Kunst“ sagte mir ein Kollege – ja, in der Tat, hier wird die mentale Abstraktion vom Zuschauer gefordert – Mark Rothko läßt grüßen. Die paar überflüssigen Requisiten von Torsten Böning, hätte man sich dann auch noch sparen können: Plastikbäume, Holz-Badezuber, portable Tür, Camperliegen und ein paar Bücher sind eigentlich der Erwähnung kaum wert. Einzig überzeugend im Regie-Team fand ich die gelungene Lichtregie von Albert Geisel / Jürgen Rudolph.

Künstlerische Abstraktion!

Die Inszenierung ist wieder einmal eine typische Schulz-Produktion. Zuschauer soll jederzeit merken, daß man auf dem Theater ist. Nix Realität Freunde – Kunst! Die bei dieser Oper eigentlich, trotz aller Ironie und bösem Sarkasmus, geforderte Realität und Exzessivität wirkt, in modernen Stilbildern dargeboten und abstrahiert, meistens fast gnadenlos steril.

Das wichtigste handlungsstringente Requisit, nämlich das Bett, fehlt. Dafür steht ein handwerklich schön und modern gefertigter hölzerner REALER Badezuber im Hintergrund; sieht aus, wie frisch von IKEA geliefert. In ihm wird natürlich auch am Anfang höchst hölzern und dilettantisch (wg. Platzmangels) die Köchin von den Burschen vergewaltigt; er dient dann (höchst lächerlich) als Ehebett und Beischlafstatt und wird im Weiteren zum Kleingefängnis, in dem man Katharina in den Bühnenhimmel zieht, wo sie wehrlos und eingeengt ansehen muß, wie Boris versucht ihren Liebhaber (laienhaft) zu Tode zu peitschen. Au weiha! Das tut weh…

 Es kommt noch schlimmer. Später bringt sie ihrem Schwiegervater in einem klassischen 5-Kg-Bauhaus-Farb-Eimer seine Pilze. Und damit es auch der blödeste Zuschauer versteht, radierte jemand das ursprüngliche „Alpina-Weiss“ aus und schrieb mit ungelenken Buchstaben: …na dann raten Sie mal bevor Sie auf das untere Bild schauen

Natürlich muß Katharina genau darauf achten, daß sie beim Transport die richtige Seite nicht zu ihrem Schwiegervater dreht, sonst wäre die Oper an dieser Stelle schon zu Ende. Später kommen dann die sozialistischen Flintenmädels (siehe unten), welche mit ihrem Aufmarsch die Pausen-Musiken illustrieren müssen, weil man dem schlichten Schließen des Vorhangs wohl misstraut. Dem politischen Aspekt wird durch eine portable Stalin Büste entsprochen.

Mumpitz wie dieser ärgert. Dito, wenn die Leiche des Ehemannes einfach hinter den Badezuber unter ein paar Laken deponiert wird (Anmerkung: weil die Bodenluke zum Keller fehlt) wo sie bis zum Schluss des dritten Aktes bleibt und vermodert.

 So klaffen regelmäßig Text und Bühnengeschehen hanebüchen auseinander, und der arme William Saetre (Der Schäbige) muß hilf- und sinnlos am Badezuber herumtorkeln, wo er lt. Libretto eigentlich das Schloss aufbrechen soll und muss ständig imaginären Wodka trinken. Später singt Katharina entsetzt „Das Schloss ist aufgebrochen.“ Sergej antwortet „Ja Katarina, wir müssen fliehen. Jemand hat das Schloss aufgebrochen.“ Aaaaaahhhh! Grrrrg! Das sind dann jene Momente, wo auch ein liberaler friedvoller Kritiker nach Zensur oder Flitzebogen ruft! Leider rief kein mutiger Zuschauer „Welches Schloss denn?“

Finales Stichwort: Happy Gulag & die Seidenstrumpforgie

 Kann man solchen Blödsinn noch schmunzelnd ignorieren, so wird es im letzten Akt peinlich und beleidigt regelrecht des Komponisten Absicht, wenn die Verurteilten, die sich eigentlich auf dem qualvollen Menschen-Track durch die trockenen Steppe ins Konzentrationslager des stalinistischen Gulag befinden, zeitaktuelle dargeboten werden, als befänden wir uns auf einer Schießer-Unterwäsche Party (siehe Bild) während sie singen müssen: „Ach was für ein Weg, von den Ketten aufgerieben, der Weg nach Sibirien, von Knochen übersäht, ein Weg von Schweiß und Blut durchtränkt! Widerhallend vom Stöhnen der Sterbenden…“

Eigentlich gehört dieser bedrückende Akt zum Fürchterlichsten, aber auch Schönsten, das vielleicht je komponiert wurde, denn nichts in der Musikgeschichte zeigt so exemplarisch und so seelisch berührend und aufregend das Schicksal dieses immer und ewig geknechteten und unterdrückten russischen Volkes. Es ist eine Anklage in Musik!!

 Nicht nur die Zuschauer hatten das 1936 verstanden, auch Massenmörder Stalin begriff sofort, was hier gemeint war und ließ die Oper für über 20 Jahre verschwinden. Der Schostakowitsch fürchtete von da an alltäglich um sein Leben und hatte seine letzten Koffer stets gepackt. Doch seine wahren Gedanken erklangen weiter aus den Sinfonien, die das russische Volk wohl verstand.

Übrigens wurde seine erste sehr spannende Biografie, herausgegeben von Salomon Wolkow,  einst natürlich illegal und heimlich in den Westen geschmuggelt.

Fazit: Allein wegen der Bedeutung dieses Jahrhundertwerkes, rät der Kritiker zum Besuch, denn dieses Oper ist der Schlüssel zu Schostakowitsch weiteren Werken und wird hoffentlich auch viele neue Opernfreunde motivieren sich mit diesem genialen Komponisten einmal mehr auseinander zu setzen.

Noch einmal ein lautes BRAVI an alle musikalisch Beteiligten!

Peter Bilsing / 11.2.

 

Diese Seite drucken