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GELSENKIRCHEN: JENUFA. Neuinszenierung, zweite Vorstellung

30.03.2014 | KRITIKEN, Oper

Gelsenkirchen: Jenufa, zweite Vorstellung am 29.März 2014-  (Premiere 22.März)

 „Musik, die so viel Liebe in sich birgt, ist äußerst selten. Sie sollte jeden Tag gespielt werden.“ So hat sich der Dirigent Ingo Metzmacher über „Jenufa“ geäußert. In der Tat: wenn nach dem Mordgeständnis der Küsterin das Orchester mit einem warm leuchtenden Dur einsetzt, wird man emotional förmlich weggeschwemmt. Zuvor gibt es freilich auch viel Kantiges in Janaceks Musik, die 1904 in Brünn schon deswegen Aufsehen erregte, weil sie sich konsequent an der mährischen Alltagssprache orientiert. Aus diesem Grunde kam die von Janacek angestrebte Uraufführung in Prag auch nicht zustande, denn der zuständige Theaterdirektor Karel Kovarovic  hielt das Werk für nicht publikumstauglich. Als er einer Produktion dann aber doch zustimmte, ging das nicht ohne eine verweichlichende Bearbeitung aus eigener Hand ab. Sie bestimmt die Rezeption des Werkes bis zum Ende des 20. Jahrhunderts (!). Das Autograph der Partitur ging nämlich verloren, erst 1996 lag die aus den vorhandenen Orchesterstimmen rekonstruierte Version vor. Ambitionierte Häuser hatten sich dem Original  zuletzt immerhin angenähert. In der Gelsenkirchener Neuproduktion registriert man als spontaner Hörer zumindest den Wegfalls eines weiten Belcantobogens bei Jenufa im Schlussduett mit Laca.

 In der gesehenen Zweitvorstellung ließ RASMUS BAUMANN die Neue Philharmonie Westfalen, das Hausorchester, Janaceks Musik mit allen Härten und Schärfen erklingen, gab aber auch ihren entwaffnend zärtlichen Momenten genügend Raum. Weiterhin trug PETRA SCHMIDTs vokal leuchtende, darstellerisch schmerzlich-tragische Darstellung der Titelfigur den Abend auf ganzer Linie. An diesem Abend des 29.3. hatte „Jenufa“ übrigens in Graz Premiere, im „Merker“ frisch rezensiert. Ein vorproduziertes Video gab dem Außenstehenden über die Regie den Eindruck  von brachialer Lebendigkeit. In einem Zeitungsinterview spricht sich Peter Konwitschny übrigens für eine Werktreue „dem Sinn nach“ aus. Ein weites Feld.

 Die Gelsenkirchener Regie von Intendant MICHAEL SCHULZ scheint sich ein wenig an der etwas salonhaften Modernisierung Dmitri Tcherniakovs 2012 in Zürich zu orientieren, wobei er dörfliches Milieu allerdings beibehält. Das beginnt damit, dass zu Beginn die Wand eines Kornspeichers herunter klappt und sich sein Inhalt auf den Bühnenbode ergießt. Jenufa wälzt sich durchaus lustvoll in dem Getreide – eine fast laszive Introduktion. Auch später spart Schulz nicht mit erotischen Bildzuspitzungen. Seine Jenufa ist durchaus kein Mädchen von körperlicher Zurückhaltung, und Laca geht ihr mit einem Stock schon mal aggressiv zwischen die Beine. Jenufa wirkt übrigens wirklich einmal „entstellt“, während man sonst fast immer nur eine kleine Schramme zu sehen bekommt. Stewas Verhalten wird somit um Grade plausibler.

 Ansonsten kann die insgesamt positive Bewertung der „Jenufa“-Produktion an dieser Stelle nicht bestätigt werden. Sicher wird Jenufas physische wie psychische Drangsalierung durch die klaustrophobische Enge der Wohnung im 2. Akt, vollgestopft mit Heiligen-Bildern, deutlich. Aber die Strenge der Küsterin wird erheblich aufgeweicht, wenn sie ihren ersten Auftritt mit einem Fahrrad absolviert und mit dem Drahtesel auch zum Kindesmord aufbricht. Und wirkt sie durch ständiges Qualmen als unruhige Figur plausibler? Dass der Regisseur GUDRUN PELKER dazu verdonnert, während es gesamten Mittelaktes ein Suppenhuhn zuzubereiten, widerspricht dem Zustand von Zerrissenheit in Gänze und kann auch nicht als Übersprungverhalten durchgehen. Jenufas unterirdisches, nur durch eine Bodenluke erreichbares Zimmer ist auch nicht gerade der beflissendste Einfall der Bühnenbildnerin KATHRIN-SUSANN BROSE. Zuvor muss das enge, mittige Podest auch für Chorauftritte herhalten, wahrlich mehr schlecht als recht. Im 3. Akt ist dieser Spielort sogar ein optisches Nichts, in seiner Neutralität ebenso „geeignet“ für „Sacre du printemps“ oder „Weißes Rössl“.

 Im Finalbild gibt es, immerhin bedenkenswert, einige ungewohnte Details. Sowohl Barena (JASMIN DOMMEN) als auch Karolka (DORIN RAHARDJA) gewinnen Charakterumrisse, die bei anderen Aufführungen fehlen. Der pubertäre Jarno wiederum hat (in Gestalt der niedlich pummeligen Kolumbianerin BETTY GARCÉS) durch die Vorgänge offenkundig zum ersten Mal Lebensabgründe kennen gelernt. Knüppelschlagend „rächt“ er sich an der Küsterin. Stewa wiederum ist zum Spießrutenlaufen durch eine Dorfgemeinschaft gezwungen, deren Gefühle labil sind und leicht umkippen. Das ist durchaus stimmig beobachtet, lenkt aber von essenziellen Momenten etwas ab. Dass der Küsterin für ihr Mordgeständnis ein Stuhl bereit gestellt wird, grenzt übrigens fast ans Groteske. Und die Verzeihung Jenufas läuft einigermaßen sentimental ab. So schnell wird  Kindesmord von einer Mutter nicht abgehakt.

 Licht und Schatten bei dieser Vorstellung (die trotz mäßiger Publikumsauslastung – Schicksal vieler Zweitaufführungen – große Resonanz fand)  spiegeln sich auch in der Sängerbesetzung. NORIKO OGAWA-YAKATE (Frau des Dorfrichters) und TOMAS MÖWES (Altgesell) kommen mit ihren Partien gerade mal so zurecht, Gudrun Pelker muss als Küsterin alle Kraft zusammen nehmen, um ihre engagierte Darstellung auch vokal zu beglaubigen. Petra Schmidts außerordentliche Jenufa sei als beglückendes Erlebnis dafür nochmals ausdrücklich erwähnt. WILLIAM SAETRE findet in Laca eine Partie, welche zu seinem individuell timbrierten Tenor gut passt; den Hallodri Stewa gibt LARS-OLIVER RÜHL äußerst facettenreich. Einige problematische Spitzentöne sind, wie auch bei Gudrun Pelker, zu bilanzieren, beeinträchtigen aber nicht die eigentliche Qualität der Rollenporträts.

 Christoph Zimmermann

 

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