Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

GELSENKIRCHEN: DER ROSENKAVALIER. Premiere

03.06.2013 | KRITIKEN, Oper

GELSENKIRCHEN: DER ROSENKAVALIER. Premiere am 2. Juni 2013

 Richard Strauss hat den Walzer für die Rokokoepoche „erfunden“, Hugo von Hofmannsthal die Zeremonie der Rosenüberreichung. Aber der „Rosenkavalier“ legt es nicht auf ein penibles Abbild jener Zeit an, er will diese nur als besonders sinnfällig imaginieren und zeigen, dass „mehr von der Vergangenheit in der Gegenwart (vorhanden ist), als man ahnt“, so der Librettist. Dennoch hat sich historisches Dekor bei Aufführungen dieser Komödie für Musik bis in die jüngere Gegenwart gehalten und erstarrte dabei häufig zu optischen Floskeln, gegen die inzwischen verstärkt aninszeniert wird. Die gemeinsame Ausstattung von RENATE MARTIN und ANDREAS DONHAUSER am Musiktheater im Revier scheint diese Entwicklung spiegeln zu wollen.

 Der 1. Akt zeigt einen relativ konkreten Raum im noblen Heute-Stil: Die jugendstilartigen Dekors mögen eine werknostalgische Akzentuierung bedeuten. Das Palais von Faninal ist ein Gefüge von Wänden, was eher ein Gefängnis suggeriert als ein neureiches Prunkhaus; man könnte in diesem Bild von neutraler Hässlichkeit auch Nonos „Intolleranza“ oder sonst etwas spielen. Eine glühbirnen-gesäumte Rückwand prägt das Beisl, vor der ein fortschrittlicher Regisseur sicher auch ein „Verkaufte Braut“ spielen lassen würde. Der Fortschritts-Regisseur für den Gelsenkirchener „Rosenkavalier“ heißt PHILIPP HARNONCOURT und ist Sohn eines berühmten Vaters.

 .Zunächst aber noch weitere Hinweise zur Ausstattung. Alle Räume sind auf beweglichen Bühnenwagen montiert, die manchmal gedreht werden – warum, erschließt sich nicht immer. Möglicherweise ist damit und anderen optischen Maßnahmen eine Art Brecht’scher Verfremdungseffekt beabsichtigt. Wenn ein Bühnenarbeiter für das Ochs-Finale (2. Akt) eigens einen Scheinwerfer herein schiebt, wenn die mal rechts, mal links platzierte Souffleuse ins Spiel einbezogen wird und der jungmännliche Mohammed für „Vorhang auf, Vorhang zu“ und anderes sorgt, sind das Spielereien, welche diese Annahme stützen. Wird dadurch das fraglos etwas ausgelaugte Sujet aber griffiger, verbindlicher oder gar attraktiver?

 Harnoncourt stellt seine dann letztlich aber doch relativ konventionelle Inszenierung in einen neuen, unerwarteten Rahmen, ohne psychologische Vertiefungen, ohne erhellende Akzentuierungen. Es ist sogar einiger Boulevard-Klamauk hinzunehmen. Drei Momente lassen sich immerhin positiv bilanzieren. Es liegt natürlich stark an MICHAEL TEWS, dass der unsympathische, rüde Frauenbespringer Ochs einen gewissen Bauerncharme besitzt. Der Baron, wie ihn Tews gibt, ist noch in den besten Jahren; für ihn bedeutet uriger Sex ganz einfach lautstark einzuforderndes Mannesrecht. Ganz böse kann man diesem Widerling nicht sein, so wie ihn der seine Partie auch vokal vollsaftig umreißende Sänger gibt,

 Gut, zumindest interessant gelingen Harnoncourt die Finali I und III. Über dem Verhalten der Marschallin liegt schon frühzeitig ein Schleier von Trauer, ihre „Lektion“ für Octavian spiegelt den Pessimismus einer gereiften Frau, die nüchtern hinter menschliche Fassaden zu blicken gelernt hat. Da kippt heiteres Erotikspiel beklemmend in Lebensernst um. Diese Wirkung wird von PETRA SCHMIDT verstärkt, die ihrem Sopran feine Valeurs abgewinnt und nie larmoyant spielt. Am Schluss küsst die Marschallin sowohl Sophie als auch Octavian, gibt sie mit dieser noblen Geste quasi zusammen. Jetzt bleibt ihr nur, den inzwischen an den Rollstuhl gefesselten Faninal (haben die Aufregungen zu einem Schlaganfall geführt?) zu ihrer Kutsche zu schieben. Das eng umschlungene Liebespaar „entsorgt“ Mohammed durch eine Falltür in den Orkus. Keine Chance für ein junges, übermächtiges Gefühl? Harnoncourt gibt heftig zu denken auf. Das Premierenpublikum akzeptierte übrigens alles ohne Murren. Aber vielleicht hielt es sich vorrangig an die musikalischen Erlebnisse, deren es viele schöne gibt.

 .So ist NADJA STEFANOFF ein wirklich flammender Octavian, bei allem Mezzo-Glühen ausgeglichen singend. ALFIA KAMALOVA setzt durchaus rollengerecht einen wie kindlich wirkenden Sopran dagegen. Ihre Schulmädchenkleidung (plus Brille) lässt sie zunächst pubertär erscheinen; als ihr im 3. Akt bewusst wird, dass sie für ihren Octavian keineswegs die erste Liebe ist, beginnt sie das Leben zu ahnen. Auch dies ein schöner Regieakzent, zugegeben. Beim Intrigantenpaar Annina/Valzacchi kommt die Frau (ALMUTH HERBST) sängerisch eindeutig vor dem Mann (E. MARK MURPHY). NORIKO OGAWA-YATAKE schafft die Partie der Leitmetzerin noch, TOMAS MÖWES den (freilich herrlich chargierten) Faninal schon nicht mehr. Dafür besticht der junge Koreaner HONGJAE LIM als Sänger mit seiner verschwenderischen Höhe. Mit der NEUEN PHILHARMONIE WESTFALEN sorgt RASMUS BAUMANN für einen angemessenen orchestralen Rahmen: unter seinen Händen erklingt die Strauss-Musik mit Schwung, aber differenziert; die Tempi überzeugen.

 Christoph Zimmermann

 

 

Diese Seite drucken