Gabriele Reiterer
ANNA MAHLER
Bildhauerin – Musikerin – Kosmopolitin
256 Seiten, Molden Verlag in Verlagsgruppe Styria. 2023
Man kennt die Probleme von Söhnen von Berühmten, zumal, wenn sie – wie bei Mozart oder Mann – beruflich in die väterlichen Fußstapfen treten wollten. Aber auch Töchter großer Männer und Frauen begehren ihre eigenen Schicksale, abgenabelt vom Namen ihrer Herkunft. Nicht jeder gelingt es. Anna Mahler, der die Kunsthistorikerin Gabriele Reiterer nun eine wunderbar lesbare Biographie widmet, ist ihren eigenen, sehr unruhevollen Weg gegangen. Da waren immer die überdimensionalen Eltern – der große Komponist Gustav Mahler und die, wie die Autorin sie nennt, „übermächtige“ Mutter Alma Mahler-Werfel.
Die Bildhauerin Anna Mahler wird heute vor allem für ihre Porträtköpfe anerkannt, in die allererste Reihe der bildenden Künstler wird sie wohl auch durch diese Biographie nicht eingehen. Diese macht klar, dass sich die künstlerische Entwicklung der Mahler-Tochter, deren Leben durch das Erbe der Eltern auch „musikgetränkt“ war, nicht ohne die zahllosen biographischen Verwerfungen erzählen lässt. Die Autorin tut das detailreich und spannend, in kurzen Kapiteln, reichlich mit Originalzitaten der 1988 in London verstorbenen Künstlerin bestückt. Die Autorin hat dabei nicht nur ungemein viel Sekundärliteratur zwischen Buchdeckeln (datuner Erinnerungen der Zeitgenossen, von den so viele Memoiren schrieben), sondern auch Zeitungs- und Zeitschriftenmaterial heran gezogen, was die vielen „originalen“ Anmerkungen ermöglichte.
Geboren wurde Anna, „Gucki“ genannt auf Grund ihrer veilchenblauen Augen, 1904 in Wien, als zweite Tochter des Ehepaars Mahler, die Schwester war zwei Jahre älter als sie. Es war eine von Tragödien überschattete Kindheit und Jugend – 1907 starb die kleine Schwester, „Ich habe eine einsame Kindheit gehabt, bin ganz stumm und ruhig gewesen“, erinnerte sich Anna (der Vater wollte überhaupt nie gestört werden, verlangte Ruhe).
1908 nahm man die Kleine zu Mahlers Gastspiel nach New York mit, wo der Vater mit der nun einzigen Tochter innig zusammen wuchs. Die nächste Tragödie ihres jungen Lebens: 1911 starb Gustav Mahler, und Anna war gewissermaßen ihrer mächtigen Mutter „ausgeliefert“, die sich um so konventionelle Dinge wie Schulbildung und dergleichen kaum kümmerte, war sie doch mit ihrem Salon und ihren Liebschaften beschäftigt…
Dem privaten Leben von Anna Mahler zu folgen, gleicht einer Achterbahn, denn sie hatte gewissermaßen der inneren Hektik ihrer Mutter übernommen. Man folgt ihr durch nicht weniger als fünf Ehen – den gut aussehende Rupert Koller hat sie, wie sie sagte, seiner Familie wegen geheiratet. Er war Dirigent wie auch ihr vierter Gatte, der zweite war Komponist, der dritte Verleger, der fünfte Autor. Anna Mahler verband sich mit künstlerischen Menschen und dem Politiker Kurt Schuschnigg. Keine der Beziehungen hielt wirklich lang, so gut wie immer (außer bei Schuschnigg) setzte sie das Ende selbst. Ihre beiden ersten Ehen währten nicht einmal ein Jahr lang…
Ihre Ambition, Künstlerin zu werden, hat Anna Mahler allein durchgesetzt, von ihrer Mutter war kaum Hilfe zu erwarten. Nur durch Glück konnte sie Malunterricht bei Bronica Koller-Pinell (später kurzfristig ihre erste Schwiegermutter) erhalten. Warum sie sich mit 25 für die Bildhauerei entschloß, die schon für Männer schwere Arbeit am Stein, konnte sie selbst nicht erklären und kämpfte stets mit den anfallenden Problemen (Materialbeschaffung, Aufträge). Fritz Wotruba gab ihr das Rüstzeug, und sie hat ihr Leben lang figurativ (vor allem an Köpfen) gearbeitet. In ihren späteren Jahren vor allem in den USA verankert, hat Österreich sie spät geehrt, mit einer Ausstellung für die Salzburger Festspiele 1988 – da war sie 84. Sie wusste: Es ist zu spät. Tatsächlich hat sie die Eröffnung nicht erlebt.
Es ist auch eine Geschichte der schillernden Figuren rund um sie, vor allem Mutter Alma, die „Tigermami“, die bis zu ihrem Tod ja doch immer wieder im Leben der Tochter auftaucht, die sie in der Jugend tyrannisch und teils auch böswillig beherrscht hatte (sie „Halbblut“ und „jüdisch“ nennend). Natürlich spielten auch Halbschwester Manon Gropius und die weiteren Gefährten und Gatten der Mutter mit, Oskar Kokoschka, Walter Gropius und Franz Werfel, ihre Rolle in Annas Leben. Ebenso die Großeltern Anna und Carl Moll, die nach Mahlers Tod für die Familie wichtig waren. Man lernt die Malerin Bronica Koller-Pinell näher kennen, den Komponisten Ernst Krenek, den Verleger und Verlagsgründer Paul Zsolnay, beide Ehemänner, ebenso wie Anatoli Fistulari und Albrecht Joseph. Wichtig wurde Fritz Wotruba, der Lehrer, nur einer der vielen „Promis“ der Epoche, die dank der Kreise, in denen Anna Mahler sich bewegte, ihren Weg kreuzten.
Und man folgt ihr durch viele Orte, schon als Kleinkind in New York, dann Wien und Semmering und Venedig (an allen drei Orten hatte Mutter Alma ein Haus), nach Rom und Paris als Studienorte, Emigration nach London und in die USA, dort zeitweise in Los Angeles in der Nähe der Mutter, später dann immer wieder Spoleto. Ihre Unruhe bezog sich auf Menschen und Orte und mag damit zusammen hängen, dass sie von Kind an keine Stabilität gekannt hatte.
Renate Wagner