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FRITZ MAUTHNER

06.10.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Veronika Jicínská (Hg.)<
FRITZ MAUTHNER (1849-1923)
Zwischen Sprachphilosophie und Literatur
248 Seiten, Verlag Böhlau, 2021 

Zu seinen Lebzeiten war Fritz Mauthner (1849-1923) in der Welt der deutschsprachigen Literatur ein beachteter Mann: in Berlin Journalist und Theaterkritiker, als Schriftsteller mit zahlreichen Romanen vertreten, und schließlich ein bekannter „Sprachkritiker“, allerdings außerhalb der Universitäts-Kreise, was auch manches Nasenrümpfen verursachte. Heute ist Mauthner so gut wie vergessen.

Aber es ist nicht die deutschsprachige Wissenschaft, die ihn hervorholt, sondern die tschechische. Wie neulich auch im Fall des Mediziners Eduard Albert gibt es ein weiteres Beispiel der heutigen tschechischen Literaturwissenschaft, eine deutschsprachige, in diesem Fall auch jüdische, in Horschitz geborene, in Prag aufgewachsene, in Wissenschaft und Literaur wesentliche Persönlichkeit „zurück zu holen“ und in einem Buch wieder bewusst zu machen.

Veronika Jicínská, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der J. E. Purkyně-Universität in Ústí nad Labem (zu Mauthners Zeiten hätte man zu dieser nordböhmischen Stadt noch „Aussig“ gesagt), hat einen Sammelband über Fritz Mauthner heraus gegeben, in dem sein Leben und Schaffen vielfältig reflektiert werden. Vor allem geht es natürlich bei dem in Böhmen geborenen deutschsprachigen Juden (jüdischen Deutschsprachigen) um seine Beziehung zum „Tschechischen“, um es so weit zu fassen – bis fünf Jahre vor Mauthners Tod waren es ja die „böhmischen Länder“ der Habsburger-Monarchie. Ungeachtet dessen, dass der tschechische Anteil der Bevölkerung bis zu einem Dreiviertel hoch war, gab es doch auch einen geringen, aber wirtschaftlich und intellektuell wichtigen Anteil von Deutschsprachigen, darunter auch Juden.

Wie groß die Spannungen zwischen den verschiedensprachigen Bevölkerungsteilen waren, hat nicht zuletzt die Geschichte bewiesen, die im 20. Jahrhundert bis zu den Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg feindselig und vielfach auch blutig ausgefallen ist. Schon in der Monarchie gab es für die „deutsche Zivilisation“ Überlegenheitsgefühle gegenüber den „tschechischen Barbaren“. Vorurteilsfreier Umgang mit den Slawen ließ auf sich warten.
Aus einer deutsch-jüdischen Familie in Böhmen stammte der am 22. November 1849 geborene Fritz Mauthner. Sein Vater war ein wohlhabender Tuchhändler in der Stadt Horschitz,  der mit seiner Familie nach Prag zog. Fritz war damals sechs Jahre alt. Hier studierte er Jus (und nahm als „Deutscher“ an den steten Querelen der deutschsprachigen mit den tschechischsprachigen Studenten teil), wurde Journalist und Schriftsteller, fühlte sich dem deutschsprachigen Kreis verbunden.

Aber er hatte genügend  Kenntnis der tschechischen Welt, um sich dieser stets verbunden zu fühlen, auch als er vordinglich in Deutschland lebte – von 1876 bis 1905 beruflich erfolgreich in Berlin,  danach in Freiburg im Breisgau, ab 1909 bis zu seinem Tod am 29. Juni 1923 in Meersburg am Bodensee. Zu den tschechischen Wurzeln seiner Geburt und jungen Jahre zog es ihn nicht zurück, wohl aber behandelte er in zahlreichen Romanen Themen aus dieser Welt.

Der Band behandelt nun in vielen Beiträgen etwa die Frage, ob und wieweit Mauthner ja doch zur Prager deutschsprachigen Literatur hinzu zu zählen ist, wobei man ihn – der deutschen, tschechischen, jüdischen Einflüsse wegen – als „Hybrid“ betrachtet. Ein anderer Beitrag befasst sich mit der „gelebten“ Mehrsprachigkeit, wobei die Frage offen ist, wie weit das „Kuchelböhmisch“ oder auch das berühmte „Prager Deutsch“ mit der Monarchie untergegangen sind. Dazu kam das „Mauscheldeutsch“, ein Äquivalent für Jiddisch.

Diese Welt war für Mauthner etwa so selbstverständlich wie für Franz Kafka, der zwar viel jünger war als Mauthner, aber nur ein Jahr nach ihm starb. Auch für Rilke war zumindest in seinem Frühwerk das Tschechische nicht zuletzt als Inspiration bedeutend.

Wie wichtig der „Sprachkritiker“ Mauthner die Sprache nahm, formulierte er nicht zuletzt damit, dass er sie „das Gedächtnis der Menschen oder ihre Vernunft“ nannte. Seine literarischen Werke befassten sich mit tschechischen und jüdischen Themen, und es war sicher nicht einfach, „deutschnational“ zu empfinden, wenn einem der antisemitische Wind entgegen wehte. Vor allem aber geht es in dem Buch um die Rückgewinnung Mauthers für die Tschechen, um die Frage, ob er sich als „Deutscher“ diesen und den Juden überlegen fühlte. Das zu beantworten, liegt vielfach im Auge des Betrachters.

Tatsächlich waren „gemischte Identitäten“ ein starkes Problem für die Monarchie – und es fällt auf, dass der alte Fall Mauthner hier direkt zu einem heutigen Problem führt. Denkt man an Lebensverhältnisse in unserer Welt, finden sich etwa bei Migrantenkindern der ersten Generation solche Spannungen zwischen den Kulturen, aus denen man kommt und in denen man lebt (samt ihren Vorurteilen und Kämpfen),  durchaus wieder.

Renate Wagner

 

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