„ICH DENKE IN LANGSAMEN BLITZEN“
FRIEDERIKE MAYRÖCKER. JAHRHUNDERTDICHTERIN
Hsg,: Bernhard Fetz, Katharina Manojlovic und Susanne Rettenwander
352 Seiten, Paul Zsolnay Verlag, 2024
Die Kult-Figur in Schwarz
Sie schrieb keine Bestseller, aber die Bewunderung, die Literaturfreunde ihr entgegen brachten, war groß. Als das Gerücht auftauchte, eine Österreicherin würde den Literatur-Nobelpreis erhalten, gab es für viele nur einen Namen: Friederike Mayröcker. Wie man weiß, ging die Auszeichnung an ihre äußerlich spektakulärere, oft in den Medien erscheinende Kollegin Elfriede Jelinek. Die Mayröcker hingegen lebte geradezu – als Mensch und Schriftstellerin – in ihrer Schreib-Höhle, umgeben von erstickenden Unmengen von Papier und ihrer Schreibmaschine… Für sie selbst war das allerdings kein Chaos, sondern der Weg in die Ordnung des zu Schreibenden und Geschriebenen.
Geboren am 20. Dezember 1924 in Wien, vor drei Jahren (am 4. Juni 2021) ebenda hoch betagt gestorben, widmet das Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek der Dichterin eine Großausstellung zum 100. Geburtstag. Die Live-Begegnung mit einem Leben in Schrift und Sprache lebt weiter in dem dazugehörigen, im Zsolnay Verlag erschienen Buch: „ich denke in langsamen Blitzen“, das sie im doppelten Sinn als „Jahrhundertdichterin“ preist und wo ihr von den Herausgebern gleich im Vorwort „Kultstatus“ zugewiesen wird.
Oft sagen Bilder tatsächlich mehr als tausend Worte – das Besondere am Leben der Friederike Mayröcker dokumentiert sich in Fotos, die gleich zu Beginn des Buches stehen – das Chaos einer Existenz, das nach dem Tod gewissermaßen „ins Museum“ kam, genauer: ein Nachlaß in den Besitz der Österreichischen Nationalbibliothek: „Eine riesengroße Masse an Zetteln, Fotos, Zeichnungen, Tonbändern, Verpackungsmaterial, Medikamenten, Plüschtieren, Schreibmaschinen, gewidmeten Gedichten, Bildwerken von unbekannten und berühmt gewordenen Künstler*innen“ – das ist das ist das Archiv, das aus dem „Schreibuniversum“ der Dichterin hervorging. Hunderte Boxen wurden benötigt, dieses Material zu übersiedeln. Sie war vielleicht der letzte analoge, der letzte an Papier verhaftete Mensch in den letzten Jahrzehnten ihres Lebens, wo die Digitalisierung alles Haptische auffraß.
Dass Leben und Werk bei ihr gewissermaßen eins waren – das zählt zu den Besonderheiten der Rätselfrau, die in ihrer Jugend etwas geheimnisvoll, ungewöhnlich Attraktives hatte und im Alter durchaus hexenhaft erscheinen konnte, oder war sie eine Zauberin, wie viele fanden`… und immer in Schwarz, eine österreichische Greco.
Dabei schien es wie ein ganz „normaler“ österreichischer Lebenslauf zu beginnen, wobei ein Geburtsjahr wie 1924 bedingte, dass man einen Großteil seiner frühen Jahre in der Welt des Nationalsozialismus verbrachte. Friederike Mayröcker war 21, als der Krieg zu Ende ging, dem bürgerlichen Beruf einer Englischlehrerin ging sie viele Jahre nach. Zu schreiben hatte sie früh begonnen, auch sie profitierte von der Welt des künstlerischen Aufbruchs nach dem Krieg, Kollegen bewunderten ihre Gedichte, schließlich wagte sie den Rückzug in ihre Schreibwelt, beeindruckte durch ungeheure Produktivität, veröffentliche oft mehrere Bücher jährlich, über 120 sind es in ihrem Leben geworden.
Sie war 30, als sie Ernst Jandl kennen lernte, den Schrullig-Genialen, der ihre Beziehung in Reimen und Konjunktiven so amüsant wie dicht zu beschreiben verstand, immer voll Ehrfurcht und Bewunderung für die Partnerin. Sie lebten nie zusammen und waren doch über vier Jahrzehnte lang ein untrennbares Paar bis zu seinem Tod im Jahr 2000. Vom „Jandl-Mayröcker-Kosmos“ ist in einem der wissenschaftlichen Aufsätze des Buches die Rede, sie waren sich so nahe, dass sie auch Gemeinschaftliches veröffentlichten – und die beiden interessierten die Öffentlichkeit, gerade weil sie so sehr von dem Klischee eines „Promi-Paares“ abwichen. Edith Schreiber, eine Freundin von Jandl und Mayröcker, die der Schriftstellerin nach Jandls Tod beistand, gibt in einem Interview ein sehr lebendiges Bild über einen gar nicht „theoretischen“ Alltag der beiden…
Oft wurde festgestellt, wie schwer es Friederike Mayröcker ihren Lesern gemacht hat – nicht nur, weil ihre Werke oft so seltsame Titel trugen, die regelrecht herausfordernd wirkten, ihr Geheimnis zu enträtseln. Auch dass sie sich der traditionellen Leserforderung nach Geschichten entzog, war für sie typisch. Sie collagierte, was sie im Leben fand (im eigenen, obwohl sie „Biographisches“ ablehnte, und in dem der anderen), sie fügte Eindrücke aus den Künsten hinzu, sie griff auf Träume zurück… und das alles auf vielen Zetteln notiert, immer mit den kleinen Schreibmaschinen getippt, die zu ihr gehörten, am Ende zu einem unikaten Kosmos zusammengefügt aus scheinbar Unvereinbaren zu dem, was vielen als große Literatur galt.
Man erfährt viel in diesem Buch über die in Papier- und Bücherfluten versinkende Autorin, aber wahrscheinlich wird man mit besonderer Faszination in den Bildteilen blättern. Fotos, Handgeschriebenen, Getipptes (mit Korrekturen, die kein Computer so aufzubewahren vermöchte), Gezeichnetes. Auch hier mag man nicht alles verstehen, was man sieht. Aber die „Magie“, die Friederike Mayröcker stets umwehte, wird ganz dicht fühlbar. Bis zum tragischen Bild der alten Frau mit dem Rollator, die erschöpft auf einer Parkbank ausruht…
Renate Wagner