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FREIBURG: NABUCCO. Wiederaufnahme

15.10.2013 | KRITIKEN, Oper

Verdi: NABUCCO – Theater Freiburg – Wiederaufnahme 10.10.2013

Nabucco
Chor und Jin Seok Lee.

 Nabucco war einer der grössten Erfolge von Verdi und verhalf diesem zu seinem Durchbruch. Manches Opernhaus scheut aber vor dieser Oper zurück: Einerseits gilt Nabucco als „Hit ohne Oper“, wo gerade mal der Gefangenenchor hörenswert ist, zum andern sind die beiden Hauptrollen – Nabucco und Abigaille – schwierig zu besetzen, da sie praktisch die Oper im Alleingang tragen müssen. Umso verdienstvoller ist die Wiederaufnahme dieser Oper im Verdijahr durch das Theater Freiburg.

Der Hauptteil der Oper besteht aus dem Vater-Tochter-Konflikt zwischen Nabucco und seiner vermeintlichen Tochter Abigaille. Mit der Besetzung dieser beiden Rollen steht und fällt also die Inszenierung. Und da hat Freiburg Glück: Juan Orozco wirkt zwar bei der Premiere der Wiederaufnahme etwas indisponiert, hält aber tapfer durch und singt diese schwierige Partie brillant mit seinem vollen warmen Bariton. Der eigentliche Star des Abends ist aber Kristina Kolar, deren Bühnenpräsenz überragend ist und die der Rolle der Abigaille mit ihrem dramatischen Sopran Leben einhaucht. Dass sie sich dabei fast verausgabt, liegt in der Natur der Rolle: Diese hat gar manchem Sopran die Stimme und die Karriere gekostet.

Nabuccos leibliche Tochter Fenena wird von Chariklia Mavropoulou überzeugend interpretiert. Dass Verdi die Rolle des jüdischen Gesandten (und Geliebten Fenenas) Ismaele so knapp bemessen hat, ist nicht die Schuld von Adriano Graziani, der immerhin – als einziger auf der Bühne – ein verständliches Italienisch vorweisen kann.

Hervorzuheben sind auch Jin Seok Lee als Hohepriester Zacharia, der seine Aufgabe gut meistert, nur manchmal in den tiefen Lagen Probleme hat und etwas mehr Personenführung vertrüge. Die schönen Stimmen von Taiyu Uchiyama als Oberpriester des Baal und Shinsuke Nishioka als Abdallo sind ebenfalls positiv zu vermerken.

Höhepunkt jeder Nabucco-Vorstellung ist aber natürlich der Chor „Va pensiero“ und da muss sich der Chor des Theater Freiburg (Leitung: Bernhard Moncado) nicht verstecken. Fabrice Bollon dirigiert das Philharmonische Orchester Freiburg gewohnt souverän und kostet Verdis Larghi genüsslich aus.

Die Kostüme (Stefan Rieckhoff) sind – von den für ein Gebet im jüdischen Tempel etwas deplaziert wirkenden roten Ballkleidern bis zum weissen Bademantel des Königs – eher gewöhnungsbedürftig, stören aber immerhin die Handlung nicht. Dass sich aber Fenena und Abigaille um einen Glatzkopf im roten Anzug mit roter Krawatte streiten, nimmt man ihnen nicht ganz ab. Ihre Koffer haben die jüdischen Gefangenen bei ihrer Verschleppung nach Babylon wohl auch nicht mitnehmen dürfen, die Szene erinnert auch etwas zu stark an die Nazizeit.

 Die Dekoration der Bühne (ebenfalls Stefan Rieckhoff) ist angenehm karg. Dass erst nur der begehbare erhöhte Kubus mit babylonischer Keilschrift geschmückt ist, bald aber die ganze Bühne inklusive der Kostüme, unterstreicht die steigende Dominanz der Babylonier und der Umzug der Handlung von Jerusalem nach Babylon aufs Trefflichste. Allerdings schaudert es jeden, der schon mal das Studium der Keilschrift betrieben hat: Diese verläuft nämlich grundsätzlich nur von oben nach unten und von links nach rechts, und nicht in alle Richtungen. Ein zweites Schaudern erfasst den Altorientalisten, als der König in seinem Kubus fleissig Keilschriftzeichen mit einem Pinsel an die Wände malt: Keilschrift wird nämlich – wie der Name schon sagt – nicht gemalt, sondern mit einem Keil in die noch weiche Tontafeln gedrückt. Auch das Motiv des Vorhangs, das wohl Babylon suggerieren soll (eine Kopie eines assyrischen Reliefs aus dem Palast des Assurbanipal in Ninive, das Gärten auf einer Terrasse zeigt und deshalb als einer der Vorläufer für die berühmten hängenden Gärten von Babylon angesehen werden kann), stammt aus einer Zeit etwa 100 Jahre vor Nebukadnezar II. Etwas mehr Recherche als eine 5-Minuten-Google-Suche hätte man da schon erwarten können.

 Die Inszenierung von Michael Sturm ist angenehm zurückhaltend. Das unschuldige Kind, das er Nabucco wie dessen eigenes Gewissen gegenübertreten lässt und das den König an die bevorstehende Hinrichtung seiner Tochter mahnt, fügt sich problemlos in die Handlung ein. Die dramatische Verflechtung eines geknechteten Volkes mit dem Familienkrach in einem Königshaus benötigt auch nicht mehr. Umso mehr kann man sich auf die wundervolle Musik konzentrieren – und stellt erstaunt fest, dass Nabucco noch viel mehr bietet als den Gefangenenchor.

 Diesen gab es übrigens nach der Vorstellung zum Anlass von Verdis Geburtstag vor exakt 200 Jahren sogar noch einmal als Encore – und das Publikum sang lautstark mit.

 Alice Matheson

 

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