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FREIBURG: LA BOHÈME. Premiere

Inszenierung: Frank Hilbrich

22.04.2018 | Allgemein, Oper

Freiburg: “LA BOHÈME“ Giacomo Puccini
Premiere am  21. April 2018  Regie: Frank Hilbrich

Bildergebnis für freiburg la boheme

                     Solen Mainguenè, Harold Meers   ©      Rainer Muranyi

Der deutsche Regisseur Frank Hilbrich ist am Theater Freiburg nicht unbekannt. Er hat hier einige erfolgreiche Produktionen gezeigt: „DER RING DES NIBELUNGEN“, „LOHENGRIN“, „PARSIFAL“, „KASPAR HAUSER“, „DIE CSARDASFÜRSTIN“. Alle diese Produktionen wurden vom Freiburger Publikum sehr gut aufgenommen.
Am 21. April 2018 fand die Premiere seiner ersten Puccini-Produktion statt. „LA BOHÈME“.

Um es vorweg zu nehmen: Selten habe ich Regie-Arbeiten gesehen und gehört, welche den Standard von Hilbrichs Arbeit mit seinem gesamten Team erreichen. Seine ausserordentliche schauspielerisch/musikalische Personenführung, seine Akribie, mit welcher Hilbrich auf die Diktion achtet, sein Einfluss auf Kostüme, Lichtdesign und Bühne erstaunen mich immer wieder. Hilfreich dabei ist natürlich, dass er immer wieder mit den gleichen Künstlern (Thiele, Rupprecht und Philipp) in diesen Bereichen arbeitet. Dazu kann ich als Rezensent nur sagen: Einige Regisseure/Regisseurinnen könnten sehr viel von der Arbeit Hilbrich lernen und profitieren.

Frank Hilbrich hat seine Bohème im 21. Jahrhundert angesiedelt. Fernsehkamera, Laptop sind allgegenwärtig. Die Geschichte, welche erzählt wird, ist bekannt. Die Story ist sehr einfach und die Handlung eher statisch. Wesentlich wichtiger ist die Interaktion zwischen den einzelnen KünstlerInnen auf der Bühne, dies sowohl emotional als auch musikalisch. Und hier wächst Hilbrichs Regie über sich hinaus:
Die musikalisch/emotionale Personenführung in jedem der vier Bilder ist zwingend und sehr eindringlich. So eindringlich, dass der sonst übliche Zwischen-Applause fast immer wegfällt, sehr zu meiner Freude.

Seine Interpretation des ersten Bildes ist stringent. Gerade dieses erste Bild verführt zum statischen Rampensingen und dieser Gefahr ist Hilbrich genial ausgewichen. Mit einer Fernsehkamera (im normalen Leben ein Handy) stellen sich die die vier Protagonisten Rodolfo (Harold Meers), Marcello (Michael Borth), Schaunard (John Carpenter) und Colline (Jin Seok Lee) im heutigen Selfie-Stil immer wieder neu auf der Leinwand dar. Diese erste Bild schliesst mit der Schlüsselszene, in welcher sich Rodolfo und
Mimi (Solen Mainguené) das erste Mal begegnen.

Leichter zu inszenieren scheint das zweite Bild zu sein. Musetta (Katharina Ruckgaber) erscheint mit ihrem derzeitigen Geldgeber Alcindoro (Juan Orozco). Interessant ist hier die Arbeit der Kostümentwerferin: Sie stellt den farbefrohen Kinderchor den schwarzgekleideten (Trauer) Eltern gegenüber. Dies nimmt ist eine subtile Anspielung auf das tragische Ende Mimis (memento mori).

Einen Höhepunkt im dritten Bild ist Quartett, eigentlich zwei Duette: Eifersüchtig Marcello/Musetta,
verliebt Rodolfo/Mimi. Hier wird die Qualität, der Professionalismus des philharmonischen Orchesters und seines Dirigenten so richtig gefordert: Die Partitur zeigt gegenläufige, ineinander verlaufende Melodielinien und die SängerInnen auf der Bühne müssen/sollen musikalisch gleichwertig dargestellt werden. Auch dies natürlich eine Herausforderung für die Regie. Die Emotionen können gefühlt, die unterschiedlichen Melodien gehört, der Text sehr gut verstanden werden.
Die Eindrücke vom vierten Bild finden sich am Schluss der Berichterstattung.

Der amerikanische Tenor Harold Meers interpretiert den Rodolfo mit perfekter Diktion, mit einer Melodieführung, welch ihresgleichen sucht und einer Körpersprache, welche jeden Ton, jede Silbe unterstreicht, bestätigt und verstärkt. Seine Arie im ersten Akt („Che gelida manina“) gibt dem Publikum schon früh einen Vorgeschmack auf das Können von Meers. Ein Vergleich mit Luciano Pavarotti ist sei gewagt: Meers kann sehr wohl bestehen!

Solen Mainguené interpretiert Mimi einerseits als starke Persönlichkeit, welche andererseits unter ihrer fragilen Gesundheit leidet. Ihr Diktion, welche ich schon in ihrer Antonia (HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN) bewundert habe, ist auch hier wieder perfekt. Was ich bei Rodolfo betreffend Körpersprache erwähnt habe gilt für Mainguenè in noch stärkerem Mass. Dabei ist sie fähig ihre Emotionen mir ihrem Gesang perfekt auszudrücken. Ihre Stimmbeherrschung, ohne falsches Vibrato, ist so gekonnt, dass sie niemals Partnerinnen oder Partner auf der Bühne „an die Wand singt“. Dies spricht für ihre künstlerische Integrität und ihre Bühnensicherheit. Ihre Arie („Mi chiamo Mimi“) im ersten Akt sowie das Duett mit Rodolfo („O soave fanciulla“) zeugen von ihrem Können. Die gesungenen Emotionen der Beiden werden glaubwürdig und subtil ausgedrückt.

Der Bariton Michael Borth gibt seinen Marcello in hervorragender Weise und einer grossen Spielfreudigkeit. Als Musetta stand Katharina Ruckgaber auf der Bühne. Ihre Performance war geprägt von einem schauspielerischen Talent und einer klaren Stimme mit hervorragender Diktion. Im Duett mit Marcello ebenso wie im Quartett mit Mimi, Rodolfo und Marcello war ihre stimmliche Präsenz zwingend und ihre Emotionen (Eifersucht) klar erkennbar. Dieses Quartett („Addio dolce svegliare all mattina“) hat es in sich, was Anpassungsfähigkeit an die Bühnenpartner betrifft:  Alle Stimmen sind gleichwertig und dies erfordert optimale Zusammenarbeit/Zuhören unter den ProtagonistInnen. Dies war in Freiburg der Fall.

Für das Bühnenbild inklusive Video verantwortlich ist Volker Thiele. Die Kostüme wurden von Gabriele Rupprecht entworfen. Das Lichtdesign trägt die Handschrift von Michel Philipp.

Das Philharmonischen Orchester Freiburg mit seinem Dirigenten Daniel Carter, dem vom Chorleiter Norbert Kleinschmidt geleiteten Opern-Extra und Kinderchor Theater Freiburg überzeugt von Anfang bis Ende ohne Einschränkung. Die Subtilität, mit welcher Carter die Sänger begleitet und unterstützt, ist bewundernswert und zeugt von einer hohen Sensibilität für das Geschehen auf der Bühne.

Das vierte Bild, das Ende der Oper, gipfelt im Tode Mimis, optisch wunderbar unterstrichen mit einer toten Mimi im Vordergrund und dem sich entwickelnden Videobild im Hintergrund und mit leisen, traurigen Tönen Rodolfo: ‚Mimi Mimi‘! Kurzes Schweigen im Saal! So eindrücklich war dieses Schlussbild!

Das zahlreich erschienene Premieren Publikum belohnte die Arbeit des gesamten Teams mit lautstarkem und lang anhaltendem Applaus.

Peter Heuberger Basel

 

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