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FREIBURG: GEGEN DIE WAND von Ludger Vollmer

12.04.2014 | KRITIKEN, Oper

Freiburg: „GEGEN DIE WANDˮ –11.4. 2014 (Pr. 29.3.)

 Schon die Location ist ein Event: Die Brauerei Ganter stellt dankenswerterweise dem Theater Freiburg während der Sanierung der Bühnentechnik des Grossen Hauses ihr Gelände zur Verfügung, auf dem eine beeindruckende Theaterhalle erstellt wurde, in der das Freiburger Theaterleben bis Ende Juli stattfinden wird. Die Not wird in diesem Fall tatsächlich zur Tugend: Mangels eines Orchestergraben sitzt das Orchester auf der Bühne und wird so Teil des Ensembles. Und das ist bei dieser Oper von Ludger Vollmer (nach einem Film von Fatih Akin) folgerichtig: Die – zum grossen Teil türkische – Musik ist der Star des Abends.

 Die lebenshungrige Sibel (berührend: Sirin Kilic) geht mit Cahit (leidenschaftlich: Gabriel Urrutia) eine Scheinehe ein, damit ihre traditionelle Familie (Vater: Evert Sooster, Mutter: Orietta Battaglione, herausragend Sibils Bruder: Shinsuke Nishioka) sie in Ruhe lässt. Sie will frei sein, Männer durchtesten, sich finden. Ihr grosses Vorbild ist ihre unabhängige Cousine Selma (Marion Costa), eine Hotelmanagerin.

 Doch die beiden Eheleute verlieben sich unverhofft – und zu spät – ineinander. Als Cahit einen der zahlreichen ehemaligen Geliebten seiner Frau tötet, muss er ins Gefängnis. Sibel schafft es nicht, auf ihn zu warten, wie sie ihm versprochen hat, sondern beginnt ein neues Leben mit neuem Mann und Kind in Istanbul.

 Michael Sturm inszeniert die 2008 uraufgeführte Oper von Ludger Vollmer emotionsgeladen, mit einer anfangs als skurril, bald aber als äusserst passend empfundenen Mischung aus Deutsch und Türkisch. Die Sprache ist jung und derb, die Geschichte brandaktuell: Sie könnte jederzeit in irgendeiner Mietwohnung irgendwo in Deutschland stattfinden.

 Die Stars des Abends sind aber die türkischen Instrumente, die den sowieso stark orientalischen Klängen der beeindruckenden Musik das gewisse Etwas geben. Johannes Knapp gebührt das Lob, sowohl die klassischen als auch die orientalischen Instrumente des Orchesters gut im Griff zu haben, und das in einer höchst ungewohnten Umgebung. Auch der Freiburger Chor (unter der erfahrenen Leitung von Bernhard Moncado) liess sich nicht irritieren und lieferte die gewohnte hohe Qualität.

 Das Experiment geht auf. Die deutsch-türkische Zerrissenheit zwischen Herkunft und Alltag, der Konflikt zwischen Tradition und Lebenshunger, der Gegensatz zwischen traditioneller Rollenverteilung und modernem Frauenbild bewegt nicht nur Türken, von denen sich auffallend viele im Publikum befinden. Das grosse Verdienst dieser Oper ist vor allem, dass sie Menschen ins Theater lockt, die ansonsten nie ein Opernhaus betreten würden. Die niedrigere Hemmschwelle des Brauerei-Geländes tut dafür wohl ihr Übriges.

Alice Matheson

 

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