FREIBURG/ Breisgau: CARMEN
Freiburg i. Br. – Grosses Haus – Bizets „CARMEN“ – Wiederaufnahme-Premiere 27.09.15
Im Nichts verpufft: Katerina Hebelkova (Carmen) und Robert Gionfriddo (José). Foto: Maurice Korbel
Die Faustregel ABCD – gibt Aufschluss über die meistgespielten Werke des internationalen Opernrepertoires. Gemeint sind: „Aida“, „Bohème“, „Carmen“ und „Don Giovanni“. Mit der Wiederaufnahme von Georges Bizets „Carmen“ (Premiere: 29.11.2014) in der auf heutigen Bühnen eher selten gehörten Rezitativfassung wurde am 27.9. die Opernsaison 2015/2016 am Theater Freiburg eröffnet.
Nun ist es mit den ‚Ferraris der Opernwelt‘ so eine Sache. Das Publikum kennt die Stücke in- und auswendig, hat sie auf diversen Bühnen gesehen und trällert die ‚Gassenhauer‘ bereits auf dem Weg ins Theater vor sich hin. Es setzt sich mit einer bestimmten Erwartungshaltung, wie die Oper klingen und ausschauen soll, in den Zuschauerraum. Dem Regieteam stellt sich daher keine leichte Aufgabe: Versucht es, den Vorstellungen des Publikums zu entsprechen, fährt es zwar auf der sicheren Schiene und kann für kurze Zeit verzücken, liefert jedoch letzten Endes ein Auslaufmodell; die Inszenierung verpufft im Nichts. Zeigt sich ein Produktionsteam allerdings risikofreudiger, indem es das Gewohnte in einem neuen Design auf den Markt bringt, überrascht es den Konsumenten. Im besten Fall werden seine Erwartungshaltungen übertroffen und der Abend bleibt noch lange in Erinnerung.
Leider folgen die englische Regisseurin und Choreografin Rosamund Gilmore und die deutsche Kostüm- und Bühnenbildnerin Nicola Reichert mehrheitlich dem ersten Pfad: Allem ist man irgendwie schon einmal in einer „Carmen“ begegnet – von der heruntergekommenen Fabrikfassade im ersten, über die flamencotanzende Titelheldin im zweiten bis zu der an der Rampe dem Torero zujubelnden Chormasse im vierten Akt (man denke an die legendäre „Carmen“-Inszenierung von Calixto Bieito). Dabei beginnt der Abend zunächst unerwartet und vielversprechend mit einem Flamenco-Solo vor dem eigentlichen Vorspiel. Doch schon bald wird klar, dass das Tanzpaar (Elias Morales Pérez und Maria Pires) praktisch ununterbrochen die Bühne beherrschen wird. Es wirkt überflüssig, wenn nicht sogar störend. Dabei hätte aus der Kombination zwischen Opernregie und Tanztheater etwas Innovatives entstehen können. Hierzu hätte es zumindest mehr Interaktion zwischen den beiden Ebenen bedurft. Der vergeblich herbeigesehnte Spannungsbogen bleibt aus. Die Inszenierung plätschert bis zum Schluss vor sich hin.
Nichtsdestotrotz kann Katerina Hebelková mit einer sowohl darstellerischen als auch gesanglichen Glanzleistung zur Höchstform auflaufen. Sie hat die Rolle komplett verinnerlicht und verkörpert eine starke ‚femme fatale‘, die mit allen Wassern gewaschen ist. Überdies besticht sie durch präzise Diktion und eine ausdrucksstarke Stimme, die nicht nur Schönklang produzieren, sondern vor allem authentisch sein will. Ihr männlicher Partner (Don José: Roberto Gionfriddo) vermag ihr weder körperlich noch musikalisch das Wasser zu reichen: Unbeholfen bewegt sich der Tenor von einer Position zur nächsten und hat stimmlich Mühe mit Höhe und Intonation. Auch Juan Orozco als Escamillo steht neben der Rolle. Selbst als er Carmen im letzten Akt seine Liebe bekundet, bleibt er stimmlich emotionslos und hart. Jin Seok Lee, stets bereit für ein Stelldichein, gibt mit kraftvoller Stimme den strammen Leutnanten Zuniga.
Kim-Lillian Strebel (Micaëla) repräsentiert in perfekter Weise das aufopfernde, unschuldige Mädchen vom Lande – jeder zaghafte Schritt, jedes verlegene Augenaufschlagen sitzt. Sie triumphiert in ihrer großen Arie „C’est des contrebandiers“ mit anrührender, farbenreicher und tragender Stimme. Zu Recht einen Szenenapplaus für Musik und Szene ernten Hebelková, Susana Schnell (Mercédès), Shinsuke Nishioka (Dancairo), Elisandra Melián (Frasquita) und Bareon Hong (Remendado) im Schmuggler-Quintett. Letztere zwei sind Studierende der Hochschule für Musik Freiburg. Dem jungen australischen Daniel Carter, seit dieser Spielzeit Erster Kapellmeister am Theater Freiburg, gelingt es auf weiten Strecken, Sänger und Orchester zu koordinieren. Er lässt dem Opernchor und dem Philharmonischen Orchester Freiburg viel Klangraum für die großen Chöre und gestaltet vor allem die sinfonischen Zwischenspiele mit viel Intensität und Spannung.
Carmen Stocker