FREDERIC CHOPIN: POLONAISEN – PASCAL AMOYEL; La Dolce Volta CD
Maßstabsetzend
Die über einen längeren Schaffenszeitraum entstandenen sieben großen Polonaisen Opp. 26, 40, 44 und 53 sind Chopins persönliche musikalische Expression der Emanzipation von seiner Heimat, vom Virtuosen zum Schöpfer, des Zorns, der inneren Revolte. Zwischen der zuletzt in Warschau komponierten Polonaise und der ersten großen Pariser Polonaise lagen fünf Jahre. „Es ist eine andere Welt, im Exil, Schmerz, Verzweiflung, ein musikalischer Protest gegen die verhöhnte Freiheit.“, so Amoyel. Weit entfernt von den sattsam bekannten, langweiligen höfischen Schreittänzen zur Eröffnung von Bällen und anderen lustbaren Tanzabenden, hat der Franzose Pascal Amoyel für diese Stücke eine ganz eigene, kompromisslos wahrhaftige Tonsprache gefunden. Ganz aus der Ecke von Parfum und Marzipan geholt, ist in Amoyels Spiel nichts gemäßigt, er ist wahrhaftig kein pianistischer Mittelspurlotse. Aus seinem Steinway holt er alles, radikal, teils brutal hämmernd, immer mit größter innerer Anteilnahme, sei es das Drama der düsteren Auflehnung gegen die Unterdrückung des nationalen Aufstands in Warschau durch die russische Armee in der großen Polonaise in es-Moll, Op. 26, Nr. 2, sei es das Schlichte, Einfache, Metrische in der ersten Polonaise Op. 40, die „Militärische“ genannt.
Pascal Amoyels Spiel ist nichts weniger als maßstabsetzend. Vielleicht charakterisiert den intuitiven Künstler am besten, wenn er über seine großen Enttäuschungen die Chopin Rezeption am Pariser Conservatoire betreffend sinniert: „Respekt vorm Text ist ein Mittel, doch reicht es nicht als Ziel, vor allem, wenn die Partitur versteinert, stirbt. So ergeht es Chopins Musik im Conservatoire. Das Werk ist heilig, wie in einem Museum, wird vergöttert und schließlich nicht mehr gehört.“
Wie Pascal Amoyel die von Duktus und pianistischer Erzählkraft so unterschiedlichen Stücke in lebendigen, klaren Klang transponiert, so scheint es, als ob er seine eigene Seele nach Außen stülpte. Es ist ein technisch ausgereiftes, doch hoch vom Augenblick inspiriertes Musizieren, jenseits aller salontauglichen Klischees und historischer Einengungen. Wie er selbst sagt, ist die CD eine komplexe Alchemie, die schwieriger gelingt als ein Konzert. Es ist ein großartiges Album geworden, völlig uneitel und abhold jeder leeren Virtuosität, existentiell notwendig und das Chopin Bild von Grund auf neu malend. Wer sollte da nicht wünschen, dass Amoyel damit denselben Erfolg einheimst, wie für seine Gesamtaufnahme der Nocturnes, für die er 2010 von der Fryderyk-Chopin-Gesellschaft in Warschau mit dem Grand Prix du Disque ausgezeichnet worden ist. Eine unbedingte Empfehlung!
Dr. Ingobert Waltenberger