FRANZ SCHUBERT: KLAVIERSONATEN D. 960 & D. 664 – harmonia mundi CD
Javier Perianes erweist sich als leise hypnotisierender Romantiker
Ob Spanisches oder deutsche Romantik, der junge spanische Pianist Javier Perianes ist überall gleichermaßen zu Hause. Jetzt legt er nach den Impromptus D. 899 seine zweite Schubert CD vor, mit den im Abstand von neun Jahren entstandenen Klaviersonaten D. 960 und D. 664. Der letzten Sonate, kurz vor dem Tod Schuberts (an den Spätfolgen einer Syphilisinfektion) vollendet, haftet keine Spur eines melancholischen Abgesangs noch eines schicksalshaften Aufbäumens an. Insbesondere im Kopfsatz Molto moderato und der überirdischen cis-Moll Barcarole des Andante sostenuto sehe ich bei Perianes‘ verinnerlichter Interpretation jemanden auf der Wiese liegen und die vorbeiziehenden Wolken beobachten, beinahe teilnahmslos. Außer Lichtwechseln und ständiger Bewegung kosmische Leere, die Zeit steht still, wäre da nicht etwas berauscht-weggetretenes. Perianes bleibt innerhalb einer engen Amplitude an Dynamik und Rubato, sein innerhalb dieser Limits hochsensibles lyrisch-sanftes Spiel lässt impressionistische Eindrücke aufkeimen, ohne eine Sekunde in Beliebigkeit abzugleiten. Ein duftig dahinfliegendes Scherzo macht seine Reverenz vor der Klarheit und dem tänzerischen Schwung im Finalsatz. Auch hier ist das zurückgenommene, ganz der feinen Klinge folgende Spiel des Spaniers zu bewundern.
Die Zeitreise geht zurück ins Jahr 1818. Schubert unternimmt mit seinem Bewunderer und Freund Johann Michael Vogl eine Reise durch Oberösterreich. Er lernt Josefine, die Tochter des Eisenhändlers Josef von Koller kennen, der er auch die neue dreisätzige Klaviersonate in A-Dur, D. 664, widmen wird. Der Geist Mozarts ist nah. Javier Perianes unterstreicht hier vehementer die Kontraste zwischen harmlos scheinender Idylle und innerem Aufbäumen, ganz Unverständnis für die Wolke, die die Sonne verdeckt. Beim kurzen Andante muss ich an ein Interview mit Hans Hotter im Theater an der Wien denken, anlässlich dessen er auf die Frage, warum er denn so oft die Winterreise gesungen habe, meinte, „man könne gar nicht oft genug die Wahrheit sagen.“ Im Rondo scheint die Welt wieder im Liebeslot, kein Wollen oder grüblerisches Nachdenken trübt den Sinn, nur spielerischer Übermut entführt den Hörer aus dem Alltag. Javier Perianes Spiel wirkt umso intensiver und zu Herzen gehender, je bescheidener er als Interpret in den Hintergrund rückt. Paradox. Perianes hat offenbar seinen ganz persönlichen Draht zu Schubert gefunden, wir können ihm jetzt auf diesem mystischen Pfad lauschend folgen.
Dr. Ingobert Waltenberger