FRANZ SCHUBERT: KLAVIERMUSIK VIERHÄNDIG – Andreas Staier, Alexander Melnikov, harmonia mundi CD
Muss man romantische Musik auf Hammerklavier mögen? Nein. Eindeutig beschränkter sind die dynamischen und klanglich-expansiven Möglichkeiten im Vergleich zu einem modernen Konzertflügel. Alles eine bloße Frage der verflixten Hörgewohnheiten? Vielleicht. Die hier vorgestellte CD mit Schuberts vierhändig zu spielender Klaviermusik wurde von zwei der wohl besten Pianisten für dieses Interpretationsabenteuer aufgenommen. Dem Cembalo und Hammerklavier Wegbereiter Andreas Staier sowie dem formidablen russischen Virtuosen und Partner der Geigerin Isabelle Faust, Alexander Melnikov, der als Kind zwei Musikkassetten besessen hat: Schuberts C-Dur-Quartett und die Hornkonzerte von Mozart.
Sie spielen auf einem von Christopher Clarke nachgebauten Fortepiano Graf. Instrumente von Conrad Graf gelten als Höhepunkte des süddeutschen und Wiener Klavierbaus und als Prototypen des Übergangs zum romantischen Klangideal im Klavierbau. Beethoven und Chopin haben auf solch einem „Graf“ gespielt. Die Spezifika von Hammerklavieren sind, dass neben dem üblichen linken und rechten Pedal noch weitere Effekte mechanisch abrufbar sind: der Fagott-, der Janitscharen- und der Harfenzug. Besonders der Janitscharenzug mit Zimbel, Schellen und großen Trommeln gewürzt hat es auch unserem Duo angetan, die ihn bei der Marche Caractéristique D. 886 in C mit großem Geschick und zur Belustigung des Hörers parodierend einsetzen. Hat so Hausmusik im Biedermeier-Kammerl geklungen, als Schubert mit Lachner oder Caroline von Esterhazy selbst in die Tasten hieb?
Die CD wartet abseits der erwähnten Märsche mit drei großen Meisterwerken auf: Der Fantasie Op. 103, D. 940, den As-Dur Variationen über ein eigenes Thema, Op. 35, D. 813 und dem Rondo Op. 107, D. 951. Daneben erklingen Petitessen, wie die vier Ländler D. 814, die Polonaise Op. 61, D. 824 und noch ein Schwergewicht, die Grande Marche Op. 40, Nr. 3, D. 819.
Was Andreas Staier und Alexander Melnikov beim Schubert Spiel an Ausdrucksfinessen, feinst abschattierten Tönen und räumlicher Tiefenstaffelung entwickeln, wie sie in raschen Rhythmen frei rhapsodierend in der späten Fantasie den echohaften Spuk einfangen oder verspielt in der Oberstimme Ornamente improvisieren, das ist ereignishaft. Gerade die leiseren Töne des Instruments an der unteren Skala erlauben immense Kontraste, die die beiden Virtuosen von intimer Schwelgerei bis hämmernde Rhythmen mit Emphase wahrnehmen. Glasklaren tieferen Registern stehen gedeckte Höhen gegenüber, der leichte Nachhall mildert den bisweilen körnigen Klang ab. Beim öfteren Hören könnte man direkt süchtig werden nach diesem so sonderbaren Sound, der verstörend und faszinierend zugleich wirkt.
Dr. Ingobert Waltenberger