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FRANKFURT: VOLO DI NOTTE / IL PRIGINIERO von L. Dallapiccola – „Menschheitsträume=Wahnträume“

07.05.2012 | KRITIKEN, Oper

Menschheitsträume = Wahnträume / Luigi Dallapiccola: „Volo di notte“ & „Il Prigioniero“ – Oper Frankfurt, WA-Premiere 27.4.2012, besuchte Vorstellung 6.5.2012


Volo di notte“ – Lionel Lhote – Szene mit den Vögeln. Foto: Oper Frankfurt

Luigi Dallapiccolas Einakter könnten unterschiedlicher nicht sein, in Frankfurt versucht man im Spagat eine Klammer, um beide Werke zu verbinden. Auf Saint-Exepurys berühmten Roman „Vol de nuit“ fußend, 1940 im fioentiner Pergola-Theater uraufgeführt, ist die Oper „Volo di notte“ noch ganz dem faschistischen Gedankengut verhaftet. Ihr Potagonist Rivière ein musikalischer Widerpart zur 1936 erschienenen, glühenden Eloge Guido Mattiolis „Mussolini Aviatore“, die den Duce zum Pionier der Luftfahrt stilisiert. Doch trotz Rivières unerschütterlichen Fortschrittsglaubens mißtraut Dallapiccola diesem in der musikalischen Umsetzung. Er komponiert keinen heroischen Hymnus auf das technisch Machbare, sondern eher ein Lamento auf das Unmenschliche im Unmachbaren; wenig zeitgemäß und opportun im damaligen Geist der Zeit. Dichter und gefestigter erscheint der „Gefangene“. 1949 konzertant bei der RAI unter Hermann Scherchen uraufgeführt, ganz unter den Eindrücken der Schrecknisse des II. Weltkriegs entstanden, eine Anklage gegen das Unmenschliche, gegen die Unterdrückung anders Denkender.

Eigentlich verbindet beide Opern nichts. Keith Warner mit seinem Ausstattungsteam (Kaspar Glarner – Bühnenbild, Nicky Shaw – Kostüme, Olaf Winter – Licht) sehen auf der Traumebene einen Berührungspunkt. Im Nachtflug ist es der menschliche Wahntraum vom Fliegen der hier in der Hybris des Größenwahns des Flugdirektors Rivière kulminiert. Das Frankfurter Regieteam findet dabei eine poetische Metapher, die das Ganze ins Archaische überhöht. Alle, außer Rivière, tragen Vogelmasken. Kopfschüttelnd wundert sich die Natur über die Belanglosigkeit menschlichen Strebens. Im Gefangenen ist es der urmenschlichste Traum von Freiheit, der durch infam perfide Folterkünste zernichtet wird. Wenn auf dem Höhepunkt des ergreifenden Werks der namenlose Gefangene sich in trügerisch vermeintlicher Freiheit befindet und sich seiner letzten durchlittenen Qual, der Folter durch Hoffnung, bewusst wird, lassen Warner und Glarner den Großinquisitor in einem futuristischen Fluggerät vom Himmel schweben. Der Gebirgsprospekt, der schon als Rundhorizont für den Nachtflug diente, saust zu Boden. Beide Träume, die Inhaltsträume beider Werke, zerplatzen da wie Seifenblasen. Die technische Umsetzung dieser Wiederaufnahme aus der Spelzeit 2003/2004 erfolgt in gewohnter Frankfurter Solidität, die Personenführung, die für diese Serie an Caterina Panti Liberovici überantwortet wurde, ließ leider einige Wünsche offen. Zwei Protagonisten blieben seltsam blass hinter den Erwartungen zurück.

Marion Ammann, die sich immer öfter Randpartien ihres weitgefächerten Repertoires aneignet, konnte sich zwar als äußerst expressive Mutter im Gefangenen profilieren und überzeugte dort, trotz schneidender Accuti, durch ihren edlen Vortrag. Den Zweifeln und dem Leiden der Mme. Fabien, die um ihren abgestürzten Ehemann zittert und den herzlosen Direktor Rivière ob seiner Unmenschlikeit anklagt und ihm seine Hybris vorwirft, wusste sie kaum Gestalt zu verleihen. Beteiligungslos seltsam neben der Rolle stehend, sang sie die Lamenti, als erwarte Agathe ihren Max zum Abendessen. Das ist nun gar nicht das, was Dallapiccola mit dieser Rolle zum Ausdruck bringen wollte. Ähnlich verhält es sich mit Jeffrey Francis in der vermeintlichen Doppelrolle des Kerkermeisters und Großinquisitors im „Gefangenen“. Die Perfidie,  mit der der zynische Großinquisitor in der Maske des falschen Freundes, des sich versöhnlich zeigenden Kerkermeisters, wusste er weder optisch noch stimmlich überzeugend darzustellen. Francis fehlte vor allem das umschmeichelnde Vitriol des ätzernden „Fratello“ in der Stimme, mit der der Großinquisitor seine schmachvollste Folter vollstreckt.


Il Prigioniero“: Robert Hayward, Jeffrey Francis. Foto: Oper Frankfurt

Für die musikalische Umsetzung der Wiederaufnahmeserie konnte Lothar Zagrosek gewonnen werden, eigentlich ein Garant für die subtile Auslotung solcher Literatur. Doch auch er scheiterte an der komplexen Partitur von Dallapiccolas Erstling. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester verfiel unter Zagroseks zu gemächlichen Schlag in ein bleiernes Plätschern. Die Expressivität eines aufwühlenden, letalen Nachtflugs aus der Pionierzeit der Luftfahrt war das nicht, eher ein gemütlicher Linienlangstreckenflug in einer hochmodernen Boeing. Zagrosek fand aber im Gefangenen schnell zu seinen gewohnten Qualitäten zurück. Schon die aufwühlenden grellen Bläserstaccati, mit der Dallapiccolas Gefangenen-Passion anhebt, zeugten von elektrisierenden Klangwelten. Hier zeigte sich auch das Orchester wieder von seiner rühmlichsten Seite. Was vor allem dem im Spiel beklemmenden und im Gesang gefestigten Robert Hayward zu Gute kam. Wie das Regieteam diesen Gepeinigten zeichnet, werden Bilder wachgerufen, denen wir leider immer noch täglich ausgeliefert sind: Guantanamo, russische Folterkliniken, ukrainische Greuelgefängnisse etc. etc. sind da noch die bekanntesten. Der Gefangene ist hier ein Opfer moderner Geräte- und Elektrodenmedizin, wie sie in modernen Kerkern gerne missbraucht wird. Hayward spielt den Geschundenen, zu einem Labortier mutierten dahinvegetierenden Wesen in schockierender Realität. Wie er den Windhauch seiner vermeintlichen Befreiung förmlich erschnüffelt, läßt einem das Blut in den Adern gefrieren. Das geht weit über das hinaus, was man einem Singschauspieler abzuverlangen erwarten darf. Dazu kommen die starken Bilder eines modernen Kalvarienberges, dessen letzte Station im süßlich roten Licht eines offenen Krematoriumschlags ihren gräßlichen Kulminationspunkt findet. Stark die Leistung des perfekt einstudierten Chores (Leitung: Michael Clark). Eine skurril komische, kafkaesk anmutende Studie lieferten Michael McCown und Dietrich Volle als Priester.

Im „Nachtflug“ überzeugte Lionel Lhote als traumtänzerischer Herrscher der Lüfte. Sein Rivière wirkte trotz der unmenschlichen Unerschütterlichkeit seines Technikglaubens seltsam sympathisch, wenn er sich seinen Luftfahrtträumen hingibt. Ergreifend „Peter Marsh“ als Funker, die irdische Stimme des gerade zerschellenden Piloten Fabiens. Die übrigen Ensemblemitglieder boten Solides.

Ein recht informativer Abend, einer nur höchstachtbaren Repertoireaufführung, aber selbst die verläuft im Frankfurter Haus auf recht hohem Niveau.

Dirk Altenaer

 

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