Oper Frankfurt “Lohengrin” Wiederaufnahme vom 21. 10. 2016
Lohengrin im Kino im Stile der zwanziger Jahre
In vielen Opernhäusern wird bei einer Inszenierung auf die Historie und dem Mythos des Werkes teilweise oder ganz verzichtet.
So hat der Regisseur Jens-Daniel Herzog mit seinem Team (szenische Wiederaufnahme Hans Walter Richter, Bühnenbild und Kostüme Mathis Neidhardt, Licht Olaf Winter
und Dramaturgie Norbert Abels) auf den Lohengrin Mythos verzichtet und dabei die innerlichen Zusammenhänge beibehalten. Das Team hat mit seiner spannenden und detailbezogenen Umsetzung die szenische Darstellung erfolgreich vermittelt.
Annette Dasch, Vincent Wolfsteiner. Copyright: Barbara Aumüller
Bei Richard Wagner ist es König Heinrich der Vogler, der nach Brabant kommt, um ein Heer gegen den bevorstehenden Kampf mit den Ungarn, zusammen zu stellen und dabei von der Konfliktsituation zwischen Elsa und dem Verschwinden ihres Bruders erfährt. Mit Hilfe von Lohengrin wird durch den Sieg die Macht des Königs gefestigt. Dieser Lohengrin kehrt dann mit Schwan und Kahn nach Montsalvat zurück, was bei den Menschen Unverständnis hinterlässt.
Bei Jens-Daniel Herzog wird aus dem König Heinrich ein Parteifunktionär, der Gruppen von unterschiedlichen politischen Auffassungen gegenübersteht und dank eines furchtlosen barfüssigen Mannes, dessen Herkunft unbekannt ist, dessen Erscheinungsbild äußerst suspekt ist und der diese Gruppen im Laufe der Zeit zu einer kampfstarken Einheit bündelt. Als äußeres Zeichen tragen alle Beteiligten am Ende einen gleichfarbigen Umhang mit Parteibuch in der Hand. Der Parteifunktionär ist durch die Erfolge des Helden in eine führende Position gekommen und der Held wird nun nicht mehr benötigt und verlässt wieder barfüssig den Raum.
Zu Beginn, während der Ouvertüre, sieht das Publikum einen Kinosaal im Stile der zwanziger Jahre und Zuschauer, die den Opernbesuchern zugewandt sind und vermutlich einen Film sehen, dessen Inhalt unbekannt ist, aber höchstwahrscheinlich den historischen “Lohengrin” zum Thema hat. In der ersten Reihe sitzt Elsa mit Gottfried, der ein Fan von Lohengrin ist, weil er ein Horn und ein Spielzeugschwert bei sich trägt.
Plötzlich wird die Vorführung unterbrochen, weil Eindringliche eine Kundgebung veranstalten. Dabei entfernt sich Gottfried unbemerkt, weil ihn die Unterbrechung langweilt, und kommt, das darf man schon vorwegnehmen, am Ende der Vorstellung unversehrt wieder zurück. Wir haben es in dieser Zeit mit gewaltbereiten politischen Unruhen zu tun.
Der Auftritt von Lohengrin gestaltet sich grotesk. Man hat den Eindruck, dass seine Psyche ziemlich angeschlagen ist. Elsa in ihrer traumatischen Vorstellung, wegen der Mitschuld am Verschwinden ihres kleinen Bruders, sieht in den unattraktiven Lohengrin ihren Retter, strahlenden Helden und Liebhaber. Etwas gewöhnungsbedürftig ist der Kampf mit Telramund, der durch ein russisches Roulette ausgetragen wird.
Für Jens-Daniel Herzog, der ein abgeschlossenes Philosophie Studium vorzuweisen hat, ist Elsa der zentrale Ausgangspunkt für die Handlung. Sie sieht ihre Umgebung aus einer Mischung von Phantasie, traumatischen Erleben und verschwommener Realität. Die einzelnen Phasen ihrer Darstellung einzuordnen , ist nicht einfach, so dass es dem Besucher selbst überlassen bleibt, wie er die Situation beurteilt. Beispielsweise ist im zweiten Akt ihr Auftritt als Braut aus einem Phantasiegebilde entstanden, das aber endet, sobald der Bühnenraum erhellt wird.
Die Charakterisierung von Telramund ist nicht eindeutig. Vieles spricht dafür, dass er mehr ein Mahner ist, weil er das Geschehen misstrauisch beurteilt und ahnt, dass es sich eventuell in die falsche Richtung wendet.
James Rutherford, Andreas Bauer. Copyright: Barbara Aumüller
Empfehlenswert ist die Einschätzung des Lohengrin der Oper Frankfurt aus dem Premierenjahr von 2009 von dem profunden Richard Wagner Kenner, Dr. Klaus Billand, allerdings mit der Einschränkung, dass in der Wiederaufnahme viele Gesangssolisten einschließlich des Dirigenten, neu besetzt wurden.
http://www.klaus-billand.com/deutsch/rezensionen/lohengrin.html
Aus den Pausengesprächen geht hervor, dass viele Besucher, die sich vornehmlich eine textbezogene und vom Komponisten vorgegebene Handlung wünschen, bei der Regie die nötige Transparenz missen. Einer meinte sogar, dass hier nur ein „psychologisches Gutachten“ Aufklärung geben könne. Als Orientierungshilfe könnten die unterschiedlichen Lichtverhältnisse auf der Bühne helfen. Leuchtet die kleine Projektorlampe auf, bedeutet das, dass eine Filmvorführung stattfindet, wenn die Bühne ausgeleuchtet ist, handelt es sich um die reale Spielfläche. Bei Elsas Traumvorstellungen erscheint ein Lichtkegel auf der Bühne.
Das Dirigat von Stefan Blunier zelebriert aus dem Orchester der Oper Frankfurt verzauberte und dramatische Klänge hervor, für das Publikum ein großartiger Hörgenuss. Schon in der Ouvertüre bei Beginn mit den Streichern und mit extrem langsamen Tempi, die unmerklich voluminöser werden und den Besucher in eine imaginäre Welt, dem Lichte zustrebend, mitnehmen, sind beeindruckend. Ebenso mit der Ouvertüre zum dritten Akt wird mit kontrolliertem Forte auf das bedeutende Ereignis hingewiesen.
Großes Lob auch an den Chor einschließlich Extra-Chor mit seiner Wandlungsfähigkeit unter der Leitung von Tilman Michael. Beispielsweise im zweiten Akt, wenn der Chor seine Empörung, durch wildes gesangliches Durcheinander zeigt, aber dann beim Erscheinen von Elsa im Hochzeitskleid, mit den lyrischen Stimmen für eine bewegende Atmosphäre sorgt.
Bei den Gesangssolisten konnte man an manchen Stellen eine leichte Indisposition feststellen, was bei den Wetterkapriolen nicht verwunderlich ist, aber trotzdem war es eine bewundertswerte Leistung.
Elsa wurde mit der Bayreuth erfahrenen Annette Dasch und ihr Bräutigam von Vincent Wolfsteiner, besetzt, der diese Rolle mit heldentenoraler Stimme interpretierte. Das andere Paar mit Sabine Hogrefe als Ortrud, die mit einer lupenreinen Höhe stimmlich auffiel und mit Robert Hayward als Telramund, der in diesem Haus schon mehrfach mit seinem dramatischen Bariton erfolgreich auftrat.
Der Heerrufer, der seine Rolle als Hausmeister ausfüllte, war mit James Rutherford besetzt und Heinrich der Vogler verkörperte das Ensemblemitglied Andreas Bauer mit seinem voluminösen Bass.
Summa summarum kann man von einer empfehlenswerten Wiederaufnahme sprechen, die auf eine arbeitsintensive Probenarbeit schließen lässt.
Weitere Termine: 28. Okt., 3., 6. und 11. Nov.
Franz Roos