Anja Kampe, Dmitry Golovnin. Foto: Barbara Aumüller
Frankfurt: „LADY MACBETH VON MZENSK“
B-Premiere am 07.11.2019
Letztmals hatte die „Lady Macbeth von Mzensk“ im Jahre1993 an der Oper Frankfurt Premiere welche am 22. Januar 1934 in St. Petersburg uraufgeführt wurde. Stalin verhängte 1936 das Aufführungsverbot und Dmitri Schostakowitsch fiel ohnedies beim totalitären Regime in Ungnade. In der „Prawda“! erschien unter Einfluss des Diktators der vernichtende Artikel „Chaos statt Musik“. Nach der Novelle von Nikolai S. Leskow hatte der Komponist das Ziel, die Unterdrückung der Frau im vorrevolutionären Russland darzustellen. Zudem beinhaltete das Werk auch ein gewisses Maß an Sozialkritik, den Zuständen im Zarenreich in welchem das Individuum unterdrückt wurde und Wenige über Viele uneingeschränkt herrschten.
Der Frankfurter Schauspiel-Intendant Anselm Weber inszenierte nun die Oper einen Steinwurf entfernt am Opernhaus neu. Schnörkellos realistisch rückte der Regisseur das Schicksal der Katerina Ismailowa in den Fokus der Szenerie einer männerbestimmten Welt in welcher diese tragische frustrierte Frauenfigur vergeblich nach Befreiung und sexueller Selbstverwirklichung sucht, liebt, mordet und letztlich betrogen scheitert. Weber formte mit sachkundigem Gespür die Charaktere und dies gelang ihm vortrefflich dank seiner außergewöhnlich prägnanten Sänger-Darsteller. Gewiss erlebte ich so manche vorherige Inszenierung expressiver, radikaler aber schließlich gehört die Kaufmannsfamilie zur Gesellschafts-Gruppe der Bourgeoisie. So blieb der Regisseur stets am Limit der Ästhetik, gar selbst im Gulag.
Dazu kreierte Kaspar Glarner die ansprechenden Kostüme und ebenso die stimmige Bühnenatmosphäre. Ein Rundhorizont vor schwarzem Hintergrund bot der
zusätzlichen Optik die ideale Fläche für schöne Videoeinspielungen (Bibi Abel). Olaf Winter war für das eindrucksvolle Lichtdesign zuständig. Wenige Interieurs wie Bänke, im antiken Liebestempel (?) stand das Bett, diente nach oben katapultiert als Balkon. Jedoch lenkten die schönen Bilder keineswegs vom dramatischen Geschehen ab ganz im Gegenteil, die Handlung verlor nie an Spannung.
Zu expressiver Körpersprache verstand es Anja Kampe als in kleidsamer Mode der dreißiger Jahre gewandete Blondine Katerina Ismailowa beklemmende Gestalt zu verleihen. Glaubwürdig durchlebte die großartige Sängerin alle Facetten der leidgeprüften Frau und lieferte dazu die überwältigende Vokalise. Die vielseitige Sopranistin überzeugte souverän in der Bewältigung dieser äußerst extremen und schwierigen Partie mit großer Stimme, feinen Couleurs, lyrischen Akzenten und bester Intonation. Geriet so manch angestrengter Ton der extrovertierten Höhen mal zur scharfen Attacke, konnte man sie bedenkenlos der grenzenlosen darstellerischen Intensität zuordnen. Eine Interpretation der Extraklasse.
Bevor ich jedoch die weiteren Solisten nenne muss ich die phänomenale Leistung des hervorragend musizierenden Frankfurter Opern- und Museumsorchesters unter der Leitung seines genialen GMDs Sebastian Weigle würdigen. Ich muss gestehen, so traumhaft subtile, leise und nuancierte Klänge im Gegensatz der explosiven Handlung, hörte ich zuvor noch nie. Weigle zelebrierte mit seinen hellen und tiefen Streichern akustische Elegien von zauberhafter Schönheit, stellte an seine Musiker besonders hohe Anforderungen welche das prächtig disponierte Orchester bestens in instrumentaler Akkuratesse und Vielfalt bewältigte. In souveräner Stabführung blieb der einfühlsame Dirigent dieser zuweilen ironisierenden, klangreichen, gewitzten Partitur nichts schuldig, hielt stets die Balance der Tempi und ließ die Phonetik der übermächtigen Passagen nie ausufern. Ich empfand die einfühlsame Orchesterführung und instrumentale Transparenz geradezu als genial, salopp formuliert „wow“ schlichtweg der absolute Hammer. Bravo Maestro!
Ein Kabinettstück an Darstellung und Gesang lieferte Dmitri Belosselskiy als familiärer Depot und triebhafter Boris Ismailow sowie im Finalbild den bewegenden alten Zwangsarbeiter verkörpernd. In gewisser alterslosen Attraktivität stellte er unverblümt in ausufernden Begierde seiner Schwiegertochter nach und wäre da nicht Sergei …? Seine optische Autorität unterstrich der russische Bassist mit metallischer Intonation, nachtschwarzen Timbre und intensiv balsamisch strömendem Tiefenregister.
Ebenso einen vortrefflichen Eindruck hinterließ Dmitry Golovnin als Sergei. Der russische Tenor gestaltete den Geliebten Katerinas auf burschikose Weise in schier sympathischer direkter Art, sein späterer Betrug erschien quasi als Produkt einer Übersättigung und Neuorientierung. Mit strahlendhellem Timbre, warm getönter Mittellage und in bester Musikalität erwies sich der Sänger durch sein hohes Maß an Homogenität und Verschmelzung mit der Partie als Idealbesetzung dieser Partie.
Tenoral schönstimmige Qualitäten lieferten ebenso Evgeny Akimov als labiler Sinowi Ismailow sowie Peter Marsh in prächtiger Charakteristik des Schäbigen.
Köstlich reflektierte Alfred Reiter die Travestie-Neigungen des Popen und schenkte dem seltsamen Vogel zudem die würdige stimmliche Aussage.
Ohne vokale Einschränkungen glänzten die Stimmen der weniger tragenden Rollen: Zanda Svéde als attraktive Sonjetka, Julia Dawson (Axinja), Barbara Zechmeister (Zwangsarbeiterin). Die Herren ihrer Rollen entsprechend auch darstellerisch vortrefflich: Michael McCown (2. Vorarbeiter/Betrunkener), Theo Lebow (1. Vorarbeiter/Lehrer), Iain MacNeil (Polizeichef), Dietrich Volle (Polizist/Wache), Anthony Robin Schneider (Verwalter/Sergeant), Mikolaj Trabka (Hausknecht), Hans Jürgen Lazar (3. Vorarbieter), Alexey Egorov (Fahrer), Yongchul Lim (Mühlenarbeiter).
In vortrefflicher Artikulation und vokaler Homogenität präsentierten sich wiederum Chor und Extrachor (Tilman Michael) und trugen zum beispiellosen Gelingen dieser hörens- und sehenswerten Produktion bei. Mit Ovationen für die Hauptrollen und zehn Minuten begeisterter Zustimmung feierte das Publikum die grandiose Aufführung, welche sich kein Opernfreund entgehen lassen sollte.
Weitere Termine am 10./14./17./22./29.11. + 08./12.12.2019