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FRANKFURT: GÖTTERDÄMMERUNG – Premiere

31.01.2012 | KRITIKEN, Oper

Frankfurt: GÖTTERDÄMMERUNG – Premiere am 29.1.2012


Gregory Frank (Hagen), Anja Fidelia Ulrich (Gutrune), Lance Ryan (Siegfried). Foto: Monika Rittershaus

 Über das die bisherigen drei „Ring“-Abende beherrschende Raumkonzept von Bühnenbildner Jens Kilian in der neuen Frankfurter „Ring“-Inszenierung von Vera Nemirova und der Dramaturgie von Malte Krasting ist hier schon viel geschrieben worden. Es besteht aus einem Mittelteil, welcher sich hochfahren lässt, und vier sich gegeneinander immer wieder verdrehenden Ringen, was ständig wechselnde szenische Handlungsebenen ermöglicht, aber auch die Gefahr einer gewissen Eintönigkeit mit sich bringt. Nach einem Aufsatz im „Rheingold“-Programmheft von Jens Kilian sollte in der von den Menschen bestimmten „Götterdämmerung“ schließlich Kreis und Strich vorherrschen, „Grundformen allen menschlichen Schaffens“. Davon war nun jedoch nichts zu sehen, und auch die Lichtregie von Olaf Winter war diesmal eher moderat. Es ging weiter allein mit der Scheibe, die nun in einem matten Grau erscheint, eine Art Maschine darstellend, welche die Menschen nun an die Stelle der Natur gesetzt haben. Im noch weitgehend mythisch strukturierten „Rheingold“ stellte sich die Scheibenkonstruktion, auch als Raum-Zeit-Maschine bezeichnet, zumal mit einer entsprechenden Lichtregie, als Glücksgriff heraus. Das relativierte sich schon etwas in der „Walküre“ in der, wie auch im „Siegfried“, einige zentrale Szenen in den beengten und beengenden Verstrebungen des dunklen Raumes unter der Scheibe stattfanden. Sie verloren dabei viel von ihrer Wirkung und lebten vor allem von den starken darstellerischen und sängerischen Leistungen einiger Protagonisten.

 So begann auch die „Götterdämmerung“ zunächst mit einem leicht mythologisch stilisierten Nornenterzett in den ausdrucksvollen Kostümen von Ingeborg Bernerth, die ansonsten das „Ring“-Personal in heutige Alltagskleidung steckte, bis auf die Ausnahme Alberichs, der seinen goldenen „Rheingold“-Anzug bis in die „Götterdämmerung“ retten konnte. Die Nornen schneiden sich im Hinblick auf das nahende Ende bereits die Haare ab und umwickeln mit dem Schicksalsseil die wie in einer Familienaufstellung stumm auf der Bühne stehenden Akteure der bisherigen „Ring“-Geschichte. Nur Alberich, abgesehen von den beiden Riesen, die am Ende das Seil entsorgen müssen, wird am Schluss des Prologs aktiv und schneidet es mit dem Messer der Nornen durch – das Spiel kann beginnen.

 Und es wird in der Tat dann über weite Strecken ein Spiel im wahrsten Sinne des Wortes. Im matten Schein eines Teelichterkranzes badet Brünnhilde ihren Siegfried in einer Zinkwanne, der sich, kaum abgetrocknet und nach Anlegen ihres Brustpanzers über seinen alten Lederlappen mit dem Schwert in der Hand wie ein losgelassener Wilder gebärdet. Es ist klar, die Figur des Siegfried sollte wieder einmal den Weg der „Verdeppung“ beschreiten. Ein Siegfried und damit eine „Götterdämmerung“ light entwickelten sich da, und die Banalitäten nahmen ihren fröhlichen Lauf. Schon während der Rheinfahrt taucht ein nagelneues grünes Schlauchboot auf (product placement?), das fast zum tragenden Stilelement des 1. Aufzugs und der ersten Szene des dritten wird. Darin und damit lässt sich wunderbar herumalbern, mit dem Schwert rudern usw. Die Rheintöchter entpuppen sich als verspätete Protestantinnen für einen sauberen Rhein, der dies längst weitgehend ist. Das wirkte wie ein Anachronismus angesichts viel näher liegender Themen gerade in Frankfurt, wie eine Ansprache der Anliegen des auch noch genau vor dem Opern-Hauptfoyer liegenden Zeltdorfes der Occupy-Bewegung oder der Lärmbelästigungen von Teilen der Frankfurter Bevölkerung durch die neue Landebahn im Norden des Flughafens. Wenn man denn schon so zeitbezogen werden will, was zur Scheibensymbolik aber so gar nicht passt. Der 1. Aufzug wird weiterhin von albern wirkenden Ankleideszenen beherrscht – verblüffenderweise kennt Gutrune schon die Schuhgrösse Brünnhildes auf der fernen Scheibe. Denn die „Gibichungenszene“ findet um eine Bar herum wieder mal im Untergrund statt. Sorgsam wird darauf geachtet, dass der Spießer Gunther in Vetretung Siegfrieds auch die Plastiktüte mit den Pumps bei der Ring-Gewinnung von Brünnhilde zur Hand hat… Sie erkennt ihren Ex ganz offenbar, nachdem sie dem falschen Gunther lediglich die Brille herunter gerissen hat. Warum dauert es dann so lange im 2. Aufzug, bis sie den wahren Dieb erkennt?! Entbehrlich schien auch das kindische Hantieren Siegfrieds mir dem ohnehin überflüssigen Federhelm Brünnhildes, mit dem Brustpanzer konnte man ja gerade noch leben. Dies waren alles weitgehend überflüssige Details, die die Handlung nicht weiter brachten. Selten hörte der Rezensent einen so müden Beifall wie nach diesem 1. Aufzug.


Anja Fidelia Ulrich (Gutrune), Lance Ryan (Siegfried), Gregory Frank (Hagen). Foto: Monika Rittershaus

 Es wurde dann besser im zweiten mit einer wirklich starken Mannenszene, die den Chor und die Herren des Extrachores der Oper Frankfurt unter der Leitung von Matthias Köhler auf höchstem Niveau zeigt. Stimmstark und auf den diversen Ring-Ebenen bestens platziert, wenn man einmal vom albernen Schunkeln à la Kölle helau absieht, wird diese Szene zu einem szenischen und musikalischen Höhepunkt des Abends. Wirkliche Fallhöhe bekommt die Produktion aber erst im letzten Aufzug. Da gelingt dem Regieteam ein Tod Siegfrieds, der Tiefgang hatte und deshalb zu der bis dahin allzu großen Leichtigkeit des Seins kaum passte. Aber er ging einem nahe und ermöglichte im letzten Augenblick doch noch etwas Sympathie für den bis dahin so Banalisierten. Als Hagen zum entscheidenden Stoss ansetzt, versucht Gunther den ahnungslosen Siegfried zu schützen, aber es ist zu spät. Zwar hat man das schon bei Peter Konwitschny (Nemirova hat u.a. bei ihm gelernt) in seiner Stuttgarter „Götterdämmerung“ gesehen, aber es war auch hier wieder sehr bewegend. Gunther verharrt danach als einziger erschüttert und gar weinend bei Siegfrieds Leiche. Eindringliche Momente, die man nach dem 1. Aufzug nicht mehr erwartet hatte und die zum Nachdenken anregten. Auch die finale Auseinandersetzung um den Ring gelingt dann recht fantasievoll. Am Ende geht alles etwas drunter und drüber, denn es versammelt sich das gesamte „Ring“-Personal auf der Scheibe, bis auf die Götter, die von einem Seitengang hereinschauen, und Alberich, der ihnen gegenüber sitzt und statt Hagen „Zurück vom Ring“ ruft. Das Publikum ist hell erleuchtet und wird von den Akteuren fixiert. Die Botschaft ist klar, und man hat sie auch anderswo so oder ähnlich schon (oft) erlebt: Ihr sollt es nun selbst in die Hand nehmen, es wird ja weitergehen. Etwas allzu Belehrendes hatte es schon…

 Lance Ryan war nach dem jungen nun auch der Siegfried in der „Götterdämmerung“ und hatte einen ingesamt guten Abend. Sein heldisch timbrierter Tenor ist kräftig, wird sicher geführt und verfügt über eine gute Höhe. Er singt jedoch immer sehr hoch, und man hat über weite Strecken den Eindruck, dass die Stimme etwas unbeweglich ist und es an klanglicher Wärme und einer gewissen Weichheit fehlt. Seine besten Szenen hatte er im 3. Aufzug. Darstellerisch ist Ryan ein nahezu idealer Siegfried, auch was sein Aussehen anbelangt. Susan Bullock hatte es mit der „Götterdämmerung“-Brünnhilde, die bekanntlich tiefer liegt als die im „Siegfried“, etwas leichter. Dennoch ist nicht zu verkennen, dass ihre Stimme bereits ein Tremolo aufweist und es immer wieder zu Vokalverfärbungen und einer gutturalen Tongebung kommt. In der Tiefe sind gesangliche Defizite unüberhörbar. Darstellerisch konnte auch Bullock mit viel Emphase in der Rolle der geprüften Wotanstochter überzeugen. Johannes Martin Kränzle als Gunther, Jochen Schmeckenbecher als Alberich, Anja Fidelia Ulrich als Gutrune, Meredith Arwady als 1. Norn, Claudia Mahnke als Waltraute und 2. Norn, sowie Angel Blue als 3. Norn (mit ihrem Hausdebüt), Jenny Carlstedt als Wellgunde und Katharina Magiera als Flosshilde gaben alle ihr Rolendebüt – an sich schon eine kleine Sensation für eine einzelne Aufführung. Und alle waren durchwegs beachtlich. Hervorgehoben werden soll aber die stimmlich wie darstellerisch exzellente Leistung von Anja Fidelia Ulrich als Gutrune sowie jene von Claudia Mahnke als eindrucksvolle und stimmstarke Waltraute und 2. Norn. Auch Johannes Martin Kränzle sorgte für bemerkenswerte schauspielerische Momente und konnte mit seinem lyrisch timbrierten Bariton sängerisch beeindrucken. Gregory Frank sang einen etwas hell timbrierten und nicht immer sehr präsent wirkenden Hagen – es fehlte ihm etwas an Souveränität, möglicherweise von der Regisseurin so gewollt. Britta Stallmeister sang und spielte eine gute und engagierte Woglinde.

 Die wahren Stars dieses Abends waren aber diesmal das Frankfurter Opern- und Museumsorchester und sein musikalischer Leiter Sebastian Weigle. Diese „Götterdämmerung“ wurde zu ihrem musikalischen Triumph und gelang weitaus besser als „Die Walküre“ und „Siegfried“. Offenbar hat man etwas an den Tempi gearbeitet, fast alles war weitaus zügiger als zuletzt, auch waren eine bessere Gestaltung dramatischer Stellen und die Entwicklung der Dynamik, die sie erfordern, zu hören. Es war eine unglaublich intensiv musizierte „Götterdämmerung“, die im Graben wegen der Banalitäten auf der Bühne zeitweise ein musikalisches, aber imposantes Eigenleben führte. Das Frankfurter Publikum dankte es Weigle und seinen Musikern, die zum Schluss auf die Bühne kamen, mit starkem Applaus, dem schon ein ebenso intensiver zum Beginn des 3. Aufzugs vorausgegangen war. Ein paar Buhrufe waren für das Regieteam bestimmt, mit denen es aber sicher leben konnte. Im allgemeinen war der Zuspruch zur Inszenierung groß, auch wenn Frankfurt am Main liegt, der Rhein momentan kaum ökologische Hilfe braucht und man hier ganz andere Sorgen als diese hat…                                                                                                              
(Fotos in der Bildergalerie)

 Klaus Billand

 

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