FRANKFURT/ Alte Oper: SAISONERÖFFNUNGSKONZERT MIT DER STAATSKAPELLE DRESDEN UNTER DANIELE GATTI (Schönberg, Mahler)
Foto: AOF T.T.Pluto
Zum Saisonauftakt holte sich die Alte Oper – wie bereits im vergangenen Jahr – die Sächsische Staatskapelle Dresden ins Haus, die unter ihrem neuen Chefdirigenten Daniele Gatti aufspielte.
Wohl vor dem Hintergrund des hundertfünfzigjährigen Geburtsjubiläums Arnold Schönbergs wurde zunächst dessen Gedichtvertonung „Verklärte Nacht“ gegeben, bevor man mit großem
Orchester die erste Sinfonie von Gustav Mahler zu Gehör brachte.
Das Streichorchester vermochte es beim Vortrag des Ersteren mit weichem, zerbrechlichem Klang und einer einfühlsamen Ausdrucksweise eine geradezu sphärische Stimmung hervorzurufen. Es
gelang dem Klangkörper ausgezeichnet, die Intimität eines schwerwiegenden Geständnisses unter Liebenden musikalisch zu vermitteln.
Bei der Interpretation der ersten Sinfonie Mahlers verdrängte jedoch das Streben nach Wohlklang das musikalische Programm. Interessanterweise entstand trotz durchweg eher langsamer Tempi
niemals der Eindruck von Schwerfälligkeit; vielmehr ließ Gatti dem Orchester Zeit für technische und intonatorische Perfektion. Bemerkenswert ist im Übrigen der eher freie – böse Zungen mögen
behaupten nicht originalgetreue – Umgang mit Partituranweisungen: So ließ Gatti das Solo zu Beginn des dritten Satzes der Sinfonie von der gesamten Kontrabassgruppe unisono vortragen und
verzichtete darauf, die Horngruppe zum Ende des vierten Satzes ihren Part im Stehen vortragen zu lassen. Den Puristen wird dies vielleicht irritiert haben; musikalisch fielen diese Partiturabweichungen nicht ins Gewicht.
Zu kritisieren bleibt jedoch die ausbleibende Suggestivkraft des Vortrags im vierten Satz. Es fehlte hier am Kantigen, am Kreischenden, am Höllischen. Der Vortrag der Dresdner war charakterlich
zu edel, als dass er dem Hörer glaubhaft machen konnte, Zeuge des Kampfs eines verzweifelten Helden zu werden, der sein eigentlich unerreichbares Ziel immer wieder um ein Haar verpasst,
währenddessen aber seinen süßen Geschmack immer wieder auf der Zunge wähnt. Der Hörer konnte nur genießen, aber nicht (mit)leiden. Gatti konzentrierte sich auf die Vervollkommnung
im Vortrag und vermied es dabei, Extreme auszuloten.
Dies ändert nichts an der Tatsache, dass der Hörer an diesem Abend eine musikalische Darbietung der Spitzenklasse erleben konnte. Daniele Gatti und die Sächsische Staatskapelle funktionieren
zusammen; man kann allen folgenden Konzerten daher mit Vorfreude entgegensehen.
Es sei noch angemerkt, dass die ab der nunmehr neu eröffneten Konzertsaison 2024/2025 von der Alten Oper eingeführte Praxis, den Künstlern keine Blumen mehr auszuhändigen, sondern den
hierfür fiktiv aufzuwendenden Geldbetrag an ein Umweltprojekt zu spenden und den Künstlern einen Umschlag mit einem Zertifikat über ebendiese Spende zu überreichen, bei Künstlern und
Publikum eher mäßigen Anklang fand. Gatti machte den Eindruck, als sei er hierüber im Vorfeld nicht in Kenntnis gesetzt worden. Auch ein gewisses Befremden des Publikums war vernehmbar.
Es bleibt abzuwarten, ob dieses beim ersten Feldversuch offensichtlich etwas verunglückte Manöver des Veranstalters eine Zukunft hat.
Jan Kadlubicki