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FRANKFURT/ Alte Oper: Konzert mit dem hr-Sinfonieorchester am 09. Mai 2025, Alain Altinoglu, Hilary Hahn. (Beethoven, Schostakowitsch)

FRANKFURT/ Alte Oper: Konzert mit dem hr-Sinfonieorchester am 09. Mai 2025, Alain Altinoglu, Hilary Hahn. (Beethoven, Schostakowitsch)

Klang und Katastrophe: Altinoglu trifft Schostakowitsch, Hahn überstrahlt Beethoven

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Fotonachweis: © hr/Sebastian Reimold

Wenn Alain Altinoglu das hr-Sinfonieorchester dirigiert, ist Intensität garantiert – doch nicht jede Geste trifft den Kern der Musik. Am 9. Mai 2025 öffnete sich die Alte Oper Frankfurt für ein kontrastreiches Programm: Beethovens Violinkonzert in D-Dur und Schostakowitschs achte Sinfonie. Altinoglus Handschrift war unverkennbar – große Bögen, klare Strukturen, dynamische Übergänge. Doch während Beethoven unter seiner Leitung zu einer klanglich austarierten, aber emotional allzu sachlichen Skulptur geriet, öffnete Schostakowitsch ein anderes Kapitel – eines, in dem Altinoglu mit seinem emphatischen Zugriff den Kern der Musik in idealer Weise traf.

Dmitri Schostakowitsch liegt ihm ganz besonders – das hat er bereits mit der vierten Sinfonie eindrucksvoll gezeigt. In der Achten offenbarte sich erneut sein Gespür für die Gewalt der Stille, für das Grauen, das zwischen den Noten lauert. Zwischen diesen Polen stand Hilary Hahn: strahlende Solistin, stille Erzählerin, eine Künstlerin, die mit jedem Ton Verbindlichkeit schuf.

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Fotonachweis: © hr/Sebastian Reimold

Ludwig van Beethovens Violinkonzert in D-Dur – ein Werk, das trotz seiner Bekanntheit nichts von seiner Modernität verloren hat – bildete den Auftakt. Beethoven komponierte hier keine Kraftdemonstration, sondern eine Musik der Balance, der organischen Entwicklung. Altinoglu arbeitete die Struktur mit feinem Gespür für Proportion heraus, ließ klare Linien entstehen, doch der Ausdruck blieb kontrolliert, mitunter beinahe zurückgenommen. Die Pauken zu Beginn setzten eher diffuse als markante Akzente, die Holzbläser webten dafür darüber ein Netz aus milden Farben. Die Streicher legten ein fein gesponnenes Fundament – klanglich makellos, aber innerlich etwas unbeteiligt wirkend.

Hilary Hahn betrat die Bühne nicht, um sich zu behaupten, sondern um zu erzählen. Ihr Ton – von kristallener Klarheit und leuchtender Präsenz – war keine simple Aussage, sondern ein Angebot zur Begegnung. Bereits in den ersten Takten zeichnete sie eine musikalische Lesart, die ohne jede Übertreibung auskam und dennoch voller Nuancen war. Ihr Spiel war atmend, das Vibrato fein dosiert, die Phrasierung organisch. Die Kadenz des ersten Satzes wurde bei ihr zum inneren Monolog – kein Anflug von Virtuositätsgeste, sondern konzentriertes Erzählen. Jeder Doppelgriff war durchdacht, jede Phrase getragen vom inneren Puls. Technische Präzision verband sich mit poetischer Klarheit – eine seltene, nahezu widersprüchliche Verbindung, die Hahn mühelos herstellte.

Im Larghetto zeigte sich ihre größte Stärke: das Singen auf der Geige. Ihr Ton schwebte über dem Orchester wie eine Lichtspur – warm, zart, mit körperloser Eleganz geführt. Die Begleitung durch das hr-Sinfonieorchester war aufmerksam, zurückhaltend, feinfühlig abgestimmt. Besonders die Holzbläser – Klarinette, Oboe, Fagott – traten in einen leisen Dialog mit der Solistin, der nie aufgesetzt, sondern wie selbstverständlich klang.

Der Finalsatz – tänzerisch, klar strukturiert – geriet ihr zu einer Demonstration musikalischer Intelligenz. Hahn gestaltete die rhythmischen Motive mit federnder Präzision, ohne je die Kantabilität zu verlieren. Selbst in den rasanten Passagen blieb ihr Spiel durchsichtig, kontrolliert, aber nie unterkühlt. Altinoglu hielt das Orchester auf spannungsvollem Kurs, reagierte flexibel und blieb in der Gestaltung stets dienend. Erst spät war ein deutlicherer Akzent in den Zuspitzungen aus dem Orchester zu vernehmen – das Zusammenspiel funktionierte reibungslos, doch es war Hahn, die diesen finalen Satz trug. Großer Jubel, zwei Zugaben.

Mit dem Wechsel zu Schostakowitschs achter Sinfonie verschob sich das Zentrum des Abends radikal. Dieses 1943 entstandene Werk ist keine heroische Kriegsapotheose, sondern ein düsterer Abgesang – ein Klangdokument der Zerrissenheit. Alain Altinoglu fand hier zu einer unnachgiebigen, klaren Sprache. Bereits der Kopfsatz war geprägt von einer düsteren Ruhe, in der sich das Unheil nur langsam andeutete. Als sich die Musik aufbäumte, geschah das ohne jedes Pathos – nur aus innerer Notwendigkeit. Die eruptiven Ausbrüche im Mittelteil wurden nicht zum Spektakel, sondern zur Implosion. Die langen Phrasen der Streicher wirkten wie ausgebleichte Erinnerungen, das intensive Englischhorn klang wie eine einsame Stimme in trostloser Weite. Altinoglu formte die Steigerungen mit eiskalter Logik, ohne Überzeichnung, mit brutaler Konsequenz. Das Orchester folgte mit äußerster Präzision: Die Streicher waren scharf konturiert, die Blechbläser stark, aber nie roh und das Schlagzeug hinreichend wuchtig.

Die beiden Allegro-Sätze – rhythmisch getrieben, grotesk verzerrt – setzte Altinoglu nicht als Furor in Szene, sondern als maschinelle Abläufe. Die Holzbläser klangen wie Karikaturen menschlicher Stimmen, das Schlagwerk funktionierte wie ein tödlicher Taktgeber. Alles war auf den Punkt, technisch makellos. Doch das Entscheidende war die emotionale Kälte, die Altinoglu bewusst stehen ließ. Auch hier: vorzügliche Soli – etwa durch die Trompete. Ebenso beeindruckend war das differenzierte, hochpräzise Spiel der zahlreichen Schlagzeuger, die mit unbarmherziger Genauigkeit die Kälte der Musik bestens unterstrichen.

Das Largo – das Zentrum des Werks – wurde zum Moment der maximalen Verdichtung, ein Epos der Qual in Form einer Passacaglia. Die langen, atmenden Töne der tiefen Streicher zogen sich wie ein schwarzes Band durch den Raum. Altinoglu ließ Stille zu, ließ den Klang absinken, hielt ihn nahezu am Verschwinden – kein orchestraler Effekt, sondern eine Geste des Innehaltens voller Resignation.

Im letzten Satz verzichtete er konsequent auf jede Form von Hoffnung. Die Musik zog sich zurück, die Motive verflüchtigten sich, die Instrumente wirkten wie sprachlos geworden – auch wenn stellenweise helle C-Dur-Lichstrahlen aufflackerten. Doch es folgte kein lautstarker Jubel, sondern ein dahinsiechendes Verklingen – elegisch und transzendental zugleich. Als der letzte Ton endete, war da kein Schluss – nur Leere. Herausragende Leistungen im Tutti und in den zahlreichen Solo-Beiträgen des hr-Sinfonieorchesters, das mit dieser Sinfonie Großes zelebrierte.

Was von diesem Konzert bleibt, ist nicht nur musikalische Exzellenz, sondern eine doppelte Erfahrung: der leuchtende, intelligente Beethoven einer Hilary Hahn, die mit größter Sensibilität spielte, und der Schostakowitsch, in dem Alain Altinoglu – befreit von allem Dekor – seine stärkste Ausdrucksform fand. Das hr-Sinfonieorchester bewegte sich mit faszinierender Flexibilität zwischen diesen beiden Welten: seidenweiche Transparenz auf der einen, apokalyptische Dichte auf der anderen. Ein Abend, der nicht nur beeindruckte, sondern nachhallte.

Dirk Schauß, 10. April 2025

Konzert mit dem hr-Sinfonieorchester am 09. Mai 2025 in der Alten Oper Frankfurt

Fotonachweis: © hr/Sebastian Reimold

 

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