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FLENSBURG/ Landestheater: PETER GRIMES

FLENSBURG/ Schleswig-Holsteinisches Landestheater
PETER GRIMES, Oper von Benjamin Britten
16. Juni 2024

Peter Grimes von Benjamin Britten ist eine Oper von tiefgründiger emotionaler und psychologischer Komplexität. Sie verbindet meisterhaft musikalische Innovationen mit einer packenden, sozialkritischen Erzählung und hat sich so weltweit einen festen Platz im Repertoire der Opernhäuser erobert. Die Themen der Isolation, Schuld und gesellschaftlichen Ausgrenzung machen sie zu einem zeitlosen Werk, das immer wieder neu entdeckt werden kann.

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Die Dorfgesellschaft mit Captain Balstrode (Foto: A.T. Schaefer)

Die scheidende Flensburger Operndirektorin Kornelia Repschläger platziert in der gerichtlichen Voruntersuchung des Prologs Solisten und Chorsänger auf den seitlichen Parkettplätzen. Das Publikum wird somit unmittelbar in die Handlung einbezogen. Während der Richter oben im ersten Rang agiert, steht der wegen Mordes verdächtige Peter Grimes alleine auf der Bühne. Im weiteren Verlauf dominieren oft Projektionen der hier in Flensburg tatsächlich ganz nahen und nicht selten unberechenbaren Nordsee die Szene (Bühne: Angelika Höckner, Kostüme: Ralf Christmann). Das Meer spielt eine zentrale Rolle in der Oper und fungiert sowohl als physische Realität als auch als Metapher für das Schicksal und die innere Zerrissenheit des Protagonisten. Die Natur wird zu einem Spiegel der menschlichen Emotionen und Konflikte. Einzig die Micky Maus-Masken, die die Bewohner beim Dorffest tragen, hätten für meinen Geschmack nicht unbedingt sein müssen, ansonsten werden drei Stunden äußerst ästhetisches und mitreißendes Musiktheater präsentiert. Peter Grimes ist Opfer und Täter zugleich und wird in seiner durch Ausgrenzung und Misstrauen fussenden Zerrissenheit schließlich dazu getrieben, weit aufs Meer hinaus zu fahren und sich mitsamt seinem Boot zu versenken. Das Dorfleben geht weiter, als wäre nichts gewesen. 

Eine besonders schöne und psychologisch vertiefende Idee ist es, sowohl Peter Grimes als auch seinen Lehrjungen während der musikalischen Zwischenspiele  in der Choreographie von Nicola Mascia tänzerisch (ausdrucksstark Chu-En Chiu als Grimes und ebenso faszinierend Ben Silas Beppler als Junge) auftreten zu lassen. 

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Grimes und sein Lehrjunge tanzend in Szene gesetzt (Foto: Henrik Matzen)

Britten verwendet in diesem Werk traditionelle Opernstrukturen, integriert jedoch auch innovative Elemente, die den erzählerischen und emotionalen Gehalt der Oper verstärken. Die Mischung aus Rezitativen, Arien und Chorpassagen ist sorgfältig ausgewogen und trägt zur dramaturgischen Intensität bei. Dem Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchester unter der Leitung von Sergi Roca Bru und dem Opern- und Extrachor (Einstudierung: Avishay Shalom) ist der ausgewogene musikalische Hochgenuss zu verdanken, der durch eine exzellente Sängerriege vervollkommnet wird.

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David Esteban lotet alle Nuancen der Titelpartie aus (Foto: A.T. Schaefer)

David Esteban kann der dramatischen Partie des Peter Grimes im kleinen Flensburger Theater erstaunlich viele innige und schönstimmige Momente abgewinnen und versteht es hervorragend, die Spannung zwischen dem Individuum und der Gesellschaft, sowie die Konsequenzen sozialer Isolation und Vorurteile zu verkörpern. Shelley Jackson durchlebt den Charakter der liebenden und mitleidenden Gefährtin des Außenseiters und vermag mit ihrem voluminösen und differenziert eingesetzten Sopran zu überzeugen und die Zuschauer zutiefst zu berühren. Philipp Franke gestaltet Captain Balstrode mit kraftvollem und eindringlichem Bariton und verfügt über die nötige Bühnenpräsenz, um den Titelhelden schließlich überzeugend in den Selbstmord zu treiben. Malgorzata Roclawska gibt als 2. Niece mit ihrem lyrischen Sopran stimmlich bestens disponiert eine darstellerisch überzeugende Hauptattraktion des Gasthauses von ihrer angeblichen Tante Auntie (Evelyn Krahe) und agiert stets im Einklang mit 1. Niece Anna Avdalyan als verführerisches Duo. 

Als etwas skurill erscheinender Fischer und Methodist Bob Boles glänzt Robin Neck, als stets wachsame Mrs. Sedley überzeugt Sophia Maenno nicht zuletzt dank ihrer komödiantischen Qualitäten. 

Die weiteren, keine Wünsche offen lassenden Solisten sind Kai-Moritz von Blanckenburg als Apotheker Ned Keene, Timo Hannig als Mr. Swallow, Dritan Angoni als Pfarrer Horace Adams, und Ulrich Burdack als der Fuhrmann und Dorfpolizist Hobson. In der stummen Rolle des Jungen agiert Max Carlos Thomsen und Dr. Crabbe wird von Nils Düster dargestellt.

Die überzeugende Leistung aller Mitwirkenden – in einer Szene stehen sogar Mitarbeiter des Einlasspersonals mit auf der Bühne und es gesellen sich im Publikum platzierte Statisten mit hinzu – reißt das nicht ganz so zahlreich erschienene Publikum an diesem Sonntagnachmittag zu langem und tosendem Applaus hin.

Marc Rohde

 

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