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FEUCHTWANGEN/ Kreuzgangsspiele: CABARET. Gegen das Vergessen

18.07.2014 | KRITIKEN, Operette/Musical

Feuchtwangen: Kreuzgangspiele 25.5. – 16.8. 2014: CABARET Besuchte Vorstellung: 16.07.2014

Gegen das Vergessen

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Schrader, Küppers, Patzer, Simmerlein, Klein, Wagner. Foto: Forstner

„In jedem der Stücke, die in diesem Sommer auf unserem Programm stehen“, so Intendant Johannes Kaetzler in seinem Grusswort im Programmheft zu den diesjährigen Kreuzgangspielen , „wird auf exemplarische Weise deutlich, dass unser aller Glück untrennbar verbunden ist mit der Freiheit, unverstellt und offen unseren Mitmenschen begegnen zu können.“ Dies entspricht den Zielen der Gründer der Feuchtwanger Kreuzgangspiele, welche sich „dem freien Leben in einer demokratischen Gesellschaft verschrieben“ – dies insbesondere nach der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Und so erfüllen die Kreuzgangspiele auch heuer ihre wichtige Aufgabe wie gewohnt in durchaus unterhaltsamer aber auch berührender, tiefgehender Weise: Aufzeigen, dass „Freiheit und Selbstbestimmung für die Erfülltheit unseres Daseins von elementarster Bedeutung ist“, so abermals Intendant Kaetzler im Programmheft. Auch in diesem Jahr stehen Stücke, deren zentrales Thema die Liebe zum Leben ist, auf dem Spielplan. Den Kleinsten wird mit dem pfiffigen Musical „Heidi“ (Spyri, Bruhn, Göbel) Lebensfreude und Nächstenliebe pur auf fröhliche Art und Weise vermittelt. Um den Titelsong zur berühmten Zeichentrickserie herum entsteht ein bunter Reigen fröhlicher Szenen, durchmischt mit vielen Songs, welche man locker nach der ersten Strophe mitsingen kann – und soll. Höhepunkt der Aufführung: Die Zugabe: Das Ensemble und die Zuschauer singen zusammen den berühmten Heidi-Song – Holeradiˆ-didudeldei!

Um Freiheit pur geht es in Schillers Drama „Wilhelm Tell“. Zwischen „Heidi“ und „Tell“ eingebettet findet sich „Cabaret“, basierend auf dem Stück „Ich bin eine Kamera“ von John van Druten und Erzählungen von Christopher Isherwood, wieder. Es erklingen die fabelhaften Songs von John Kandler mit den Texten von Fred Ebb. Gegeben wird die Fassung von Chris Walker von 1997. Die Handlung hat mit dem berühmten Film mit Liza Minelli und Michael York wenig gemeinsam. Nebst der Geschichte von Sally Bowles und Cliff Bradshaw, welcher im Film Brian Roberts heisst, steht die tragische Liebesgeschichte zwischen der Zimmerwirtin Fräulein Schneider und dem jüdischen Früchtehändler Herrn Schultz im Fokus des Geschehens.

Wie im Film geht es auch im Feuchtwanger Kit-Kat-Club, dessen zwielichtige Show durch den noch zwielichtigeren Conferencier anzüglich-bösartig-schmierig moderiert wird, reichlich dekadent zu und her. Da steigt in den altehrwürdigen Gemäuern mehr als einmal diskrete Schamesröte aufs Gestein … Trotz aller Frivolität bleibt „Cabaret“ ein Stück, welches die Verfolgung der Juden und der menschenverachtenden Umgang von Minderheiten in diktatorischen Regimen mit wachsender Wehemenz anklagt.

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Ein neuer Stern: Jasmin Wagner. Foto: Forstner

Am Ende, nach des Conferenciers „Auf Wiedersehn – ‡ bientÙt!“, kommt es zu einer bösen, erschütternden Überraschung: Der Conferencier erhält den Judenstern und wird zusammen mit Herrn Schultz abgeführt. Damit wird Feuchtwangen mit einem unrühmlichen Kapitel der eigenen Geschichte konfrontiert und an die Vertreibung der jüdischen Menschen erinnert. Man kann sich nicht genug gegen das Vergessen wehren – gerade heute!

Johannes Kaetzler inszeniert „Cabaret“, das zentrale Stück dieser Spielzeit, gleich selbst und liefert damit für mich sein bisheriges „Feuchtwanger Meisterstück“. Da stimmt nun wirklich alles! Vor fünf Türen, welche abwechslungsweise für den Kit-Kat-Club und die von Fräulein Schneider vermieteten Zimmer stehen, spielen sich die turbulenten, lebensbejahenden und tieftraurigen Episoden um Club-Star Sally Bowles, Cliff Bradshaw und deren Freunden und Bekannten ab (Bühnenmeister: Thomas Schwarzensteiner, Bühnenmalerei und Requisite: Elmar Sölle). Regisseur Kaetzler schneidert seinen Schauspielern die Rollen auf den Leib. Dadurch gerät die Darstellung der Personen ungekünstelt, schonungslos ehrlich und tief berührend. Sorgfältig achtet der feinfühlige Regisseur darauf, dass der Abend in keinster Weise zur Kopie des bekannten Films wird. Mit Thomas Hupfer ist der zwielichtige Conferencier in jeder Beziehung fabelhaft besetzt. In der wunderbar grausligen Maske von Manfred Massler und den provozierenden Kostümen von Heike Engelbert, bringt Thomas Hupfer toll singend und fantastisch tanzend seine frivole, gewagte Show. Spritzig frech sind die Cabaret-Girls Clara Cüppers, Celia Hoffmann, Anne Patzer, Hannah Sieh und Liza Simmerlein. Alle ihre Nummern geraten hin- und mitreissend. Die jungen Damen tanzen äusserst präzise und meistern auch die gesanglichen Anforderungen der gar nicht einfachen, jedoch leichtfüssig wirkenden Nummern perfekt! Für die stimmungsvolle Choreographie zeichnet Emanuele Soavi verantwortlich – meisterhaft!! Ulrich Westermann überzeugt als Ernst Ludwig, mit dem sich Cliff Bradshaw bei seiner Einreise anfreundet, sich dann aber als Nazi an vorderster Front enpuppt. Für viele komische Momente sorgt Sina Schulz als Fräulein Kost, welche dem „ältesten Gewerbe der Welt“ nachgeht und oft der Zimmerwirtin strikte Hausregeln über den Haufen wirft. Stimmgewaltig stimmt das langjährige Ensemblemitglied Wolfgang Beigel als Tenor das „deutsche“ Lied „Tomorrow belongs to me“ an. Herr Beigel begeistert während dieser Festspiele zudem als Walter Fürst im „Tell“. Es ist immer wieder eine Freude, diesen fantastischen, vielseitigen Schauspieler in Feuchtwangen zu erleben! Tief berührend sind Gabriele Fischer und Peter Kaghanovitch als Fräulein Schneider und Herr Schultz, deren Liebesgeschichte nicht tragischer hätte enden können … Timo Klein gefällt als Cliff Bradshaw, dem erst langsam bewusst wird, in welchem Wespennest er da gelandet ist. Im Alter zwischen 15 und 17 Jahren war sie unter dem Namen „Blümchen“ ein Star am deutschen Pop-Himmel: Jasmin Wagner. Sie erkannte rechtzeitig, wann die Zeit reif für Neues war und wagte sich auf die Pfade der Moderation und des Schauspiels – und dies mit grossem Erfolg. Mit der Musik blieb sie jedoch immer verbunden. Und so landete die fröhliche, sympathische Künstlerin bereit 2006 als Esmeralda im „Glöckner von Notre Dame“ im Feuchtwanger Kreuzgang. Heuer ist sie als Sally Bowles zu erleben. Diese Rolle gibt ihr die Möglichkeit, sämtliche Register ihrer Kunst zu ziehen, was Jasmin Wagner genussvoll tut. Sie versucht gar nicht erst, Liza Minelli zu kopieren sondern gibt Sally Bowles ihre ganz persönliche Note. Nicht nur gestalterisch sondern auch musikalisch setzt Jasmin Wagner ihre persönlichen Akzente und erlaubt somit einen anderen Blick auf den Kit-Kat-Club-Star. Franziska Forster (Querflöte, Klarinette, Sopran- und Altsaxophon), Dirk Pätzold (Schlagzeug), Thorsten Willecke, Benjamin Jung (Posaune), Bernd Meyer (musikalische Leitung, Klavier), Ulli Forster (Klavier) und Markus Fritsch (Kontrabass) begleiten als Orchester die Darsteller mit mitreissendem, sehr differenziert musiziertem Sound. – „Cabaret“ in Feuchtwangen – es gelingt eine mitreissende, faszinierende Aufführung eines grossartigen Stückes. Anspruchsvolle Unterhaltung, die Mischung zwischen Schauspiel und Musik kommt beim Publikum an und beschert volles Haus. Hoffentlich bleibt dies so, damit die gelichteten Reihen während der Fussball-WM aufgefangen werden können. – Vielen herzlichen Dank an das gesamte Team der Kreuzgangspiele für drei wunderbare (Musik-)Theaterabende und auf Wiedersehen im nächsten Jahr!

 Michael Hug

 

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