Ferdinand Opll
DIE STADT SEHEN
Frühe Stadtdarstellungen von Wien in ihrem thematischen und internationalen Kontext 530 Seiten. Verlag Böhlau, 2023
Die „Vermessung der Welt“ begann, sobald der Mensch seine Nase aus seiner Hütte streckte. Niemand lebt allein – aber wo sind die anderen? Die Römer mussten den Mittelmeerraum vermessen, um ihre Straßen zu bauen, ihre Legionen in Bewegung zu setzen und um zu wissen, wo ihre Feinde waren. Die Österreichische Nationalbibliothek besitzt als einen ihrer herausragendsten Schätze die Tabula Peutingeriana, die nicht nur das spätrömische Straßennetz im 4. Jahrhundert aufzeichnete, sondern auch Stützpunkte.
Und sobald es das gab, was man als „Städte“ bezeichnen kann, wurden diese Gegenstand des kartographischen Interesses. Und je größer sie wurden, umso nötiger wurden Orientierungshilfen. Wenn die Darstellungen nicht auch dazu dienten, sich selbst als Stadt in Szene zu setzen und ihre Gebäude in Ansichten zur allgemeinen Kenntnis zu bringen.
Die Geschichte Wiens und ihre Dokumente sind das Spezialgebiet von Ferdinand Opll, der in langen Jahren als Direktor des Wiener Stadt- und Landesarchivs Zugriff zu den dortigen Dokumenten hatte. Es gibt von ihm zahlreiche Publikationen zur Geschichte Wiens, besonders im Mittelalter und auch im Zusammenhang mit Habsburgischen Kaisern, sowie über Stadtansichten, Pläne und historischer Karten. Die nun vorliegende umfangreiche, großartig farbig bebilderte Untersuchung unter dem Titel „Die Stadt sehen“, Untertitel: „Frühe Stadtdarstellungen von Wien in ihrem thematischen und internationalen Kontext“ konzentriert sich erst nach 250 Seiten auf das Thema Wien.
Bis dahin befasst sich der Autor mit allgemeinen Fragen bezüglich der Entstehung von Stadtansichten in Bezug auf die Darstellung – was wurde vermessen, wann wählte man die Vogelschau, wann zeigte man Gebäude im Aufriß, die Möglichkeiten waren zahlreich, solange die Technik nicht übernommen hatte, sondern die menschliche Kreativität dahinter stand.
Bei der Frage nach dem „Warum“ der Entstehung von Stadtplänen wird es dann international, denn nicht von ungefähr stehen „heilige Städte“ wie Jerusalem und Rom da im Vordergrund, weil oft religiöse Motive ausschlaggebend waren (und man auch zeigen wollte, wie viele Kirchen es gab). Stadtdarstellungen wurden zur Selbstdarstellung des Stolzes; Nach der Türkenbelagerung Wien 1529 entstanden nicht weniger als sieben Stadtansichten – man hatte schließlich feindlichen Ansturm statt gehalten.
Dass die Darstellungen des Mittelalters nicht immer mit der Realität Hand in Hand gingen, sieht man auf den ersten Blick, aber es wurde doch auf Erkennbarkeit geachtet – in Wien war es immer der alles überragende Stefansdom, der keinen Zweifel über den gezeigten Ort aufkommen ließ.
Was nun die Wiener Pläne betrifft, so gilt der so genannte „Albertinische Plan“ aus dem Jahr 1421, auf dem die damals wichtigsten Gebäude aufgezeichnet sind, voran die religiösen, aber auch die Burg und die Universität, als der älteste. Die Besonderheit des Plans besteht auch darin, dass einige Gebäude von Pressburg sich hier finden – weil König Albrecht II. durch seine Ehe mit der Enkelin von Kaiser Karl IV. die böhmische Krone für Habsburg erheiratet hatte…
Das berühmteste Wien-Bild auf einem Tafelbild findet sich auf dem Schotten-Altar, die zahllose Male reproduzierte „Flucht nach Ägypten“, wo Josef und Maria vor einer ausführlich dargestellten Stadtansicht Wiens flüchtend vorwärts streben.
Der Autor bietet noch zahlreiche Beispiele, bis das Buch bei seiner faszinierenden tabellarischen Übersicht landet. Von Seite 352 bis Seite 442 werden europäische Stadtansichten von 2. Jahrhundert v.Chr. bis 1622 aufgeführt (Wien-Pläne sind in der Schrift gefettet), eine schier unerschöpfliche Fundgrube für jedermann, der sich dafür interessiert.
Renate Wagner