FELIX SALTEN – STEFAN ZWEIG:
„Ihre Briefe bewahre ich alle“
Die Korrespondenz von 1903 bis 1939
Herausgegeben von Marcel Atze und Arturo Larcati
272 Seiten, Wallstein Verlag, 2023
Sie hatten viel gemeinsam. Beide waren „Literaten“ im besten Sinn des Wortes, Vielschreiber, in fast allen Genres und Themen zuhause. Geprägt durch die Welt, aus der sie kamen, die ausgehende Habsburger-Monarchie, darüber hinaus gezeichnet von ihrer jüdischen Herkunft und folglich in die Emigration getrieben, wo beide sterben. Felix Salten (1869-1945) und Stefan Zweig (1881-1942).
Zwischen 1903 und 1939 haben die beiden kürzere und längere Briefe miteinander gewechselt – grundsätzlich eine „geschäftliche“ Beziehung, immer per „Sie“, allerdings von „Sehr geehrter Herr“ des Beginns über herzlichere Formulierungen bis zu „Lieber, verehrter“. Um sachliche Dinge, die Schriftsteller mit einander zu besprechen haben, geht es fast immer – zu Beginn wird zur Freude des damals 22jährigen Stefan Zweig ein Artikel im Tagblatt „Die Zeit“, für das Salten arbeitet, angenommen, und wird, wie es im Nachwort heißt, für das gesteigerte Selbstbewusstsein des aufstrebenden Literaten gesorgt haben, dass ihn „dass einer der unumstrittenen Stars unter den Wiener Journalisten einer positiven Antwort gewürdigt hatte“. 1939 ist es Zweig, längst der Autor vieler Welterfolge, der Salten aus London schreibt, dass sie beide wohl keine Chance mehr haben, in deutschen Verlagen zu erscheinen… Damit endet die Korrespondenz, Zweig ging, wie man weiß, nach Brasilien und beging dort Selbstmord, Salten starb im Züricher Exil.
Zwei ausgewiesene Fachleute haben sich dieses Briefwechsels angenommen. Marcel Atze, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Wienbibliothek im Rathaus, der 2020 die bemerkenswerte Salten-Ausstellung und die damit verbundene Publikation verantwortete, und Arturo Larcati, Direktor des Stefan Zweig Zentrums in Salzburg, der Zahlreiches über Zweig publiziert hat (darunter das „Zweig-Handbuch“), haben sich zur vorbildlichen Edition zusammen gefunden. Sie wählt auch die leserfreundliche Art, die Anmerkungen gleich nach den jeweiligen Briefen abzudrucken (was lästiges Blättern erspart), und diese Notizen zu Menschen, Werken und Ereignissen machen das Buch erst komplett. Was die Schreiber oft kursorisch andeuten, weil sie es ja nicht „erklären“ mussten, wird hier für die minder informierten Leser von heute ausführlich dargestellt. Auch verfügen beide Herausgeber in ihren Institutionen über reiches Bildmaterial, und es wurde nicht gespart, das Buch damit optisch aufzulockern und auch mit Illustrationen zu „kommentieren“.
Ein geschäftlicher Briefwechsel also, aber schnell wird klar, dass es eindeutig über die Nützlichkeit des Netzwerkens hinaus geht. Die beiden hegten ganz zweifellos echte Sympathie für einander. Wenn Zweig am 24. Mai 1929 seinen „ehrlichen und aufrichtigen Respekt“ in Richtung Salten ausdrückt, gibt es keinen Grund dafür, daran zu zweifeln. Sie schicken sich ihre Werke mit Widmungen, und als Salten emigrieren und seine Bibliothek radikal verkleinern musste, zählte das Widmungsexemplar von Zweigs „Fouché“-Biographie zu jenen Büchern, die er mitnahm. Und sie gingen auch jeweils darauf ein, was der andere produziert hatte. Wohlwollend – und das sicher nicht mit Berechnung.
Wenn auch das „Netzwerken“ Verbindungen und Einladungen bringt (Zweig hasst es allerdings, im Mittelpunkt zu stehen, auch wenn er es immer wieder getan hat – er nennt es in einem Brief vom 7. November 1931 seinen „Öffentlichkeitscomplex“), kleine Gefälligkeiten gab es immer. Und man kann über Feinde lästern (Zweig etwa über den Schriftsteller Norbert Jaques, der ein Stück von ihm verrissen hatte – der Dramatiker Zweig ist gänzlich in Vergessenheit geraten).
Dass es trotz dieser und jener persönlichen Volte kein freundschaftlicher Briefwechsel ist, wo man immer in Kontakt bleibt, zeigt sich an den großen, immer wieder jahrelangen Pausen in der Korrespondenz. Man meldet sich, wenn es um Gemeinsames geht. Interessante Themen tauchen, of kursorisch, auf: Der „Große Krieg“, wie der Erste Weltkrieg damals noch hieß und für dessen Propaganda Salten sich eine zeitlang vereinnahmen ließ, ist kein Thema zwischen ihnen. In den zwanziger Jahren trifft man Zweig schon im festen Wohnsitz Salzburg, was die ohnedies stets seltenen Live-Begegnungen noch einschränkt (Fotos zeigen den noblen Luxus des Hauses auf dem Kapuzinerberg). Saltens Palästina-Reise und das dazugehörige Buch wecken in Zweig die Erinnerung an den lange verstorbenen Theodor Herzl, dessen Traum er als „großes Fragezeichen in die Zukunft“ formulierte, ohne näher darauf einzugehen.
Interessant, dass Zweig, immer höflich, doch leise Zweifel an Felix Salten als passioniertem Jäger formuliert, dass ein „Tiertöter“ gleichzeitig so viel Liebe zur Kreatur zeigen könne (wie in „Bambi“ spürbar). Sicher ist der Briefwechsel nicht völlig erhalten, denn auf vieles wird von den Schreibern nicht eingegangen. Als sie 1931 den Tod von Arthur Schnitzler besprachen, der für Salten einst sehr wichtig gewesen war, wird das nicht ausführlich formuliert – das behalten sich beide Herren für ihre publizierten Nachrufe vor. So weit sind sie auch Geschäftsträger ihrer Worte.
Literatur, Betrieb und kulturelle Fragen treten in den Hintergrund, als der Nationalsozialismus drängender wird. Zweig formuliert den Wunsch nach Protest, als Jude von der deutschen Kultur und Sprache ausgegrenzt zu werden, hätte sich ein geballtes Statement von Werfel, Beer-Hofmann, Roth, Wassermann, Döblin und natürlich Salten und ihm selbst gewünscht, das als als Zeitdokument und Meisterstück deutscher Prosa gelten sollte… Salten hingegen möchte jene, die gegen die Juden auftreten, live konfrontieren.
Die längerfristige Frage besteht für beide darin, wie entschlossen die Nationalsozialisten sein werden, den Juden ihr Lebensrecht abzusprechen. Stefan Zweig entschloß sich früher, die Heimat zu verlassen. Salten wartete bis 1939, dann reiste er nach Zürich. Damals zog er es vor, viel Persönliches zu vernichten, damit es nicht in feindliche Händen fallen würde. Dass er an Stefan Zweig allerdings schrieb, „Ihre Briefe bewahre ich alle“, haben die Autoren als geradezu ergreifenden Titel für die Beziehung zweier Schriftsteller gewählt, die einander im Trubel ihres Lebens immer wichtig waren.
Renate Wagner