Eva Maria Klinger:
NIE AM ZIEL
HELMUTH LOHNER
Die Biographie
256 Seiten, Amalthea Verlag 2015
Zu seinen Lebzeiten hat sich Helmuth Lohner heftig dagegen gewehrt, ein Buch über sich erscheinen zu lassen. Kaum ist er tot und kann sich nicht mehr wehren…. könnte man argumentieren, aber das wäre ungerecht. Lohner war ein Schauspieler der Spitzenklasse und verdient eine Biographie weit mehr als mancher zweitklassige Politiker oder drittklassige Schlagerstar, die in den Buchhandlungen aufscheinen.
Eva Maria Klinger bringt nun vieles mit, diese Lebensbeschreibung in der Rekordzeit von fünf Monate nach seinem Tod herausgebracht zu haben. Sie hat Lohner gekannt und oft selbst interviewt, und sie hat natürlich viele Wiener Schauspieler befragen können. Tatsächlich bringt das, was einige „Josefstädter“ berichten, die Lohner als Direktor und Kollegen erlebt haben, Aufschlußreiches über einen Mann, der alles andere als eine „Rampensau“ und etwa einer jener selbstgefälligen Mimen war, die nur die Bühne und ihr Ego kennen. Im Gegenteil.
Lohner, der nie völlig mit sich zufrieden war, fern jeder Selbstgefälligkeit, hat mit dem Beruf gerungen, aber er hat ihn nicht zu seinem Leben gemacht, im Gegenteil. Er war ein leidenschaftlicher Leser, Museumsbesucher, Reisender, Dinge, die ihm so wichtig waren wie seine „Karriere“, die er nie anstrebte, so wenig wie er ein „Liebling“ sein wollte. Im Gegenteil: „Man soll den Leuten net g’fallen, man muss sie ärgern“, meinte er einmal, und tatsächlich war in seinen Figuren nie etwas Bestätigendes oder gar Beschwichtigendes, sondern immer etwas Verstörendes…
Jedenfalls haben Lohners Intelligenz und seine Interessen, die weit über das Theater (und vor allem dessen Betrieb) hinausstrebten, Leute, die es beurteilen konnten, immer tief beeindruckt. Auf der Ebene dieses hohen intellektuellen Niveaus traf er sich auch mit Otto Schenk, lebenslange Freunde trotz einer Generalpause ihrer Beziehung.
Lohner hatte auch ein Privatleben, das von wildem Auf und Ab gekennzeichnet war. Gattin Nr. 2, die Schauspielerin Karin Baal (Mutter seine Tochter Therese), hat in ihren Memoiren das Scheitern der Ehe selbst dargestellt, Eva Maria Klinger braucht hier nur zu zitieren, Gattin Nr. 3, Ricarda Reinisch, erinnert sich nur positiv, und auch Lohners Witwe Elisabeth Gürtler ist in den Grenzen der Diskretion auskunftsbereit.
Dass Helmuth Lohner in den Turbulenzen seines Lebens immer wieder bedroht war, dem Alkohol zu verfallen (was er dann in seiner letzten Beziehung endgültig überwand), lief nie Gefahr, auch nur im geringsten in die Öffentlichkeit zu dringen. Auch seine tödliche Erkrankung an Speiseröhrenkrebs hielt er geheim – er war ein überaus diskreter Mensch. Und eigentlich auch nicht, wie Kollegen ihm liebevoll bestätigen, geeignet, Theaterdirektor zu sein, was er sich für das Theater in der Josefstadt einige Jahre lang antat: Die dafür nötige Härte hatte er nicht, dazu fühlte er mit den Kollegen, deren Ängste und Nöte er nur zu gut kannte, viel zu sehr mit.
Ein großer Teil des Buchs ist mit Hilfe von Kritiken dem Schauspieler Lohner gewidmet, wobei Eva Maria Klinger die Film- und Fernsehkarriere nur am Rande behandelt – wohl in Lohners Sinn, der meinte, seine frühen Filme hätte er gar nicht machen dürfen. Immerhin haben sie sein Prestige als Theaterschauspieler nicht zerstört, und später hat er im Fernsehen, vor allem in Kehlmanns Joseph-Roth-Verfilmungen, Außerordentliches zeigen dürfen.
Aber natürlich geht es um den Theaterschauspieler Lohner, der zwar drei Jahrzehnte in Zürich blieb, aber sich dennoch nie fest gebunden hat und ebenso in Berlin, Hamburg oder München spielte, der dann vorübergehend ans Burgtheater, langfristig zu den Salzburger Festspielen kam (u.a. als Teufel, Tod und schließlich als Jedermann) und schließlich von 1991 bis zu seinem Tod noch knapp eineinhalb Jahrzenhnte mit triumphalen „älteren“ Rollen an der Josefstadt hatte.
Dass trotz dieser Aufzählung von vielen Großleistungen der Schauspieler Lohner, einerseits für Nestroy (die unvergessenen Schenk-Produktionen bei den Salzburger Festspielen!) und Schnitzler (sein Hofreiter, sein Sala) und Rollen wie Liliom, andererseits für Shakespeare „und die anderen“ noch zu analysieren ist, versteht sich, ebenso wie seine Arbeiten als Musiktheater-Regisseur – dergleichen ist nicht die Aufgabe eines solchen Buches, dergleichen wollen die Leser, die Lohner liebten, obwohl er alles andere als ein „Publikumsliebling“ sein wollte, so genau nicht wissen. Sie interessieren sich für den Menschen und werden die zahlreichen Fotos des Buches genießen.
Sie bekommen die komplexe, interessante, auch in hohem Maße bewundernswerte Persönlichkeit dieses Mannes zwischen Buchdeckeln hingestellt – weil er selbst es nicht tun wollte. Selbstlob wäre ihm nie über die Lippen gekommen… Also müssen die anderen das Lob übernehmen. Es fällt bei ihm nicht schwer.
Renate Wagner