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Eva Gesine Baur: EINSAME KLASSE – Das Leben der Marlene Dietrich

30.05.2017 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

BuchCover Baur, Marlene Dietrich

Eva Gesine Baur:
EINSAME KLASSE
Das Leben der Marlene Dietrich
576 Seiten, C.H.Beck Verlag, 2017

Unter den deutschen Schauspielerinnen des 20. Jahrhunderts war Marlene Dietrich gewiß nicht die beste, aber mit Sicherheit die enigmatischste. Das ging schon von ihrem perfekt gestylten Gesicht aus – und dann war es ihre Biographie, die schon die Mitwelt faszinierte. Und wie viel mehr die Nachwelt. Es gibt – neben den (von ihr weidlich manipulierten) Eigenaussagen und den voluminösen Erinnerungen ihrer Tochter – zahlreiche Bücher über Marlene. Hier ist ein neues, und es liest sich über weite Stellen wie ein Roman.

In großem Bogen geht Eva Gesine Baur, die nicht nur eine bekannte Biographien-Schreiberin, sondern auch historische Romanautorin ist, dieses Schicksal an. Sie erzählt es bis ins Detail – und vor allem aus dem Gesichtspunkt des allwissenden Erzählers, der uns immer auch berichten kann, was sich in Kopf, Herz und Seele seines Geschöpfs abspielt. Dazu bezieht sie sich auf reich zitiertes Originalmaterial – Marlene führte Tagebücher, schrieb zahllose Briefe, und es wurde unendlich viel über sie geschrieben. Wenn sich hier folglich immer wieder Widersprüche ergeben, ist es umso spannender…

Sie hieß tatsächlich Dietrich, war keine „von Losch“, preußisch adelig, wie man es oft las, Herr von Losch war erst ein späterer Gatte der strengen Mutter. Marlene hat an der eigenen Legende gestrickt (1901 geboren, ging das von ihr behauptete „1904“ sogar in ihren US-Paß ein). Es war absolut nicht immer dasselbe, was sie von sich erzählte, aber sie wusste immer, was sie wann, warum tat. Die Mitwelt wusste es nicht. Das machte sie umso „irisierender“…

Marie Magdalene, die sich selbst zur mondänen „Marlene“ machte, hatte einen erschütternd erfolglosen Vater, Polizist, gestorben an Syphilis. Und ein „Loner“ war sie schon von Kind an. Klagen, wie einsam sie sei, wie sinnlos ihr Leben, ziehen sich durch Tagebücher und Briefe. Dass sie geradezu krampfhaft versucht hat, sich Liebe und Bestätigung zu „erkaufen“, zeigen das „Helfersyndrom“ ihres Lebens, das dann weniger aus Nächsten-, als aus Eigenliebe erwuchs, und ihr „Liebesleben“, das wohl kaum als solches zu bezeichnen ist, ging ihre Promiskuität doch nur in den seltensten Fällen mit echten Gefühlen Hand in Hand.

Man muss es der Autorin zugestehen, dass sie gerade diese Fläche in Marlenes Leben zwar ausführlich, aber ohne süffige Sensationslust und moralische Entrüstung beschreibt, sondern gewissermaßen so nüchtern, wie Marlene es selbst betrieben und gelebt hat. Wobei die Geschichte einer lebenslangen Ehe, die ein – zweifellos doch auch gefühlsstarker – Pakt mit einem Mann war, der sein Leben mit einer Geliebten an seiner Seite führte, nur von ganz seltsamen Menschen so betrieben werden konnte: Rudolf Sieber lebte stets auf Marlenes Kosten, ebenso wie ihre Tochter Maria, die die Mutter nicht mochte, es ihr immer zeigte (und ihr ein erschütterndes „Erinnerungs“-Buch ins Grab nachschickte). Hier nicht geliebt zu werden, wo sie es ersehnte, war zweifellos eine Last auf Marlenes „Seele“ (so sie eine hatte), und auch sonst war es mit Gefühlen nicht weit her.

Zweifellos gehörte Marlene als „die Frau, die mit den meisten Prominenten ihrer Epoche geschlafen hat“, ins Buch der Rekorde. Manche Männer hingen, schlecht behandelt, dennoch lebenslang an ihr (wie Erich Maria Remarque), andere (wie Jean Gabin) ließen sich ihre permanente Untreue nicht gefallen, wieder andere (wie Yul Brynner) waren ihr überlegen, indem sie sie gleichgültig behandelten. Mit Joseph Kennedy scheint sie es öfter getrieben zu haben, mit John F. Kennedy offenbar nur einmal, ein Quickie im Weißen Haus. Die Liste ihrer Bettpartner, die sie entweder für Karrierezwecke oder für ihr Ego benützte, reichte von Regisseur Josef von Sternberg über Willi Forst, die Hollywood-Filmpartner Gary Cooper, John Wayne bis zu mehreren Damen (darunter in späteren Jahren die Piaf), denen sie schon in ihrer Berliner Zeit grundsätzlich nicht abgeneigt waren.

Wenige lehnten ihre Aufforderung ab, in ihr Zimmer zu kommen, wie Burt Bacharach, der sie lange bei ihren Show-Auftritten begleitete. Andere waren vielleicht „nur“ treue Freunde wie „Papa Hemingway“ oder Friedrich Torberg, der als unermüdlicher Briefpartner erlebte, wie Marlene Menschen gebrachte und fallen ließ… Es gibt tatsächlich viel Literatur zu Marlene, aus der man zitieren kann, und die Autorin ist dabei so nüchtern und angenehm wenig lüstern wie ihr Gegenstand.

In dem Moment, als sie mit „Der blaue Engel“ ihre große Chance erhielt, hat Marlene Dietrich ihre Karriere selbst in die Hand genommen und sehr bewusst an Josef von Sternberg gehängt (immer die Welt wissen lassend, wie er sie bei Dreharbeiten „folterte“), der sie nach Hollywood mitnahm. Immer mit Gatten und einem ganzen „Clan“ behangen, dessen Lebensunterhalt viel Geld kostete, wurde das „Geldverdienen“ für sie zur Manie.

So widersprüchlich die von der Autorin ausführlich zitierten Meinungen auch sein mochten, fest steht, dass Marlene Dietrich keine genuin begabte Schauspielerin (und auch keine wirklich gute Sängerin) war, aber sie verstand mehr als alle anderen davon, ihr „cooles“, rätselhaftes, immer ein wenig der Realität „entfremdetes“ Image aufzubauen: Auch für diese Bewusstheit der „Marke Dietrich“ können viele Beispiele gebracht werden – und sie wurde nach ihrer Filmkarriere zementiert, als sie als „Showstar“ durch die Welt tingelte. Wiederum, um Geld zu verdienen.

Allerdings – auch wenn die Schauspielerin Marlene Dietrich niemand ist, deren Kunst man wirklich analysieren müsste, so sind es letztendlich doch die Filme, die von ihr geblieben sind, und denen hätte die Autorin mehr Aufmerksamkeit widmen können. Doch ihr war es wichtiger, die Hetzjagd dieses Lebens von einem Ort zum anderen mit dem wechselnden Personal nachzuzeichnen.

Indem Eva Gesine Baur natürlich niemals vergisst, die politischen Ereignisse der Zeit nachzuzeichnen (und Marlene keinesfalls zur politischen Person, zur Kämpferin gegen die Nazis macht, sondern immer nur zur Kämpferin für sich), bettet sie die Dietrich erfolgreich in das 20. Jahrhundert ein, das an so vielen Lebensgeschichten „mitgeschrieben“ hat. Und sie bekommt diese Persönlichkeit, die von dem „preußischen Duktus“ ihrer Kindheit geprägt wurde, gut in den Griff: Das „Landgraf, werde hart“, das daheim immer wieder zitiert wurde, schrieb sie noch in späten Jahren in einem Brief an Torberg, und ohne ihre unerschütterliche Disziplin wäre ihr unglaubliches Arbeitsleben, das sie – soweit es in ihrer Macht lag – immer weiter drängte und in Gang hielt, nicht möglich gewesen. Manchmal wird einem beim Lesen schwindlig schon angesichts des dauernden Szenenwechsels zwischen Europa und Amerika, das sie so benützt hat wie Menschen und letztlich nie mochte (kein Zufall, dass sie in Paris starb – wohl nicht ihr Wille, dass man sie in Berlin beerdigt hat). Auch, dass die Dietrich nach üblichen Kriterien in ihrem Verhalten nie wirklich „normal“ war, wird klar, ebenso ihr spätes Abdriften in absolut pathologisches Verhalten, das mit Altersstarrsinn nur geringfügig umschrieben ist…

Zusammenfassend: Noch nie hat man sich dermaßen gewissenhaft-detailreich durch dieses dicht gedrängte Leben gelesen. Einschränkend: Wenn schon die Filmarbeit eher am Rande behandelt wird, wäre eine Filmographie im Anhang sinnvoll gewesen. Und: Wer immer sich für die Dietrich interessiert und viel über sie gelesen hat, wird in diesem Buch letztendlich nichts Neues finden. Das Alte aber in aller Ausführlichkeit.

Renate Wagner

 

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