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ESSEN / Villa Hügel: „WAHNSINN AUS ENGLAND“. Händel-Arien und Raritäten von Henry Purcell und John Blow / Countertenor TERRY WEY, Folkwang Kammerorchester

ESSEN / Villa Hügel: „Wahnsinn aus England“ – Händel-Arien und Raritäten von Henry Purcell und John Blow / Countertenor TERRY WEY, Folkwang Kammerorchester
24.3.2017 – Karl Masek

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Terry Wey. Foto: Andrea Masek

Villa Hügel: Ehemaliges Wohn- und Repräsentationshaus der Industriellendynastie Krupp.    Früher assoziierte man den Namen Krupp mit Stahl, Nirosta und Waffenproduktion in unseliger Zeit. Seit 1967 mit einem Erbverzicht von Arndt von Bohlen und Halbach fließt das Vermögen an die gemeinnützige Krupp-von Bohlen-Halbach-Stiftung. Die fördert in großem Stil Projekte in Wissenschaft, Forschung, Bildungswesen, Musik und bildender Kunst.

Davon profitiert seit etlichen Jahren das 1958 gegründete Folkwang Kammerorchester Essen. Das Ziel dieses Klangkörpers ist die Förderung von begabten Absolventen/innen und Studenten/innen (vor allem der Folkwang-Universität in Essen mit Standorten auch in Duisburg und Bochum). Das FKO versteht sich als „Sprungbrett-Orchester“, welches Abschlussstudenten/innen umfassend weiterbilden möchte und sie für einen sehr umkämpften Arbeitsmarkt stärken will.

Die 16 Orchestermitglieder, allesamt Streicher/innen (derzeit weibliche Mehrheit), sind fast alle Anfang bis Mitte zwanzig. Hochmotiviert und über bloße Konkurrenzfähigkeit weit hinaus. Nach einem Abend wie diesem würde ich das junge Ensemble durchaus auf ähnliche Stufe wie beispielsweise das Freiburger Barockorchester stellen.

Der Erste Gastdirigent der Essener, Gottfried von der Goltz, hat da sicher den direkten Vergleich. Hat der 1964 geborene Barockgeiger und „Urmusiker“ doch in ganz jungen Jahren 1987 die „Freiburger“ mit begründet und ist seither einer der beiden Künstlerischen Leiter und Konzertmeister.

Die „Folkwanger“ sind gewissermaßen das Residenzorchester im Konzertsaal der Villa Hügel und damit auch mit der besonderen Akustik des Saales vertraut. Diese erweist sich nach meinem Ersteindruck als samtig, von eher schwerer Klanglichkeit, etwas „wattig“ – und jedenfalls sängerfreundlich. Sie kommt Orchestern mit pastosem Klangbild sicher entgegen. Alte Musik aus England (auch der große Hallenser Händel zählt da selbstverständlich dazu) passt hervorragend in diesen Saal mit seinem repräsentativen Ambiente und der etwas düsteren Feierlichkeit.

Neu entdeckte Musikkleinodien und toller Nachwuchs: Eine von mir besonders geschätzte Kombination. Zum Beispiel: John Blow (1649 – 1708). Lehrer von Henry Purcell. Der Komponist am englischen Hof war damals in England ein Trendsetter in Sachen Oper. Von ihm die am frühesten erhaltene englische Oper:  Venus und Adonis. Enthalten der Wahnsinn der Liebesgöttin, die ihren Gatten zur Jagd überredet, und der Arme wird von einem Wildschwein getötet. Daraus eine Suite für Streicher, die mit gefühlvoller Gestaltung der Gesangslinien, im Trauergesang der Venus bereits angedeutet, einen Ausblick darüber gibt, was in der Oper geschehen wird. Elegant, anmutig, farbig, kommt diese Suite daher.

Und der Schüler Henry Purcell: Seine erste „semi – opera“ heißt „Diocletian“.
Der römische Kaiser wird mit Sturm, Monstern und dem Persereinfall bestraft, weil er nicht die durch Prophezeiung bestimmte Frau nimmt, sondern sich in eine andere Frau verliebt. Hier steigern sich die „Folkwanger“ in der ‚Hornpipe‘, ‚Dance of the Furies‘ und ‚The Chair Dance‘ zu effektvollem Furioso.

Im Concerto grosso op.6 Nr. 11 von Georg Friedrich Händel werden dessen subtile kontrapunktische Spielereien und leichtfüßige Effekte souverän ausgespielt. Gottfried von der Goltz erweist sich mit Geige und ohne Taktstock als Meister des Überblicks. Nichts entgeht ihm, seine Mitmusiker/innen hat er alle im Augenwinkel, und so ergibt sich ein kongeniales entspanntes Musizieren.

Protagonist und Star des Abends: Countertenor Terry Wey. Er lotet unter dem Motto: „Immer ist die Liebe schuld!“ die äußersten Extreme der großen Gefühle aus. Er überschreitet sogar Geschlechtergrenzen, versetzt sich, virtuos changierend, in Männer- wie Frauenrollen, ganz wie in Kastratenzeiten.

Schillernd und obertonreich, sein nobel timbrierter Altus. Immer wieder atemberaubend sein Tonumfang, die perfekt gesetzten Spitzentöne, die schier endlosen Legato-Bögen (in der Arie „Ch’io parta“ des zwischen zwei Frauen hin und her gerissenen ‚Arsace‘ in Händels Oper „Partenope“. Wütend, wahnsinnig, die Koloraturen-Exzesse, wenn ‚Arsace‘ in Zorn über die Zurückweisung durch ‚Partenope‘ gerät.

Geradezu irre, an welche stimmlichen und ausdrucksmäßigen Grenzen Wey nach der Pause in der Rolle der ‚Dejanira‘ aus Händels Oper „Hercules“geht. In der ausladenden Arie „Where shall I fly“ zeichnet er mit erschreckender Attacke das Bild einer Frau in  seelischer Ausnahmesituation: Hysterische Ausbrüche, grelle Schreie, das völlig den-Verstand-Verlieren, Selbstanklage, dumpfe Trauer. Die Liebe ist schuld, die Eifersucht ist schuld.

Schließlich als krönender Abschluss Jarbas‘ berühmte 11-Minuten-Arie „Cadra fra poco in cenere“. Zynisch heiter hier das Psychogramm eines Irren, der den Plan hat, Rom abzufackeln, weil Dido seine Avancen verschmäht (aus dem Pasticcio „La Didone Abbandonata“). Hier nochmals alle Vorzüge eines Ausnahmesängers: Koloraturenperfektion, tollkühne Intervallsprünge, Staccato, Legato, das alles eiskalt, lässig gestaltet.

Ovationen am Ende, samt rhythmischem Klatschen und Fußgetrampel, werden mit der Zugabe „Ombra mai fu“ belohnt. Zum Niederknien schön. „Einer wie Xerxes, der eine Platane liebt, das Meer auspeitscht und Ketten ins Meer schmeißt, ist wohl auch wahnsinnig und passt daher zum heutigen Programm…“, so Terry Wey launig bei der Ansage…

Karl Masek

 

 

 

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