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ESSEN/ Aalto-Theater: MACBETH. Premiere

20.10.2013 | KRITIKEN, Oper

ESSEN/ Aalto-Theater: MACBETH. Premiere am 19. Oktober

 Das Theater Essen gehört zu den Bühnen, welche in den dreißiger Jahren besonders eifrig auf die Dresdner Verdi-Renaissance reagierten. Jetzt, am heutigen Aalto“ also, wurde “Macbeth“ gewählt, um dem neuen GMD der ESSENER PHILHARMONIKER, dem Tschechen TOMÁS NETOPIL, nach den beiden vorangegangenen Konzerten (u.a. Verdis „Requiem“) auch in der Oper einen guten Einstand zu ermöglichen. Ihm obliegt ja nun die nicht sehr leichte Aufgabe, die fast schon zu einer Legende gewordenen Erfolgsjahre von Stefan Soltesz zu kontinuieren. Nepotil gab dem „Macbeth“ von Anfang an sorgfältige Konturen, die flammende Energie von Soltesz stellte sich aber nicht auf Anhieb ein, doch gelangen im Verlauf der Aufführung glaubwürdige Steigerungen. Der Italianità-Stil gewann an dramatischer Schärfe, das Bild mit den schottischen Flüchtlingen besaß bewegende Lamento-Aura, die Nachtwandel-Szene bestach durch sensible Klangwirkungen und subtile instrumentale Details. Der Jubel am Schluss war also berechtigt.

 DAVID HERMANNs Inszenierung hebt mit einer stummen Szene auf der Vorderbühne an. In einem schmalen Lichtstreifen sieht man einen kleinen Erdhügel, in welchem ein Holzkreuz steckt. In gebeugter Haltung nähern sich Macbeth und seine Gattin dem Grab ihres Kindes. Was ist größer: das Leid der Eltern oder der Verlust eines neuen Dynastievertreters – das bleibt offen. Spätere Auftritte wie die des „toten“ Banquo inmitten schwangerer Frauen oder der Zug von Müttern mit ihren (ausschließlich männlichen) Kindern im Finale, welche an der Tragödie des Herrscherhauses keinen Anteil nehmen, akzentuieren aber wohl doch vorrangig Glücksgefühle über Nachkommenschaft. Leidempfindungen soll Macbeth und seiner Frau also  nicht abgesprochen werden. Zudem gibt es den Auftritt eines „Soloknaben“, welcher fraglos für das Söhnchen des Ehepaares steht.

 Ob das im Sinne Verdis (und auch Shakespeares) allerdings eine wesentliche Vertiefung von Verständnis erbringt, muss man deswegen aber nicht bestätigen. Freilich harmoniert die Akzentsetzung mit der Essener Besetzung der Lady. GUN-BRIT BARKMIN hat zwar auch Schostakowitschs Katharina Ismailowa, also die „Lady Macbeth von Mzensk“, im Repertoire, ist gleichwohl eine Sängerin von jugendlich dramatischem Gepräge, bei ohnehin lyrischem Grundton. Ob solcherart ein Deutungszusammenhang mit der Anfangsszene beabsichtigt ist (das Orchestervorspiel nimmt in seinem Lamento-Teil die Nachtwandel-Musik vorweg), wäre vorstellbar. Gun-Brit Barkmins Sopran besitzt Leucht- und Durchschlagskraft, aber glutvolle Dämonie, wie sie (greifen wir ganz hoch) einer Maria Callas oder Leonie Rysanek eigen war, geht dieser Sängerin ab. Wenn sie in ihrer 1. Arie (plus Cabaletta) – über den Ehrgeiz ihres Mannes weit hinausgehend – die Hölle anruft und dieser „mörderische Lüste“ abfordert, wirkt das in Essen etwas kleinformatig, was den Respekt vor der Gesamtleistung aber nicht mindern soll.

 Das Rollenbild, wie es sich in Essen darstellt, hätte im übrigen durchaus inszeniert werden können als ein höheres Maß an Verletzlichkeit, als wie es sich die Lady selber eingesteht. Das würde zudem die Wahnsinns-Szene besonders schlüssig erscheinen lassen. Insgesamt gelingt es Regisseur Hermann freilich, den Weg der Usurpatoren in einen tödlichen Abgrund bildsuggestiv zu schildern. Macbeth beobachtet, selber schon nicht mehr ganz Herr seiner Sinne, den nächtlichen Auftritt seiner Gemahlin, und diese sitzt (also nicht tot wie üblich) geistesabwesend mitten im Schlachtgetümmel des Schlussbildes.

 Gerade mal hier, beim Bankett oder (mit wirkungsvollem Auftritt durch den Zuschauerraum) im Schottland-Bild wird der Chor (ausgezeichnet präpariert von ALEXANDER EBERLE) in die Aufführung auch darstellerisch einbezogen. Die Hexen bleiben jedoch ebenso unsichtbar (oder werden durch Video-Einblendungen visualisiert) wie die schottischen Flüchtlinge, deren Klage man bei leerer Bühne aber besonders aufmerksam lauscht. 3 blutverschmierte Kinderleichen reichen, um die beklemmende Situation optisch zu vermitteln. Ein Bild von enormer Bannkraft. Mit solcher Reduktion wird die Handlung immer wieder auf die Maße eines Kammerspiels eingefroren, welches (um eine Britten-Oper zu zitieren) ein „Turn oft he Screw“ (Drehung der Schraube) beklemmend verdeutlicht. Der letzte Mord von Macbeth (an der Kammerfrau, welche den Tod der Lady meldet) ist schon fast nicht mehr gewollt, sondern eine unkontrollierte Affekthandlung wie im Delirium. Zu dieser Verdi’schen „Götterdämmerung“ passt, dass zuletzt nicht die für Paris 1865 nachkomponierte Siegeshymne erklingt, sondern das dunkle Solo des Titelhelden aus der Florenzer Erstfassung 1847 („Mal per me che m’affidai“).

 Hermanns häufiger Ausstatter CHRISTOF HETZER hat den Bühnenboden mit zerknülltem Papier übersät, malerisch, vielleicht zu malerisch. Eine große runde Bodenöffnung, aus welcher zu Beginn ein toter Baum mit üppigem Wurzelgeflecht unter Donner und Blitz in die Höhe gezogen wird (symbolisierte Entwurzelung) steht für das höllische Szenarium in dieser Oper. Eine gewölbte, bewegliche Brücke überspannt den Abgrund immer wieder. Von Hetzer stammen auch die malerischen, zeitlos modernen Frauenkostüme; die Männer tragen kämpferische Schwarzkluft.

 Der finnische Bariton TOMMI HAKALA war in Essen bereits als Belcore zu erleben, und Kavalierspartien wie diese dürften ihm auch weiterhin besonders liegen. Über ein wirklich ausladendes Verdi-Organ verfügt er nicht, aber die angemessene Expressivität wächst ihm immer stärker zu und führt zu einer insgesamt imponierenden Rollengestaltung. Mit seinem Belcanto-Bass gibt LIANG LI einen exzellenten Banquo ab, den Macduff porträtiert ALEXEY SAYAPIN kraftvoll gleißend. Die anderen Mitwirkenden sind tadellos: MARIE-HELEN JOEL (Kammerfrau), ABDELLAH LASRI (Malcom) und BAURZHAN ANDERZHANOV (Arzt).

 Christoph Zimmermann

 

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