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ESSEN/ Aalto-Theater: LA STRANIERA von V. Bellini. Musikalischer Glanz im Aalto-Theater

21.03.2014 | KRITIKEN, Oper

Essen: „LA STRANIERA“ (Premiere am 02.03.2014, besuchte Aufführung am 21.03.2014)

 Musikalischer Glanz im Aalto-Theater.

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Marlies Petersen. Foto-Copyright: Thilo Beu

 Es scheint es, als gelinge es Intendant Hein Mulders, dem Aalto-Theater neuen Glanz zu verleihen. Jedenfalls kommt seine Repertoire-Politik an. Das Haus ist meist bis auf den letzten Platz gefüllt. Im Falle des selten gespielten Werkes von Vincenzo Bellini ist das recht erstaunlich, denn wer außer den Insidern kennt das Stück überhaupt? Dabei hat es unter musikalischen Aspekten eine Renaissance durchaus verdient. Bellinis unerschöpflicher Melodienreichtum, die zündenden Rhythmen, die sprühenden Einfälle – all das kennt man von diesem Komponisten und findet es hier in großer Fülle wieder. Allerdings leidet diese Oper unter einer schweren Hypothek: Das ist das Libretto von Felice Romani, eigentlich einem Er­folgslibrettisten seiner Zeit. Aber die Handlung ist so verworren, daß man sie in Kürze gar nicht darstellen kann. Im Kern geht es darum, daß der französische Kö­nig seine Geliebte Alaide in einer Hütte in der Bretagne „parkt“, bis seine rechtmäßi­ge Gemahlin verstorben ist. Arturo di Ravenstel steht vor der Hochzeit mit seiner ungeliebten Braut Isoletta di Montolino, fühlt sich aber unwiderstehlich zu jener Fremden hingezogen. Am Ende geht all das natürlich nicht gut. Nach dem Tod der Königin kehrt Alaide an den Hof zurück. Arturo bringt sich um.

 Bedauerlicherweise ist es Regisseur Christof Loy (Bühnenbild: Annette Kurz, Kostüme: Ursula Renzenbrink) zu keiner Zeit gelungen, den Handlungsverlauf wirklich durchschaubar zu machen. Das wird man demnächst auch in Wien noch feststellen können, denn es handelt sich um eine Co-Produktion zwischen den Opernhäusern Zürich, Essen und dem Theater an der Wien. So zieht sich ange­sichts der recht hausbackenen Personenführung, die gewisse Reminiszenzen an die Aufführungspraxis vor knapp 200 Jahren erweckt, allein der fast anderthalb­stündige erste Akt trotz der musikalischen Qualität arg in die Länge.

 Es ist also kein Wunder, daß das durchkomponierte Werk in erster Linie von einer ganz vorzüglichen Sängerbesetzung lebt. Die Titelrolle der Alaide ist – nein dieses Mal nicht der Gruberova – Marlis Petersen anvertraut. Sie hat zunächst einmal den Vorteil, daß sie zwanzig Jahre jünger ist und die Figur allein optisch reizvoll glaub­haft machen kann. Bemerkenswert ist aber natürlich ist die Tatsache, daß sie sich als deutsche Koloratursopranistin (so bezeichnet sie sich selbst, obwohl sie ange­sichts ihrer Violetta über dieses Fach hinaus durchaus anderen Aufgaben gewach­sen ist). In die erste Reihe der Fachvertreterinnen vorgedrungen ist. Da perlen die Koloraturen, glänzen die Acuti und funkeln die Fiorituren. Diese Sängerin hat Italianità im Überfluß und eine Stilsicherheit und vokale Substanz, die sie auf dem­selben Level wie eine Netrebko, Peretyatko und selbst eine Gruberova erscheinen läßt. Erstaunlich ist allenfalls, daß es Mulders gelungen ist, sie zwischen ihren En­gagements in Berlin, Wien und New York dazu zu bewegen, einen Stop im eher  provinziellen Essen einzulegen.

 Die wesentlich kleinere Rolle der Isoletta  hat die junge Litauerin Ieva Prudniko­vaite inne – in Wien als Maddalena bei den Festwochen und im Theater an der Wien bekannt – und hielt mit schönem Mezzo-Timbre und stilistischer Prägnanz in diesem hochklassigen Ensemble ausgezeichnet mit.

 Luca Grassi war Valdeburgo, Bruder der Alaide, und imponierte durch einen eben­so kraftvollen wie angenehm timbrierten Bariton, wobei die Stimmfarbe stark an Guido Loconsolo erinnert. Mit geschlossenen Augen hätte man gelegentlich dem Irrtum erliegen können, hier singe tatsächlich der Ehemann der Machaidze. Bleibt Arturo, der Tenor. Der ist in dieser Oper gewissermaßen arm dran, denn der Kompo­nist hat ihm keine herausragende Nummer zugedacht. Der bedauernswerte Alexey Sayapin war auf der Bühne nahezu stets präsent, hatte immer irgendwo irgend­etwas mit irgendwem zu singen, ohne sich in belcantotypischer Weise profilieren zu können. Dabei besitzt der sympathische und darstellerisch agile junge Mann ein Material, das zwischen einem tenore leggiero und einem tenore di grazia angesie­delt ist. Man gebe ihm eine „richtige“ Partie (z.B. Ernesto, Nemorino oder Almavica), und ich bin sicher, er wird damit reüssieren. Die Nebenrollen waren ebenfalls aus­gezeichnet besetzt mit Albrecht Kludszuweit (Osburgo), Tijl Faveyts (MONTOLI­NO) und Baurzhan Anderzhanov (IL PRIORE).

 Am Pult stand Josep Caballé Domenech, den eigenen Bekundungen nach nicht verwandt mit dem Caballé-Clan, derzeit Chef der Staatskapelle Halle und 40jähri­ger Katalane. Der Rezensent muß einräumen, daß er die Essener Philharmoniker selbst unter Soltesz selten so gut aufgelegt gehört hat wie in dieser Folgeauffüh­rung knapp drei Wochen nach der Premiere. Da stimmte alles. Hervorzuheben sind die herrlichen Horn- und Klarinettensoli. Für ein derartiges Werk bedarf es nicht nur des notwendigen Einfühlungsvermögens für den italienischen Belcanto sondern auch eines gehörigen Verständnisses für die gebotene Rücksichtnahme auf die Sängerstimmen. Caballé Domenech hat all das und kam zu keiner Zeit in die Ver­suchung, sich auf Kosten der Gesangssolisten in den Vordergrund zu drängen. Auch der von Alexander Eberle wie üblich glänzend einstudierte Chor harmonierte an diesem Abend mit Orchester und Solisten in idealer Weise. Solche Glücksfälle wünscht man sich für Essen häufiger.                                                     

Klaus Ulrich Groth

 

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