Ernst Krenek:
ORPHEUS UND EURIDIKE
Salzburger Festspiele 23.8.1990
ORFEO 2 CDs
Klingendes Monument für den Komponisten und Euridike Dunja Vejzovic
„Triumph! Ich lass dich nicht sterben… Hinter der Liebe bis in den Tod steckt Hass.“ Orpheus
Ernst Krenek hat einen bekenntnishaften Orpheus Text von Oskar Kokoschka vertont, in dem der Maler seine Traumata vom ersten Weltkrieg als auch seine schwierige Beziehung zu Alma Mahler verarbeitete. Diese höchst subjektive Neudeutung des antiken Mythos erfährt durch die intensive musikdramatische Umsetzung Kreneks erst jene abgrundtiefe Wahrhaftigkeit, die verständlich machen, dass Kokoschka die Worte in „Ekstase, im Delirium, geweint, gefleht, geheult in Angst und Fieber der Todesnähe“ ersonnen hat. Ein Schlüsseltext, der in den Dialogen zwischen Orpheus und Euridike den Zuschauer voyeurhaft daran teilhaben lässt, was sich die beiden Liebenden Oskar und Alma einst heimlich zugeflüstert haben. Das auch von der Tessitura her extreme Duett im 3. Akt zwischen dem Geist Euridikes mit Orpheus markiert sicherlich den Höhepunkt der Oper.
Die auf der CD nun publizierte Aufnahme entstammt einer Aufführung anlässlich der Salzburger Festspiele 1990 zum 90. Geburtstag des anwesenden Komponisten.
Worum geht es in dieser Oper einer zerstörerischen Zweierbeziehung? Im Wesentlichen um Untreue und die Unfähigkeit zu vergeben: Der heimkehrende Orpheus und Euridike bekennen ihre bedingungslose Liebe. Lange Zeit haben sie nicht, diesen Zustand auszukosten, denn die Furien der Unterwelt drängen bei Psyche auf Eingang zum Schlafgemach. Euridike soll für sieben Jahre zu Hades hinabsteigen. Nach fünf Jahren steigt Orpheus in die Unterwelt und will Euridices Rückkehr erwirken. Aber Euridike ist die Geliebte des Hades geworden. Nach zwei weiteren Jahren findet Orpheus die zerbrochene Leier und verflucht Sonne und Mond, alte Zeiten, Wollust und Wahnsinn, selbst das Bild Euridikes. Orpheus ist selbst nach seinem Tod durch Erhängen im Ruinenfeld unfähig, die Untreue seiner Gattin zu vergeben. Ambivalent will er sie dennoch nicht aufgeben, Euridike aber entschwindet von ihm losgesagt im Geisterreigen. Im Nachspiel folgt ein Chor hoffender Seelen dem Kahn der Psyche…
Die Musik des damals 23 jährigen Tonsetzers Krenek ist von hohem Symbolcharakter, komplex in ihren Strukturen und lässt sich nicht klar in eine der damals herrschenden Schulen einordnen. Das macht aber auch ihre Stärke aus. Die an Formen reiche Partitur reflektiert einen Zustand, der wie aus einer andern Welt der Handlung eine schicksalshafte Schicht unterlegt, die das Unbewusste der Protagonisten spiegelt. Laut Krenek besteht die Aufgabe und Daseinsberechtigung der Musik im Drama darin, „der größtmöglichen Verdeutlichung und Verlebendigung des dramatischen Gesamtgeschehens zu dienen und so mit Wort, Farbe, Licht, Gestalt und Bewegung in eine höhere und eigengesetzliche Einheit aufzugehen, deren erster und tragender Repräsentant der singende Mensch auf der Bühne ist.“ Orpheus und Euridike ist aber auch eine tolle Sängeroper geworden, vor allem die Rollen des Orpheus, der Euridice und der Psyche bieten den Interpreten ein weites Land kantabel expressionistischen Gesangs.
Besonders Dunja Vejzovic in der Rolle der Euridike gelingt ein unvergleichlich bewegendes vokales Porträt. Vejzovic höchst individuell timbrierter dramatischer Sopran ist ideal für Krenek Musiksprache. Die dichte Orchestersprache verlangt von den Solisten Durchschlagskraft, aber auch poetisches Verdichten ab. Vejzovic ist in der Rolle der Euridike mehr als Geliebte, sie ist Femme Fatale, Urmutter Erda, „Teufelin und Höllenrose“, aber auch Prophetin, nicht zuletzt eine verletzliche Frau, die keinen Gesetzen außer ihren eigenen folgt. Vejzovic‘ Legati sind von überirdischer Qualität, die von Karajan geschätzte Sängerin besaß die Gabe, schwebende Kuppeltöne als auch dramatische Akzente zu setzen wie kaum eine andere. Ihre Euridike ist ein Rollenporträt für die Ewigkeit auf dem künstlerischen Zenit der Künstlerin. Dabei ist unerheblich, dass große Textdeutlichkeit ihre Sache nicht war…
Der Orpheus war mit den heldischen Charaktertenor Ronald Hamilton besetzt. Die helle Stimme klingt bestens fokussiert, ist gut in der „Maske“ verankert und transportiert die Verzweiflung des Orpheus mit kreatürlich destruktiver Entäußerung. Zu den impressionistischeren Tönen seiner Euridike steuert er die explizitere Anklage bei. Einer, der untergehen muss, weil er sich letztlich im Vorherbestimmten schwindet und nicht entrinnt bzw. versteht. Dea ex machina Psyche ist bei der ausdrucksstark und glockenklar singenden Koloratursopranistin Celina Lindsley in besten Händen. Die drei Furien sind mit Cornelia Kallisch, Gabriele Schreckenbach und Jutta Geister besetzt. In kleineren Rollen reüssieren Hans Franzen als Betrunkener, Wilfried Gahmlich als Matrose und die Luxusbesetzung Bo Skovhus als Ein Krieger/ Narr.
Der ORF Chor Wien (Einstudierung Erwin Ortner) wird einmal mehr seinem legendären Ruf gerecht. Krenek hat hier eine archaische Tonsprache gefunden, die durch Wucht, aber auch rhythmische Glut und Erhabenheit besticht. Das Musiker des ORF-Symphonieorchesters unter Pinchas Steinberg geben alles. Der Orchesterpart wird dabei aber nie zum Selbstzweck, sondern ist in ständig symbiotischem Austausch mit der Bühne. Ereignishaft!
Dr. Ingobert Waltenberger