8.7.:2024 „SIEGFRIED“ erfreut sich des Siegs!
Vincent Wolfsteiner (Siegfried). Foto: Xiomara Bender/Tiroler Festspiele
Ich kann mich kaum – trotz unzähliger „Ring“-Erlebnisse – an eine von allen Sängern so problemlos perfekt gesungene und dargestellte „Siegfried“-Aufführung erinnern. Da muss ich schon an Karajans Wiener „Ringe“- – mit Hotter, Nilsson und Windgassen und Wieland Wagners ähnlich besetzte Bayreuther „Ringe“ denken. – Gründe? Das in der Wiener Staatsoper im Vordergrund befindliche Orchester sorgte stets für eine bezwingende musikalische Wiedergabe, der Bayreuther Orchestergraben unterhalb der Vorderbühne bot den Sängern fast immer eine feste Stütze, regte das Publikum aber wohl wenigr zu hintergründigem Sinnen an. Die großräumige, sich weit nach hinten erstreckende Bühne des Erler Passionsspielhauses lässt das umfangreiche Orchester, auf steil ansteigenden Stufen im dunklen Bühnenhintergrund platziert, zu geheimnisvoller Aussagekraft mutieren, die einen ständig zum Sinnen und möglichem Deuten hintergründiger Geschehnisse anregen.
So hatte bereits das „Rheingold“ begonnen – im Wasser und mit all den geheimnisvollen, aber auch amusanten Geschehnissen, wo aber auch alle Figuren bereits ihre persönlichen Eigenschaften zur Schau stellen durften. Und die großen Sängerpersönlichkeiten in der „Walküre“ ließen ja dann auch keine Wünsche offen. Die Theater- und Musik-erfahrene Regisseurin Brigitte Fassbaender sorgte im gesamten „Ring“ stets für Verständiches, ebenso wie für Überraschendes.
Dirigent Erik Nielsen ließ aus dem großartigen Orchester Ernst und Heiterkeit, Lebenslust und göttliche Ansprüche heraushören. Keinen Augenblick ließ die Spannung nach. Und gerade die Tatsache, dass man den Musikern im halbdunklen Bühnenhintergrund nicht beim Spielen zuzuschauen vermochte, ließ das gesamte Helden-und Götterdrama überdimensional erscheinen.
Einmal mehr ist Wagners Titelheld göttlichen Ursprungs. Doch der muss sich sein Dasein teuer erkaufen. Weder die Zwerge noch die Riesen sind ihm wohlwollend. Zwei Akte lang weiß er noch nicht so recht, was er will. Und selbst die kluge Erda verweist ihn letztlich auf die Nornen. Doch schließlich kommt dem wandernden Gott die Idee: „Dem ewig Jungen weicht in Wonne der Gott!“ Aber das dauert noch… Erst nachdem der „Ewig Junge“ seinen Speer zerschmettert hat, kann dieser Siegfried die ihm ebenbürtige Wotanstochter erwecken. Und so groß wird die Liebe der beiden, dass nur „leuchtende Liebe“ und „lachender Tod!“ die beiden standesgemäß zu vereinen vermag.
Realistisch denkend, können wir gar nicht erfassen, dass es so etwas geben kann und zwei Sänger diese Rollen bewältigen können. Wenn das erfolgreich geschehen ist, dann ist der Höhepunkt des „Ringes“ erreicht. Und er war es! Gesanglich, von orchestraler Seite und dank dem wunderbar ausgeleuchteten Bühnenbild mit dem gewaltigen Felsenrund auf höchster Höhe.
Das 160-seitige Programmheft umfasst neben den Namen aller Mitwirkenden und kurzen Lebensläufen neben Zitaten von Richard Wagner kluge Sätze und Abhandlungen von Dichtern, Philosophen, Musikern und fürstlichen Förderern des Dichterkomponisten, bei deren Lektüre ich wähnte, Neues erfahren zu haben…Ebenso wie bei der Aufführung.
Im ersten Bühnenbild wird klein Siegfried als Knäblein im Gitterbett gezeigt, vermag aber schon zu zerstören, was sein Ziehvater ihm auferlegen möchte. Nachdem er dann die Treppen hochgelaufen ist, kommt er als der tenorale Held wieder herunter und bleibt ab nun im Kampf mit Mime. Ich habe Vincent Wolfsteiner bereits bei seinem Nürnberger Siegfried-Debut gehört und (etwas schlanker) gesehen und ihn für die Rolle sehr geeignet gefunden. Inzwischen hat sich die Stimme gefestigt und ist allen Anforderungen problemlos gewachsen. Und wie er alle Facetten des nicht durchwegs glücklichen „Helden“ auslebt, verdient alle Bewunderung. Man sieht und hört ihm stets an, dass er alles, was sich ihm anbietet, durchschaut. Er zeigt alle Emotionen, die Wagner seinem Helden auf den Lebensweg gegeben hat, vokal, mimisch und ganzkörperlich, wo nötig. Es gab keine Ermüdungserscheinungen, weder physisch noch vokal. Wie im Programmheft, verdient es auch Christiane Libor, als gleichwertige göttliche Primadonna genannt zu werden. In Spiel und Gesang ist sie die kluge ebenso wie emotional überzeugende Wotanstochter. Ihr sicher beherrschtes Stimmvolumen ist beeindruckend! Und nicht minder ist es Simon Bailey als wandernder Wotan, der ja, wie von Wagner recht intelligent gestaltet, nach der eigentlichen Abdankung des obersten Gottes, dort und da sich als Wissender aufspielt, sich aber auch dort wie da ein Quäntchen Humor nicht nehmen lässt. Der sehr schönen Stimme, eindeutig ein voluminöser Bariton, kann er sehr viel Aussagekraft abgewinnen. Er gehört bereits in die erste Reihe der Wagner-Götter.
Alberich – Thomas de Vries – eindeutig ein abstoßender Kerl mit schwarzem, verschmiertem Gesicht und dunklem Bassbariton eindringlichst argumentierend für den ihm zustehenden Goldbesitz. Und Peter Marsh als Mime – ständig unterwegs mit festem, sicher eingesetztem, wortdeutlichem Tenor und seine Argumente so richtig genießend…
Fafner, der wilde Wurm, wie normalerweise alle hintergründigen Figuren im „Ring“, brauchte sich in Erl nicht in einer Ecke versteckt zu halten, sondern Anthony Robin Schneider hat offenbar seit langem sein Zuhause in einer grässlichen schwarz-silbernen Rüstung gefunden, die ihm Sicherheit zu gewähren schien. Doch sein kraftvoller Bass konnte nicht verhindern, dass der junge Siegfried mit Nothung „Neides Zoll“ zahlte und für den Riesen eine ganze Welt nebst ihm selber zusammenbrach.
Ein singendes und ein umhertanzendes Waldvöglein – Ilia Stapel /Chris Wang bezaubern Siegfried in der schönen Waldszene, wofür Wagner seine Naturbezogenheit wieder einmal ausleben konnte, ehe der Wanderer sich zu einer weiteren belkantesken Szene mit der hübschen und schönstimmigen Erda, Zanda Svede, wieder trifft, ist nicht minder beeindruckend!. Die beiden miteinander Wein trinken zu lassen, muss einem auch erst einfallen – wie es einmal mehr bei der Meisterregisseurin der Fall war. Und dass Brigitte Fassbaender die Brünnhilde nicht auf einem fernen Fels, sondern ziemlich weit vorne an der Rampe zuerst schlafen und nun erwachen lässt, nachdem Siegfried ihr die Füße geküßt hat. Christiane Libor, ebenso groß und kräftig gebaut, wie sie ihre Stimme problemlos in allen Lagen und dem Wissen, was sie singt, zum Einsatz bringt, singt und spielt sich auch Vincent Wolfsteiner klug, einfallsreich und souverän singend in Siegfrieds großes Lebensglück hinein!
Einmal mehr bejubelt das den Saal voll füllende, begeisterte Publikum im Tiroler Dörfchen Erl alle Mitwirkenden. Viel zu kurz zeigt sich Maestro Erik Nielsen, vom Orchester sieht man auch jetzt nicht viel, und die bescheidene Regisseurin zeigt sich gar nicht…
Sieglinde Pfabigan