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ERL/ Tiroler Festspiele: PARSIFAL im neuen Festspielhaus

22.04.2019 | Allgemein, Oper


Gurnemanz Pavel Kudinov und der erlegte Schwan. Copyright: Xiomara Bender


OSTERN IN ERL: „PARSIFAL“ im neuen Festspielhaus

Auf zu neuen Ufern

20.4. 2019 – Karl Masek

Das Jahr 2019 bringt Neuerungen.  Am 1. September wird der Chef der Frankfurter Oper, Bernd Loebe, das Schiff „Tiroler Festspiele Erl“ als Intendant übernehmen. Als „Routinier und Retter in der Not“, wie die Zeitung „Der Standard“ im Herbst 2018 titelte, wurde er geholt. Schon in Frankfurt (hier läuft sein Vertrag noch bis 2023) hat er sich in den ersten Jahren als „Troubleshooter“ bewährt und „schwere Zeiten in gute verwandelt“.  Er will nun die Festspiele nach den bekannten #Metoo-Turbulenzen um den Gründer des Festivals, Gustav Kuhn, rasch aus den Negativschlagzeilen bringen. „ Auf zu neuen Ufern“, Vertrauen wiedergewinnen, lautet die Devise. Im kommenden Winterprogramm sollen Verbindungen zu seiner Tätigkeit als Intendant der Oper Frankfurt geknüpft und Synergie-Effekte hergestellt werden. Richard Wagner wird im Fokus bleiben, aber auch Opern, die man nicht unbedingt zum Kernrepertoire zählt, werden kommen. Zum Beispiel Humperdinks „Königskinder“ im Sommer 2020. Belcanto wird im Winter wie im Sommer Säulenfunktion haben.  Aufhorchen ließ Loebe mit einer Ankündigung für 2021: Brigitte Fassbaender, nach der Weltkarriere als Sängerin auch höchst erfolgreiche Intendantin des Tiroler Landestheaters und Regisseurin, soll einen neuen „ Ring des Nibelungen“ inszenieren. Der Vertrag mit  der Akademie von Montegral  läuft diesen Sommer aus.

Im Moment befindet man sich sozusagen in einer „Zwischenzeit“. Man bringt – einmal noch – die „Parsifal“-Produktion von Furore di Montegral, die im März 2018 erstmals im Festspielhaus gezeigt wurde. Einiges wurde da von einer früheren Produktion, noch aus dem Passionsspielhaus, integriert. Work in progress wird da gespielt.

Man konnte feststellen: Eine Arbeit, „nah am Werk“ in Szene gesetzt. Neu- und Umdeutungen blieben außen vor. Keine mutwilligen „Verortungen“. Kein „Wagner-Spital“, kein Chefarzt Gurnemanz, die Gralsritter sind keine Patienten, Kundry wird nicht im Gitterbett vorgeführt.

Eine sehr stilisierte Lesart wird hier gezeigt. Pathos in kleinen Dosen. Die Bühne wird von geometrischen Elementen beherrscht; Montsalvat ist halbkreisförmig angedeutet; der zentrale Tisch könnte Assoziationen ans „Letzte Abendmahl“ auslösen. Die Verwandlungen werden bloß angedeutet durch Metallskulpturen, welche sich langsam in Bewegung setzen. Im ersten Moment Irritation ob der Nüchternheit des Einfalls, jedoch: Der Fantasie des mündigen Publikums wird Platz gelassen – die Konzentration auf die genialen  Verwandlungsmusiken lässt diese besonders intensiv erleben.

Besonders auffallend: Furore di Montegral schien sich der besonderen Ästhetik der  stilbildenden Arbeiten des Robert Wilson und seines Zeitlupentheaters der 90er Jahre des 20. Jhts anschließen zu wollen. Eine  gekonnte, magisch – schöne Lichtregie (der Raumgestalter und Medienkünstler Peter Hans Felzmann ist dafür wie auch für die Bühnenbilder verantwortlich) erfreute mit Grün, Violett, Blau und  kühlem Abendrot das Auge. Die Magie setzte sich übrigens fort, als man um dreiviertelneun aus dem Festspielhaus kam: Ein Abendhimmel, der das Bühnenlicht nahtlos fortzusetzen schien ….

Aufgewertet wird der Schwan, den der törichte Knabe im 1. Akt erlegt („Im Fluge treff ich, was fliegt.“). Er wird von einer Balletttänzerin (Katharina Glas) dargestellt. Auch hier erschließt sich der Sinn dieses Einfalls nicht sofort, wenn man unwillkürlich denkt: Wird jetzt auch Schwanensee gespielt? Doch der Schwan mutiert in der Folge zum Engels-Symbol, das den hellsichtig gewordenen Parsifal im 2. Akt rettet. Im Moment, als  Klingsor den heiligen Speer nach ihm schleudern will, entwindet sie ihm diesen und übergibt ihn Parsifal. Ein verblüffend simpler  Effekt und kein (oft unbewältigter) Hokuspokus!

Wie man die Blumenmädchen-Szene so auf die Bühne bringt, dass es völlig  unpeinlich  ist, weiß ich nicht zu nennen. Die Kostüme sind hier in gebatikten Farben,  zwischen orange und pink changierend,  gehalten (Karin Waltenberger, da gab es keine Geschmacksentgleisungen!). Der Wiener Opernzeitzeuge fühlt sich an die Kostüme des Jürgen Rose aus der Everding-Inszenierung („Parsifal“ des Jahres 1979) erinnert. Das wurde damals als übler Kitsch gescholten. Was man in der Zwischenzeit da so alles zu sehen bekam! Man muss dem Altmeister Rose Abbitte leisten!

Auch für den Karfeitagszauber sorgt der Schwan – immerhin  schwänzt man hier nicht umdeutungsmäßig einen der poetischsten Augenblicke der gesamten Parsifal-Partitur.  Zurückgenommen, zögerlich, aber doch,  breitet sich die Farbe Grün aus; Zweige, Blätter, werden auf dem Bühnenboden drapiert, wenn die Oboe zum H-Dur-Blumenaue-Motiv ansetzt.

Insgesamt: Es ist keineswegs ein Jahrhundert-Parsifal, der für lange Zeit stilbildend wäre – aber über weite Strecken einer, mit dem man als mündiges Publikum „umgehen“ kann.

Bildergebnis für michael güttler
Michael Güttler. Foto: privat

Dass diese Wiederaufnahme zu einem bejubelten Publikumserfolg wurde, lag mehr noch an der musikalischen Wiedergabe. Ein neuer Dirigent musste nach Kuhns Hinauswurf her: Man konnte Michael Güttler gewinnen, einen souveränen „gewusst-Wie“-Gestalter, der durch oftmaliges, spektakuläres Einspringen, z.B. für Valery Gergiev, Furore machte. Er nützte den Bayreuth-Effekt des verdeckten Orchesters perfekt, bereitete den Sänger/innen auf der Bühne einen Klangteppich vom Allerfeinsten.

Schon das As-Dur-Vorspiel strömte in sanftem Legato und zerfiel nicht in seine Bestandteile, wie man das schon oft erlebt hatte, wenn die Wagnersche Tempobezeichnung Sehr langsam bis zur Stillstandnähe überdehnt wurde. Güttler war überwiegend zügig unterwegs, ließ die Musik aber natürlich atmen, setzte die Motive klar und bestimmt, ohne ihnen zu viel schwergewichtige Markigkeit zu verleihen. Herrlich transparent das Klangbild, an den „richtigen Stellen“ mit kammermusikalischer Delikatesse und impressionistischer Farbigkeit, welche Wagners direkte Vorläuferschaft für Debussy beglaubigte. Die Steigerungen wurden dann tatsächlich als solche empfunden und nicht als bloße Lautstärke-Exzesse.

Exzellent an diesem Abend das Orchester der Tiroler Festspiele Erl. Nicht immer spielen die Hörner im „Parsifal“ so unfallfrei (auch Weltklasseorchester nicht!), überhaupt alle Holz- und Blechbläser, sie spielten aus einem Guss. Von schlanker „Klangflächigkeit“, im Klingsor-Akt mit spannender  Nervigkeit, die Streicher. Die phänomenale Akustik im Festspielhaus tat das Ihre, dass man an diesem Abend wieder einmal das Suchtpotenzial dieses Wagnerschen Opus summum besonders spürte.

Gewisse Qualitätsschwankungen allerdings bei den Sängerleistungen:


„Zum Raum wird hier die Zeit“. Copyright: Xiomara Bender

An der Spitze Pavel Kudinov als herausragender Gurnemanz, der den 1. und 3. Akt beherrschte. Schlank, kernig und von farbenreichem Ausdruck sein Bass, der alle Schlüsselstellen bravourös aussang. Die langen Erzählungen wurden nicht langatmig. Weiters ist zu betonen, dass er die Entwicklung seiner Figur, und hier den alten Gurnemanz des 3. Aktes berührend spielte und dabei auch sensationell wortdeutlich war.

Den 2. Akt beherrschte die Deutsch-Spanierin Nicola Beller Carbone als Kundry. Mit glaubwürdiger Verführungs-Darstellung. Die Stimme ist ausdrucksstark und in der Höhe prachtvoll aufgehend, somit war sie eine Kundry mit allem Wutrasen, das Wagner ihr abverlangt („Den Weg, den du suchst … sollst du nicht finden; denn Pfad und Wege, die dich mir entführten, so verwünsche ich sie dir … Irre! Irre!…“). Die dienende Kundry war sie mit bewegend stummem Spiel.


„Den heil’gen Speer, ich bring ihn euch zurück“. Ferdinand von Bothmer. Copyright: Xiomara Bender

Ferdinand von Bothmer hat im letzten Jahrzehnt eine bemerkenswerte Entwicklung vom Tenore di grazia Rossinis und vom Mozartsänger in Zeiten der Wiener Volksoper zum dramatischen Fach und Wagner-Sänger vollzogen. An seinen Graf Almaviva (2008 an der VOP) habe ich keine Erinnerung behalten. Nun ist er ein jedenfalls beachtlicher Parsifal, wobei ihm der Bayreuth-Effekt zugutekommt, weil er nicht über Gebühr forcieren muss. Gewisser Überdruck macht sich nämlich bisweilen bemerkbar, der signalisiert, es handelt sich um eine Partie, bei der er ans persönliche Limit gehen muss.

Manfred Hemm, er ein guter alter Bekannter aus Wiener Opernzeiten (Ära Drese, das ist schon bald dreißig Jahre her!) gab einen markanten, gut hörbaren Titurel mit völlig intakter Stimme. Frederik Baldus war ein Klingsor, ziemlich bieder in seinem Outfit, auch stimmlich, jedoch nicht böse oder gar gefährlich.

Schwachpunkt des Abends war leider Adam Horvath als überforderter, steifstimmiger und somit bedenklich zum Distonieren neigender Amfortas. Da wird sich der neue Intendant für künftige Pläne andere Bariton-Alternativen überlegen müssen!

Die Knappen (die „mit den knappen Kappen“!), die Gralsritter, die Blumenmädchen: Mit ihnen konnte man zufrieden sein.

Man wünscht dem Festival Erl einen guten Neustart – auf dass man sich wieder positiv in den künstlerischen Schlagzeilen etablieren möge. Und damit eine gute Zukunft!

Karl Masek

 

Anbei der Erler Schlußapplaus 😉

https://www.facebook.com/watch/?v=567215107101168

 

 

 

 

 

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