Tiroler Festspiele Erl, Götterdämmerung, 2. August 2015
Mona Somm begeistert als Brünnhilde
Copyright Tiroler Festspiele Erl / APA-Fotoservice / Xiomara Bender
Es ist vollbracht: Die Tiroler Festspiele Erl stemmten heuer zweimal Richard Wagners Ring des Nibelungen! An jeweils vier aufeinanderfolgenden Tagen fand dabei der Besucher genügend Regenrationsmöglichkeit, wurde allerdings nie ganz aus dem Fluss der Handlung und der Musik Wagners gerissen. Fazit des letzten Abends: Kurzweiliger kann man eine Götterdämmerung wahrscheinlich gar nicht musizieren, woran sicherlich auch die Pausenlänge (eigentlich müsste man Pausenkürze sagen) ihre Anteil hatte, denn zweimal 25 Minuten ist für ein auch lukullisch anspruchsvolles Festspielpublikumwahrscheinlich die absolute Untergrenze und auch so mancher Sänger hätte sich vielleicht mehr Regenerationszeit gewünscht. Aber so ging es flott dahin, von den bedächtigen Nornen im Prolog (von Rena Kleifeld, Junhua Hao und Marianna Szivkova prägnant und klangschön gesungen) bis zum feuerträchtigen Finale, bei dem der Vorhang zwischen Orchester und Szene fiel und deren rund 120 Musiker in voller Pracht zu sehen waren – 5 Stunden 10 Minuten Bruttospielzeit!Das von Gustav Kuhn minutiös vorbereitete und mit enormer Leidenschaft dirigierte Orchester war der eigentliche Star der vier Abende – 15 Stunden hochkonzentriertes Musizieren, Chapeau für die durchwegs jungen Künstlerinnen und Künstler.
Copyright Tiroler Festspiele Erl / APA-Fotoservice / Xiomara Bender
Aber auch im sängerischen Bereich gibt es vom Schlussabend durchaus erfreuliches zu berichten. Zum ersten ließ der vorwiegend in den USA tätige Andrea Silvestrelli seinen beiden Fafner-Partien einen tiefschwarzen, auch schauspielerisch bedrohlichen Hagen folgen, mit dem er zum Publikumsliebling avancierte. Egal ob im Nadelstreif die Gibichungen einlullend oder in Phantasieuniformen seine Mannen befehlend, hier stand ein stets präsenter Hagen seinen Mann. Und zum anderen sah man mit der Schweizerin Mona Somm eine hochdramatisch überzeugende und leidenschaftliche Brünnhilde, die mit wesentlich berühmteren Namen der aktuellen Heroinnen-Opernlandschaft mit Leichtigkeit mithalten kann. Schon von ihrer äußeren Erscheinung ist sie ein (man verzeihe mir diesen Ausdruck) „Vollblutweib“ und sie verfügt über eine Wahnsinnsröhre, die „absolutely wobble-free“ ist. Ihr kam natürlich zugute, dass Kuhn bei aller Versuchung ins forte zu gehen, immer wieder einen Gang zurückschaltete und so die Sänger „überleben“ konnten.
Ihr Siegfried hieß George Humphrey, stammt aus Amerika und hinterließ einen gespaltenen Eindruck. Anfangs klang sein nicht allzu großer Tenor sehr angestrengt, dann hatte er sich endlich freigesungen, aber der richtige Funken wollte dennoch nicht überspringen. Für das Geschwisterpaar Gunther und Gutrune kamen der Australier James Roser und Susanne Geb zum Einsatz. Roser spielte den Gibichungen-Herrscher in der von Wagner geforderten zögernden Art und Weise und wirkte – wie man auf Wienerisch so schön sagt – daher wie ein unscheinbares „Zniachtl“. Aber das Psychogramm, das er in der Folge zeichnete, stimmte zu 100 % und auch sein Bariton konnte sich – besonders im Terzett mit Hagen und Brünnhilde – durchaus hören lassen. Geb lag die Gutrune um Häuser besser in der Gurgel als die Freia, sie überzeugte auch als liebestolle Frau und setzte farbige Akzente, anfangs durch ihr Kleid, später durch ihr Temperament. Nicht ganz so stark wie im Rheingold sang – wohl auch partiturbedingt – Thomas Ghazeli den Alberich, der zu Beginn hoch über der Bühne schwebte (das Warum dieser Aktion konnte ich nicht entschlüsseln) – allein für seine Schwindelfreiheit bekam er aber von mir einen Sonderapplaus. Wunderbar gelang Svetlana Kotina als Waltraute eine lyrisch-zarte Erzählung über Wotans Einsamkeit. Wie im Rheingold mussten die drei Rheintöchter Woglinde (Yukiko Aragaki), Wellgunde (Michiko Watanabe) und Floßhilde (Misaki Ono) ein paar Mal ihre Leitern auf- und abklettern – und dazu noch singen und Siegfried umgarnen!
In diesem Zusammenhang ein Wort zu den Bühnenarbeitern, welche nicht nur die drei Aufbauten der Rheintöchter elegant über die Szene steuerten (und dafür auch einen Schlussapplaus einheimsen durften), sondern auch über alle anderen fleissigen Herren in Schwarz. So leise und der Musik angepasst sieht und hört man Umbauten auf offener Bühne nämlich sehr, sehr selten! Beim Einrollen eines Riesenteppiches hielten die beiden Herren sogar bei einem pianissimo des Zwischenspiels inne und setzten ihre Arbeit erst beim Anschwellen der Musik fort – ein besonderes Danke dafür und dem weltweiten Opernpublikum zur Nachahmung empfohlen.
Über den Festspielchor fanden sich auf dem Abendzettel leider keine detaillierten Angaben, erwähnt werden muss er aber auf jeden Fall, denn er beschränkte sich nicht auf das in der Götterdämmerung häufige Dauer-Forte, sondern die Mannen reizten den ganzen Dynamikumfang aus.
Unterstreichen kann ich nach diesem Ring die bisherigen Rezensionen, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben: Keine Vergewaltigung des Librettos, eine durchgängig logische Personenführung, die Geschichte wird im Heute erzählt, ästhetisch wunderbare Kostüme sind kongeniale Unterstützung dafür, die Szenenbilder sind durch die Besonderheit der Bühne manchmal allzu simpel, manche Gags überflüssig und die einzige „Interpretation“ zu der sich Kuhn regiemäßig bekennt, ist im Schlussbild zu erkennen, als die Kinder unbedarft von allen Vorgängen ihr Leben noch unschuldig vor sich haben. Gewiss, keine allzu origineller Ansatz, aber durch das Einbeziehen der lokalen Jugend und Kinder während des ganzen Rings ein in sich logischer.
Bleibt noch abschließend festzustellen, dass auch Erl schön langsam zum Jahrmarkt der Eitelkeiten wird (Pelzmäntel und Nerzcapes im Hochsommer ließen mich schmunzeln), aber von Bayreuth und Salzburg immer noch Lichtjahre entfernt ist. Und dass auch das Drumherum immer professioneller wird (vor vier Jahren parkte ich noch auf einer Almwiese, diesmal in einem dreistöckigen ultramodernen Parkhaus), kann ja auch positiv betrachtet werden.
Ernst Kopica