Erl: TANNHÄUSER – 27.7. 2012
Mona Somm (Venus), Gianluca Zampieri (Tannhäuser). Foto: Tom Benz
Die heurigen Tiroler Festspiele Erl endeten am letzten Juliwochenende mit den zwei romantischen Opern der Jugendzeit, Tannhäuser und Lohengrin, und Wagners Vermächtnis, dem Parsifal. Noch selten konnte der Rezensent einen in musikalischer Hinsicht so stringenten Abend erleben, wie diesen, an dem Hausherr Gustav Kuhn diesen „italienischen“ Tannhäuser in der Pariser Fassung von 1861 mit einem fulminanten Bacchanal beginnen lässt. Im schwülen Venushain ereignet sich eine Orgie, die von manchen Choreographen – etwa John Neumeier 1978 in Bayreuth – auch als solche vorgeführt wurde. Regisseur Kuhn geht jedoch subtiler vor, indem er diese erotisierende Welt der Göttin der Liebe bewusst in die Sphäre der hūriyāt (Plural von hūriyā, die Blendendweißen), die im Koran in Sure 55 Verse 71 und 73 folgendermaßen beschrieben werden: „Darinnen werden Mädchen sein, gut und schön… Holdselige mit herrlichen schwarzen Augen,…“ Diesen Paradiesesjungfrauen wird nachgesagt, dass ein Tropfen ihres Speichels das Meer süß machen würde… Wie dem auch sei, in diesem muslimischen Paradies liegt nun Ritter Tannhäuser im Schoße seiner Domina Venus, die ihre Schenkel lasziv weit für den Cunnilingus geöffnet hält. Zehn Huris, in der arabischen Sprache übrigens maskulin – al-hūr!, mit schwarzen Tschadors bekleidet, geben dem begehrlichen Betrachter kurzfristig den Blick auf ihre schwarze Spitzenunterwäsche frei. Dann legen sie ihre schwarzen Tschadors ab und darunter kommt ein blendendweißer Tschador, Zeichen ihrer ewigen Jugend und stets erneuerbaren Jungfräulichkeit, zum Vorschein.
Der Tannhäuser wurde vom italienischen Tenor Gianluca Zampieri auf Grund seines starken Akzentes über weite Strecken leider textlich äußerst schwer verständlich gesungen. Bisweilen hörte sich seine Stimme auch verquollen und heiser an. Gegenüber dem Vorjahr hat Regisseur Kuhn offenbar darauf verzichtet, den Ritter nach seiner Flucht aus dem Venushain in der muslimischen Gebetshaltung des Takbir-i Dschalsa (auf den Fersen sitzend) vorzuführen. Vielleicht auch deshalb, weil es für einen weniger gelenkigen Sänger einiger Anstrengung bedarf, um aus dieser Stellung wieder rasch auf die Beine zu kommen. Nun kniet er eben ähnlich der Yoga Vajrāsana-Stellung, jedoch mit nach vorne gestreckten Armen, auf dem vorderen Bühnenrand…
Die in Basel lebende Ostschweizer Venus Mona Somm trug einen goldenen Frack mit langen Schößen und darunter einen schwarzen, tief dekolletierten Overall. Sie hat an der Partie merklich gearbeitet und war an diesem Abend stimmlich in blendender Verfassung. Zu ihrer markanten Höhe gesellte sich auch eine satte Tiefe, der der Tannhäuser dieses Abends gesanglich leider kaum Paroli bieten konnte.
Als jungen Hirten, sprich Hirtin mit luftigem Sopran, durfte man auch dieses Jahr wieder die in Melbourne geborene Australierin italienischer Provenienz, Michelle Buscemi, genießen. Nach ihrer kurzen Arie „Frau Holda kam aus dem Berg hervor,…“ ließ Regisseur Kuhn sie noch die Holzstufen, auf denen vier Harfen aufgestellt waren, mit einer Camouflage artigen Decke für den Auftritt der Ritter stillschweigend überziehen.
Nancy Weißbach (Elisabeth). Foto: Tom Benz
Auch dieses Jahr glänzte wieder Nancy Weißbach gleich zu Beginn mit der berühmten Hallenarie der Elisabeth „Dich, teure Halle, grüss ich wieder,…“ Mir ist keine Sängerin in den letzten Jahren in Erinnerung geblieben, die diese Partie so formvollendet interpretiert hat. Von ihrer Leistung war auch das Publikum so sehr angetan, dass ein regelrechter Orkan an Bravo-Rufen die sympathische Sängerin am Ende des Abends für ihre außergewöhnliche Leistung gebührend bedankte.
Als Landgraf Hermann war Thomas Gazheli wieder einmal äußerst textverständlich, leider war sein Timbre an diesem Abend etwas unschön und rau. Er sparte offensichtlich noch auf seinen großen Auftritt als Amfortas am Sonntagvormittag.
Die einziehenden Gäste gruppieren sich zu beiden Seiten der Bühne, die Männer in schwarzen Fräcken mit Zylinder links, die Frauen rechts in grün mit Hüten. Die Choristen scheinen ins Gespräch vertieft zu sein und stimmen ihren Gesang zueinander gewendet an.
Der Ritterschaft, rot gekleidet wie Landjunker gerade von der Jagd heim kehrend, stehen dann die Edelfrauen in beiger rustikaler Gewandung und unterschiedlichen, teilweise recht ausladenden Kopfbedeckungen gegenüber.
Als ob es bereits beschlossene Sache war, rufen nun die vier Edelknaben, besser gesagt vier gülden gekleideten Edeljungfrauen, Chiara Albano, Helena Lackner, Luana Maiorano und Irene Ripa, gemeinsam Wolfram von Eschenbach auf, das Wesen der Liebe zu besingen.
Der 1972 in Ravensburg geborene Bariton Michael Kupfer beeindruckte dann auch im dritten Akt mit seiner Serenade „O du, mein holder Abendstern“. Man wird sich diese Stimme merken müssen, denn auch am nächsten Abend sollte er als Heerrufer und am darauffolgenden Vormittag als Klingsor das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinreißen. Wieso diesen Sänger noch keine Einladung an die Wiener Staatsoper ereilt hat, bleibt ein Rätsel.
Als zweiter Sänger im Wettstreit gefiel neuerlich der 1981 geborene junge deutsche Bariton Julian Orlishausen als Biterolf.
Die übrigen Ritter traten – wie im Vorjahr – stimmlich wie darstellerisch ausgewogen in Erscheinung: Michael Doumas als Reinmar von Zweter, Wolfram Wittekind als Heinrich der Schreiber und Ferdinand von Bothmer als Walther von der Vogelweide.
Die Mitglieder der Chorakademie der Tiroler Festspiele Erl traten unter ihrem Leiter Marco Medved bestens einstudiert und spielfreudig in Erscheinung und erhielten für ihre Leistungen auch verdienten lang anhaltenden Applaus.
Visionär utopisch ist in diesem Regiekonzept ist das Finale. Elisabeth bleibt nach ihrer Arie „Allmächt’ge Jungfrau, hör mein Flehen!“ in einem Lehnstuhl sitzen. Venus tritt hinter sie und schließt die mit den die Ärmel ihres Mantels in die Arme. Anders ausgedrückt: Heilige und Hure, die beiden Extreme des Weibes nach der Vorstellung von Richard Wagner, verschmelzen zu einer untrennbaren Einheit. Anstelle des ergrünten päpstlichen Bischofsstabes werden den zehn Huris lange Stäbe in die Hand gedrückt, die im zweiten Akt den riesigen Lüster seitlich einsäumten, der sich von der Bühnendecke langsam auf die von Tannhäusers Offenbarung seines Aufenthaltes im Venushain entrüstete Ritterschaft langsam herabsenkte. Christentum und Islam scheinen damit nicht nur in der Symbiose von Elisabeth und Venus zu einer vom Gedanken des gegenseitigen Respektes und der Toleranz getragenen Verbindung gefunden zu haben.
Der Altersdurchschnitt der Mitglieder des Orchesters der Tiroler Festspiele Erl liegt unter 30 Jahren. Das üppig besetzte Orchester türmt sich auf Podien auf der Hinterbühne, nur durch einen dünnen Schleiervorhang von den Akteuren getrennt. Für diesen jugendlich brillanten, wenig prätentiösen Orchestersound hat Gustav Kuhn am Pult das richtige Dirigierstaberl in der Hand.
Die solistische Leistung des Harfenisten Antonio Ostuni, der auf der Vorderbühne in Kostüm agieren darf, muss noch gesondert gelobt werden.
Das karge, geradezu minimalistische Bühnenbild entwarf der 1970 in Berlin/Neukoelln geborene Folko Winter, die Kostüme stammen von der nahe Zürich geborenen Schweizerin Lenka Radecky.
Wie bereits erwähnt war das Publikum von dieser Aufführung begeistert. Elisabeth, Venus und Wolfram von Eschenbach erhielten den stärksten Applaus und das völlig zu Recht. Für den Landgrafen und den Sänger der Titelrolle gab es immerhin noch respektvollen Applaus. Sie haben sicherlich versucht, ihr Bestes an diesem Abend zu gegeben, dass dies nicht immer gelingt, bringt das Risiko dieses Berufes eben mit sich und eben das wusste auch das nachsichtige Publikum an diesem Abend. Tosender Applaus auch für das leading team.
Harald Lacina