Er hatte noch so viel vor
Erich Wirl hat letzten Dezember inmitten seines riesigen Freundeskreises seinen 80. Geburtstag gefeiert, aber das bremste ihn nicht im geringsten ein. Noch immer fuhr er mehrmals in der Woche von seiner Wohnung in Mauer zur Staatsoper, um Sänger zu erwischen, die zur Probe gingen oder von der Probe kamen, um sie um Autogramme zu bitten. Besonders erfreulich fiel für ihn die letzte Begegnung mit Roberto Alagna aus (anlässlich von dessen Auftreten in „Tosca“), der ihm freundlich Dutzende von Bildern unterschrieb und wie mit einem alten Freund mit ihm plauderte. Denn Erich kannte die meisten Sänger und auch Wiener Schauspieler sozusagen „ein Leben lang“ – mehr als sechs Jahrzehnte.
Er war ein etwa 15jähriger Bub, der damals das Drucker-Handwerk erlernte, als er begann, Autogramme zu sammeln. Damals war sogar Ella Fitzgerald in Wien! Und Filmschauspielerin Gerlinde Locker gehörte zu den Ersten, die er bei einer Stadthallen-Veranstaltung um ihre Unterschrift bat. Damals traf er auch seinen in der Folge lebenslangen Freund Bernhard Wagner, ein wenig älter als er und später als Jus-Student flexibler in der Zeiteinteilung als Erich, der immer arbeiten musste. Immerhin brachte er es im Lauf des Lebens zum Technischen Redakteur bei der Kronen Zeitung
Aber abgesehen vom Privatleben – erste Gattin, zwei Söhne, ein heiß geliebter Enkelsohn, seit über 20 Jahren glücklich verheiratet mit Barbara (der Schwester von Opernsängerin Gabriele Fontana und Schwägerin von Peter Weber) – blieben Kunst, Kultur, das Sammeln von Autogrammen und die Begegnung mit Künstlern das Um und Auf seines Lebens. In der Oper haben Bernhard und er auch statiert – von Bernhard als martialischem Heiducken, der beim Einmarsch des „Rosenkavaliers“ den Säbel zieht, gibt es sogar Szenenfotos… Erich blieb der Oper bis zuletzt treu, nicht nur als Besucher, sondern auch als Volk im ersten Akt „Tosca“, wo er nach und nach viele Kostüme trug.
Aber sein Leben fand vor der Bühne und vor den Theatern statt. Als Hans Moser in einer Probenpause zur „Höllenangst“ in der Josefstadt die beiden Buben sah, lud er sie ein, sich zu ihm auf die Bank zu setzen. „Und er redete mit uns so lieb und vernünftig, als wären wir nicht halbe Kinder, sondern Erwachsene“, hat sich Erich immer gerührt an diese Szene erinnert.
Wenn jemand wie er – gepflegt, diskret, klug, informiert – Künstlern jahrelang begegnet, sie in ihrer Karriere begleitet, ergeben sich echte Beziehungen. Erich wollte noch jene zur von ihm so bewunderten Christa Ludwig aufschreiben, die ihn mehrmals in ihr Haus nach Klosterneuburg einlud. Viele Künstler wollten auch Bilder aus seiner Sammlung – Jonas Kaufmann erbat ein Bild von Franco Corelli…
Erich konnte stundenlang erzählen. Ein Buch daraus machen? „Wen interessiert das schon“, meinte er. Aber ein paar Artikel für den Online Merker hätte er schon noch gern geschrieben, zu gegebenem Anlass, wie zuletzt beim Tod von Otto Schenk und der Erinnerung an Paula Wessely. Das Haus Hofmaannsthal verdankte seiner Sammlung wunderbare Ausstellungen zu einzelnen Sängerpersönlichkeiten.
Es sind ein paar Hunderttausend unterschriebene Autogrammfotos in mehr als sechseinhalb Jahrzehnten zusammen gekommen. Und so begleitete er Karrieren – O.W.Fischer war von der Sammlung begeistert und erbat für sich Bilder aus seiner eigenen Frühzeit, die er selbst nicht hatte. Schauspieler und Sänger kannten Erich Wirl – als er die Opernfreunde dazu brachte, eine Reise zur Grange Opera zu organisieren, wo Bryn Terfel auftrat, begrüßte ihn dieser wie einen alten Freund…
Erich war immer in Bewegung. Er hatte den Sommer „kulturell“ schon vorgeplant – eine Woche in Reichenau, mit allen fünf Produktionen, eine Woche in Salzburg, wie immer, Tradition seit Jahren, Opern und Konzerte rund um den 15. August, auch die Karten für Gars hatte er schon (und die Einladung von Clemens Unterreiner auf den dort ausgeschenkten Wein). Die Karten für die Josefstadt waren dank Josefstadt-Karte schon für die erste Hälfte der Saison gebucht und abgeholt, zahllose Staatsopern-Karten warteten nur auf die Bestätigung. Erich hatte noch viel vor.
Und nun ist alles zu Ende von einer Stunde zur anderen. Montag Morgen nicht mehr aus dem Schlaf erwacht. „Ein schöner Tod“, wie man zu sagen pflegt. Wie ich Erich kenne, hätte er lieber noch ein paar Jahre schönen Lebens gehabt.
Renate Wagner