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Erika Pluhar: HEDWIG HEISST MAN DOCH NICHT MEHR

18.12.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Erika Pluhar: 
HEDWIG HEISST MAN DOCH NICHT MEHR
Eine Lebensgeschichte
320 Seiten, Residenz Verlag, 2021 

Man kennt die drei Karrieren der Erika Pluhar. Zuerst war sie eine der schönsten und eindrucksvollsten Schauspielerinnen, die das Burgtheater je hatte (mit Ausflügen ins Fernsehen). Dann, als die Theaterdirektoren sie nicht mehr freuten, betätigte sie sich lange und erfolgreich als Sängerin. Aber mittlerweile ist die heute 82jährige seit Jahrzehnten als äußerst produktive Belletristik-Autorin (oft mit stark autobiographischer Implikation) tätig. Und findet ihr Leserpublikum jeglichen Geschlechts für ihre Bücher, die neben den Geschichten immer auch einen politischen und moralischen Hintergrund haben.

Ihr neuestes Werk nennt sich „Hedwig heißt man doch nicht mehr“. Hedwig, um die 50, ist alles andere als eine Glamourfrau. Sie hat zuletzt  als Journalistin in Portugal gearbeitet. Nach dem Tod ihrer Großmutter erbt sie die Wohnung in der Schlösselgasse (Bezirk Josefstadt, sehr nobel, sehr zentral), wo sie als Kind bei der Oma aufgewachsen ist. Heimkehr. Was tun?

Erika Pluhar nimmt sich Zeit zu erzählen, schickt Hedwig auf Erinnerungsspaziergänge durch Wien, lässt sie die eigene Geschichte aufschreiben, die sie wie einen langen, langen Brief an die verstorbene Großmutter richtet, zu der sie (nicht völlig begreiflich) den Kontakt abgebrochen hat  – und, ja, wahrscheinlich trifft man in einem literarischen Werk eher sehr bald einen gebildeten, im Alter richtigen Herren beim „Italiener“, als dass dergleichen im Leben passierte…

Ein reizvolles Detail übrigens, wenn Hedwig sich an ihre zwei (!) Burgtheater-Besuche erinnert. Zuerst ein sehr schönes, russisches Stück, wo ihr die Menschen in den gestrigen Kostümen ganz „heutig“ vorkamen (vielleicht hat damals Erika Pluhar mitgespielt?). Und ein Stück der Antike, in dem alle nackt waren und an das sie sich kaum erinnert… Der Zeitgeist ist, wie man weiß und wie es die Autorin in diesem Schlenker einbringt, am Burgtheater nicht vorüber gegangen…

Es geht nicht um vorwärtstreibende Handlung in diesem Buch, wo der Alltag ruhig dahin fließt, es geht um Besinnung, Rechenschaft, Nachdenken, wenn man schließlich langsam alt genug ist, das zu tun. Anders als sonst bei den Romanen der Pluhar wird man biographisch kaum fündig, außerdem ist es egal – jeder Autor muss schließlich mit seinen Figuren mitempfinden, mitdenken, und das tut sie.

Hedwig ist Journalistin geworden, auf dem politischen Sektor, und sie war engagiert und wohl auch gut, aber die große Karriere hat sie nicht gemacht. Und Glück in ihren Beziehungen hatte sie auch nicht. Nicht mit dem unvermeidlichen Dozenten beim Publizistik-Studium in Wien, nicht mit dem Liebhaber, den sie sich in Berlin mit ihrer Freundin teilte. Dort schreitet übrigens ein junger Schwarzafrikaner durchs Geschehen. Man wäre geneigt: Aha, Pluhar, zu denken, weiß man doch, dass sie privat mit ihrem schwarzafrikanischen adoptierten Enkel zusammen lebt. Aber der junge Mann geht still wieder aus dem Bild, hat nur kurz auf seine Situation aufmerksam gemacht, so wie Hedwig immer wieder auf Politisches eingeht, ohne groß zu dozieren.

Nach Hamburg kam sie immerhin zur ZEIT, durch die Protektion eines Mannes, und sie hat bezahlt, wie Frauen vor #metoo-Zeiten dergleichen abgegolten haben (und es, politische Korrektheit hin oder her, vermutlich vielfach immer noch tun). Dann lernte sie den portugiesischen Schriftsteller Carlos kennen, folgte ihm nach Lissabon, arbeitete auch dort bei einer Zeitung – und fand ihre große Liebe in einem streunenden Hund, den sie Anton nannte und der ihr offenbar wichtiger war als alle Männer ihres Lebens. Omas Tod hat sie dann aus dem Seelensumpf in Portugal  befreit und nach Wien zurück geholt. Überdies seien es die besten Zeiten ihres Lebens gewesen, sinniert sie, wo sie keine Männerbeziehung hatte. Und doch lässt sie innerhalb kürzester Zeit den Mann aus dem italienischen Lokal in ihr Leben…

Es ist, als meldete Erika Pluhar mit diesem Buch Zweifel an – an jenen Romanen, die von der großartigen Selbstverwirklichung und von den Kämpfen der Erfolgsfrauen erzählen, aber auch an jenen, wo die Frauen als Opfer rücksichtsloser Männer scheitern. Ein „normales“ Leben, möchte sie an der Durchschnitts-Hedwig zeigen, ist nicht spektakulär. Man „erfindet sich nicht neu“, wie die Modeformulierung lautet, wenn man sich von Zeit zu Zeit  entschließt, neu anzufangen. Und es gibt keine Garantie, dass es je gut geht.

Das sind ganz klare Erkenntnisse – und es scheint, als gäbe Erika Pluhar nur mit dem Happyend den Bedingungen nach, die ein „Frauenroman“ so lange vorgegeben hat… Die Hoffnung stirbt schließlich zuletzt. So grau wie der Umschlag des Buches sieht Hedwigs Zukunft doch nicht aus.

Renate Wagner

 

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