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ERICH WOLFGANG KORNGOLD: Das Leben in Briefen

04.04.2017 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

BuchCover Korngold

Lis Malina (Hg.)
DEAR PAPA, HOW IS YOU?
Das Leben Erich Wolfgang Korngolds in Briefen
328 Seiten, Mandelbaum Verlag, 2017

Es gibt einiges, was man über Erich Wolfgang Korngold (1896-1957) auf Anhieb weiß – Wunderkind-Sohn eines in Wien legendären Musikkritikers, im ersten Leben Riesenerfolg mit der Oper „Die tote Stadt“, im zweiten Leben in der Emigration „Oscar“-gekrönter Filmkomponist in Hollywood.

Nun bietet ein Briefband viel mehr, nämlich eine Biographie in Briefen verschiedenster Schreiber und Empfänger von und rund um Korngold.

Es ist eine Auswahl vor allem aus den 2000 Briefen, die seine Enkelin von der Österreichischen Nationalbibliothek restituiert erhielt, dort beließ und die nun von der aus Oberösterreich stammenden Sängerin und Gesangspädagogin Lis Malina herausgegeben wurden, wobei auch noch auf andere Teil-Nachlässe zurück gegriffen werden konnte.

Manche Briefe sind auf unerfindlichen Wegen in Auktionshäuser geraten, darunter jener bemerkenswerte, den Richard Strauss in bewundernder Anerkennung an Vater Korngold über dessen Sohn schrieb: „Das erste Gefühl, das Einen überkommt, wenn man hört, dass dies ein 11jähriger Junge geschrieben hat, ist Schrecken u Furcht, dass ein so frühreifes Genie auch eine normale Entwicklung nehmen möge, die ihm so innig zu wünsche wäre… diese Sicherheit im Styl, diese Harmonik, es ist wirklich staunenswert.“

Der erste Brief des 10jährigen EWK (um das Kürzel zu verwenden, das auch im Buch immer wieder kehrt) ging an die Großeltern mütterlicherseits, die Witrofksy, die in der Branntwein-Branche tätig waren. Das musikalische Wunderkind war ein echter, vergnügter Junge und schlug meist einen flotten, geradezu übermütigen Ton an, manchmal gratulierte er auch in schlechten Versen (Nächstes Mal vermehr ich / die Strophenzahl: Erich), und es kam durchaus vor, dass der Junge die Großeltern anschnorrte, weil der Vater nicht eben großzügig war…

Durch den Ersten Weltkrieg – Korngold war 16, als er ausbrach – kam der junge Mann mit Glück, die Gefahr, an die Front zu kommen, bestand nie, sich bei der Militärmusik zu verdingen, war kein allzu schweres Schicksal. EWK, dessen Ballett „Der Schneemann“ 1908, dessen Opern „Der Ring des Polykrates“ und „Violanta“ 2016 an der Hofoper uraufgeführt wurden (da war er 18 Jahre alt!), musste auch rechtzeitig lernen – der wohl vernetzte Papa, der als Musikkritiker in der „Neuen Freien Presse“ Eduard Hanslick abgelöst hatte, sorgte wohl dafür – seine Kotaus vor den Großen zu machen, was er auch tat: Überströmender Dank an Bruno Walter, der seine Werke dirigiert hatte – und „seine Violanta“, immerhin Maria Jeritza, gratulierte dem „kleinen, genial großen Erich“ zum 18. Geburtstag. Aber nur wenige Jahre später sollte der junge Mann, 1920 als Kapellmeister in Hamburg engagiert, selbstbewusst seinem ehemaligen Lehrer Alexander von Zemlinsky ohne Zögern Verbesserungen zu dessen Werken vorschlagen… Andererseits würde er nachhaltig darauf bestehen, von Zemlinsky zu hören, wie ihm seine, Korngolds, Werke gefielen…

1918 tritt „Luzi“ auf, Luzi von Sonnenthal (1900-1962), Enkelin des hoch berühmten Hofschauspielers Adolph von Sonnenthal, ab 1924 die Frau von EWK und Mutter seiner beiden Söhne Ernst Wolfgang (1925-1996) und Georg Wolfgang (1928-1967). Georg schrieb übrigens 1943 jenes „Dear Papa, how is you?“, das dem Buch den Titel gab und die Korngolds zwischen den Sprachen, den Kulturen, zwischen Europa und Amerika zeigen soll…

Luzi, Schauspielerin (auch ihre Schwester war Schauspielerin, sogar in Berlin bei Reinhardt engagiert), als Musikerin hoch gebildet, äußerst hübsch (das Verlobungsbild ziert das Titelblatt des Buches), hatte es mit der Familie des Gatten nicht leicht. Später rechnet EWK vor allem mit dem strengen Vater Julius ab, der die Schwiegertochter offenbar stets beschimpfte und verachtete, was diese sich nicht gefallen ließ, so dass der Familiensegen meist schief hing.

Luzis erste Briefe sind in ihrer Ausführlichkeit doch vor allem albern, Jungmädchen-Geplaudere, das die Nachwelt nicht so sehr interessiert. Aber sie ist, da sie ja auch von dem Gatten durch seinen Beruf oft getrennt war, eine Konstante in diesem Briefwechsel, und in späten Jahren werden ihre Briefe (etwa an ihre Freundin Helene Reinhardt-Thimig) wirklich schön.

Wesentlich für den Opern- und Musikfreund sind natürlich die „Berufs“-Briefe: Dank an Alfred Roller für dessen Ausstattung zur „Toten Stadt“, 1921 in Wien nachgespielt (Hamburg und Köln teilten sich die Uraufführung 2910). Wichtig die anerkennenden Briefe größter Künstler, vor allem Giacomo Puccini (der im November 1922 in einem Brief an EWK bekennt: „Ich würde gerne in Wien leben, wo man tatsächlich den Geist der Kunst atmet – ich glaube seit langem, dass es die einzige Stadt ist und war, wo die Musik auf leidenschaftliche Seelen und einen traditionsbewussten Sinn für unsere Kunst trifft.“) Dank an Guido Adler, wohl wissend, dass dieser hinter der Zuerkennung des Kunstpreises der Stadt Wien 1926 stand. Von Hamburg ein beschwörender Brief an Lotte Lehmann, die in Wien für die Uraufführung des „Wunders der Heliane“ probte: „Ich beschwöre Dich, liebe Lotte, ängstige Dich nicht und lass Dir nicht die Lust nehmen, wenn das Orchester in Wien zu laut sein wird.“ Er versprach ihr und Piccaver alle Retouchen, damit sie nicht vom Orchester überdeckt würden…

Aber, der Fall mag grotesk erscheinen, hat aber vermutlich damals viele Leute verletzt: EWK wurde auch Ansprechpartner für etwa den Kritiker Dr. Paul Stefan, wenn dieser sich beschwerte, dass Julius Korngold ihn plötzlich nicht mehr grüßte und ignorierte, was Stefan nicht hinzunehmen gedachte und mit Intervention bei der „Concordia“ drohte… Es gibt keinen Antwortbrief, man weiß nicht, was aus der Affäre geworden ist, aber dass Julius Korngold kein angenehmer Zeitgenosse war (gewiß auch für den Sohn nicht), dürfte feststehen. Als EWK früh erwog, in den USA zu bleiben, während in Europa die Nazi-Gefahr noch nicht virulent schien, wollte der Vater den Sohn mit allem Mitteln des Psychoterrors und der emotionalen Erpressung in Wien halten. Später freilich war er froh, dass mit Hilfe des Sohnes auch seine Emigration gelang…

Korngolds Karriere bekam ab 1929 durch die Zusammenarbeit mit Max Reinhardt neuen Schwung und ein neues Standbein, das ihn nicht nur noch reicher machte, sondern auch bald (1934) erstmals nach Hollywood führte. Die erste Trennung von den Söhnen beziehen nun auch diese in ihren Kinderjahren in die Briefwechsel ein. Dass EWK für Hollywood arbeitete, erzürnte Vater Julius, der, obzwar selbst Jude, dagegen wetterte, dass EWK sich in die Hände „amerikanischer Filmjuden“ begäbe, die von ihm nur „Niedrigkeiten“ verlangen würden…

Aber 1936 fuhr die ganze Familie Korngold nach Hollywood, und 1938 konnte EWK seine Eltern, Luzi ihre Mutter und ihre Schwester nach Amerika holen. Korngold schrieb erfolgreiche Filmmusiken, für zwei bekam er den „Oscar“. Für den Vater war das, wie er empört an Bruno Walter schrieb, „dienende Halbkunst“.

Ein Brief aus dem Jahre 1939 ist von besonderem Interesse. Er stammte von dem damals 28jährigen Marcel Prawy, der versuchte, sich mit Nennung seiner sämtlichen Wiener Verwandten in Erinnerung zu rufen. Ihm war als Sekretär von Jan Kiepura und Martha Eggerth die Flucht nach Amerika gelungen, er konnte aber nicht mit diesen zurückkehren. Vor dem Nichts stehend, bat der junge Mann („Ich spreche 5 Sprachen ausgezeichnet, kenne die gesamte Musik und Literatur“) um die Vermittlung von EWK bei dem Filmstudio, für einen beliebigen Posten, er wäre auch mit dem Job eines Requisiteurs zufrieden gewesen… Es ist dies einer der tragischsten Briefe des Buchs, dessen Antwort wir nicht kennen, nur die historische Gerechtigkeit, dass Prawy bereits ein großer Mann an der Volksoper war, als Korngold Mitte der fünfziger Jahre dann wieder einmal nach Wien kam…

Nach dem Krieg hatte Wien nur Enttäuschungen zu bieten, wenn das Ehepaar auch im Kreis der Remigranten freundlich aufgenommen wurde. Ein gewisser Rudi Bing wurde als „Bruder der Ilka Wertheim“ geschildert… aber als er Direktor an der Met wurde, hegte man Hoffnungen, dass die Werke von EWK dort wieder gespielt werden könnten wie einst, als die Jeritza in ihnen Triumphe feierte… Doch in Wien reichte es nur für die Aufführung von „Die Kathrin“ an der Volksoper, und Korngold hatte, als er am 29. November 1957 starb, nicht die Wiederauferstehung seines Werks und seines einstigen Ruhmes erlebt.

Die Autorin hat den im Vorwort als Ziel erklärten „biographisch narrativen Bogen“ bemerkenswert gespannt, wobei man immer wieder mit Bedauern spürt, was hier alles fehlen muss. Die Briefe sind chronologisch geordnet, an Ort und Stelle mit Hinweisen und Anmerkungen versehen, das Bildmaterial illustriert oft die jeweilige Situation (Luzi war übrigens auch eine begabte Karikaturistin). An den Anfang hat die Autorin ein segensreiches „Who is Who“ gestellt, schließlich gab es ja jede Menge von Verwandten, die hier vorkommen, und sehr viele Briefempfänger / Schreiber, die oft sehr berühmt sind. So verdichtet sich ein Lebensbild, das von der Monarchie bis nach Hollywood durch ein langes Stück Musikgeschichte führt.

Renate Wagner

 

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