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ERIC HALFVARSON – Interview am Vorabend des Geburtstages von Nikolai Ghiaurov, „des Königs der Bässe“

13.09.2022 | Allgemein, Sänger

Univ. Prof. Dr. Peter Reichl spricht mit dem Bassisten Eric Halfvarson (12. 9.2022)

Herzlich willkommen in Velingrad, der Heimatstadt von Nikolai Ghiaurov, wo Sie morgen abend bei der traditionellen Gala anläßlich seines Geburtstags auftreten werden. Was verbindet Sie mit diesem legendären bulgarischen Baß?

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Eric Halfvarson und Peter Reichl vor dem Ghiaurov-Wohnhaus in Velingrad. Foto: Reichl

Ich habe Nikolai Ghiaurov mein ganzes Leben lang bewundert. Von ihm inspiriert stehe ich jetzt seit nahezu 50 Jahren auf der Bühne, und in einem gewissen Sinn verdanke ich das alles Nikolai Ghiaurov. Um es aber von vorneherein ganz klar zu sagen: ich kann und will mich in keinster Weise mit ihm vergleichen – er war so etwas wie zehn von uns zusammengenommen. Aber ich möchte wenigstens einen kleinen Eindruck davon vermitteln, wie wichtig er für mich als jungen Sänger war und welchen Einfluß er auf mich hatte. Seine Aufnahmen damals waren absolut sensationell, ja überwältigend, als ich 1970 mein Gesangsstudium begann. Die majestätische Kraft seiner Stimme und seine natürlich und so selbstverständlich klingende Technik wurden für mich zum Schlüsselelement für den Start meiner Karriere, ja für mein gesamtes Konzept von Klang und Stimme.

Sie konnten also viel von seinen Aufnahmen profitieren?

Natürlich soll kein Sänger einfach so andere Sänger oder deren Aufnahmen nachahmen, und ich warne meine Schüler ganz ausdrücklich davor – obwohl es alle jungen Sänger trotzdem tun… Aber ich hatte Glück: In meinem Fall waren Ghiaurovs Aufnahmen der Ausdruck einer für mich idealen Gesangstechnik, die in meinen jungen Ohren schlichtweg perfekt klang. Seine Stimme füllte einfach jeden Raum mit einer Art riesiger Tsunamiwelle aus warmem und wohltuendem Klang, im Gegensatz zu anderen Sängern, die zwar offensichtlich sehr hart arbeiteten, aber nur einen eng-fokussierten Klang erzielten, den sie vor allem durch die Nase schickten, wobei das Resultat um einiges weniger attraktiv ausfiel. Mein Ideal – und das versuche ich auch meinen Schülern in Barcelona zu vermitteln – ist es, mehr Klang für längere Zeit mit weniger Anstrengung zu produzieren, und da ich mich vor allem auf das deutsche Fach spezialisieren konnte, mit Rollen wie Hagen, Gurnemanz oder Baron Ochs, scheine ich damit doch ein wenig Erfolg gehabt zu haben.

Haben Sie denn Nikolai Ghiaurov auch persönlich kennengelernt?

Ich habe Ghiaurov nur ein einziges Mal getroffen, in den frühen 1970er Jahren. Ich studierte an der University of Illinois, die nicht allzuweit weg von Chicago liegt, und wir arrangierten unseren Stundenplan so, dass wir Freitagnachmittag immer frei hatten und nach Chicago fahren konnten, um in die Oper zu gehen. So hörte ich zwischen 1970 und 1976 so gut wie alles, was dort gespielt wurde, und Ghiaurov trat immer wieder auf. Es war nach einer besonders spektakulären Aufführung von Massenets „Don Quixote“, als ein Freund von mir, der im Chor sang, mich hinter die Bühne holte, um Ghiaurov zu treffen. Ich war sehr nervös, wir suchten unseren Weg durch das hektische Treiben hinter der Bühne und fanden schliesslich seine Garderobe. Ich klopfte ängstlich an die Tür, und Ghiaurov, der dahinter stand, öffnete. Er hatte seine Hände voller Creme und war dabei, das ganze Makeup aus seinem Gesicht zu wischen – und das war eine ganze Menge. Ich stotterte etwas davon, wie sehr wir ihn bewunderten, weil wir ja auch junge Bässe waren, und er lachte nur mit seiner tiefen Stimme vor sich hin: „Ha, ha, bambini bassi…“ Und idiotischerweise reichte ich ihm meine Hand, um die seine zu schütteln, aber er hatte ja dieses ganze Zeug auf der Hand, deswegen hob er seinen Ellbogen, und ich schüttelte also tatsächlich Nikolai Ghiaurovs Ellbogen…

Das ist amüsant… Sonst haben Sie ihn aber nie getroffen?

Doch, es gibt noch eine Anekdote: So ungefähr 1981 sang ich Colline in „La Bohème“ an der Houston Grand Opera, und der Star der Produktion war Mirella Freni, mit der er ja verheiratet war. Es war während einer szenischen Probe in einem riesigen Raum im Untergeschoß des Gebäudes, voller Leute. Ich war gerade dabei, Collines berühmte „Mantelarie“ zu beginnen, und als ich Atem holte, um anzufangen, öffnete sich die Tür, und Nikolai Ghiaurov kam herein. Es traf mich wie ein Blitz, und von einem Augenblick auf den anderen entschied ich mich, nur zu markieren, eine Oktave tiefer, und murmelte da unten etwas von (singt eine Oktave tiefer als notiert) „Vecchia zimarra, senti“… Ich werde das nie vergessen, das war ein irgendwie peinlicher Moment für mich, mich hat buchstäblich der Schlag getroffen vom Anblick des Gottes der Bässe, Nikolai Ghiaurov.

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Marena Balinova und Eric Halfvarson vor der Ghiaurov-Statue im Zentrum von Velingrad. Foto: Reichl

Nun haben Sie sich ja auf das deutsche Fach spezialisiert, aber in Wien kennen wir Sie natürlich auch in italienischen Rollen, wie etwa dem Großinquisitor. Was macht für Sie den Unterschied zwischen dem deutschen und dem italienischen Repertoire aus?

Oh, das ist eine schwierige Frage. Die Sprache formt natürlich in gewissem Sinn den Gebrauch der Stimme. Gerade als schwarzer Bass muss man dabei sehr flexibel bleiben. Ich habe im Laufe meiner Karriere 145 Rollen in sieben verschiedenen Sprachen gesungen, und gerade als Amerikaner steht man leicht vor dem Problem, etwa in Frankreich zu singen und zu hören: Ja, das war ja soweit ganz gut, ausser halt das Französisch… Ich bemühe mich tatsächlich, so gut zu sein wie muttersprachliche Kollegen, und das ist quasi zu meiner Lebensaufgabe geworden. So konzentriere ich mich tatsächlich mehr auf den Text als einfach nur auf die Produktion von Klang, und das sage ich auch meinen Studenten: Euer Job ist es, dem Zuhörer in der letzten Reihe hinten auf der Galerie zu ermöglichen, den Text ganz glasklar zu verstehen.

Normalerweise kommt jetzt noch die Frage nach Ihrer Lieblingsrolle, aber ich will sie anders stellen: Mit welcher Rolle können Sie sich am besten identifizieren, welche spiegelt am besten Ihre innerste Persönlichkeit wider?

Auch das ist eine schwierige Frage, denn letzten Endes knete ich mich gewissermaßen in jede Rolle hinein. Aber mit am meisten Spaß gemacht hat mir der Baron Ochs aus dem „Rosenkavalier“; er besitzt eine unbändig ausgelassene, ja hysterische Komik, aber auch einige Momente von großem Ernst. Mein Job in dieser Oper ist es, dem Sopran die Schau zu stehlen, denn sie ist natürlich immer der große Star im Ensemble, obwohl ich sogar länger auf der Bühne stehe als sie. Außerdem liebe ich natürlich die Bösewichte – als Bass ist man ja meistens ein Bösewicht, oder ein Vater oder Priester. Zum Beispiel im Ring, wo ich als Hagen die Gelegenheit bekomme, den Tenor zu ermorden, der ja immer mehr Gage bekommt als ich – das ist also ein Teil meiner dramatischen Motivation… (lacht)

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Halfvarson vor dem Theater in Velingrad, in dem Ghiaurov mit 17 Jahren seinen allerersten Bühnenauftritt hatte und wo das Galakonzert stattfinden wird. Foto: Reichl

Foto: Reichl

Hagen ist zweifelsohne eine Ihrer Glanzrollen, und Sie werden morgen daraus ja als Highlight den „Wachtgesang“ singen. Sie haben damit, wie überall in der Welt, auch in Wien große Erfolge gefeiert und sollten im März 2020 wieder darin auftreten, was dann leider Corona zum Opfer fiel…

Ja, das war schade – ich hatte mich auf diesen Auftritt in Wien sehr gefreut, denn damit hätte ich einen ganz besonderen Rekord gebrochen: ich wäre älter gewesen als Gottlob Frick bei seinem letzten Hagen! Und natürlich denke ich gerne an all diese Auftritte, das wundervolle Team der Staatsoper und vor allem auch das Publikum…

Umso mehr freuen wir uns jetzt auf das morgige Konzert – toitoitoi und alles Gute!

Vielen herzlichen Dank!

 

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