Kabarettoper in einem Erfurter Warenhaus: „Rufen Sie Herrn Plim!“ von Mischa Spoliansky (Vorstellung: 30. 5. 2014)
Jörg Rathmann in der Titelrolle mit Katja Bildt als unzufriedene Kundin (Foto: Marco Schmidt)
Mit einer tollen Wiederentdeckung wartete das Theater Erfurt auf: „Rufen Sie Herrn Plim!“, eine einaktige Kabarettoper von Mischa Spoliansky, die ihre Uraufführung 1932 in Berlin hatte und damals einen großen Erfolg feierte. So schrieb die „Berliner Morgenpost“ nach der Premiere: „Hier und da Ansätze zur Parodie: in bewußten Wiederholungen alte Opern-Tradition verulkend. Aber nirgends wird der Spaß zum Selbstzweck, denn diese Musik ist kultivierte Spiel-Oper, modern, doch nicht allzu modern, berlinische opera buffa; wie man sie flüssiger, behender kaum denken kann.“ (Zitat in Originalschreibung)
In Erfurt wurde das Werk, dessen Texte von Kurt Robitschek und Marcellus Schiffer verfasst wurden, im Warenhaus Breuninger gespielt. Die für 80 Personen vorgesehene Aufführung war ausverkauft. Die Gastgeber begrüßten die Besucherinnen und Besucher mit einem Glas Sekt, ehe nach einem kurzen humorvollen „Vorspiel“ im Foyer – ein Angestellter, es war Herr Plim, wie sich bald herausstellte, hängte an die Decke große Tafeln mit Prozent-Ziffern – das Publikum über eine Rolltreppe in der ersten Stock gebeten wurde, wo Stühle vorbereitet waren. Die Kabarettoper im Warenhaus konnte beginnen. Es wurde eine köstliche Vorstellung.
„Ich bin außer mir, ich bin empört, es ist ein Skandal!“ Kaum zu besänftigen ist der Käufer, der im Warenhaus richtig Dampf ablässt. Die Geschäftsleitung ist ratlos: Wie mit den endlosen Beschwerden dieser und anderer Art umgehen? Schnell scheint die perfekte Lösung gefunden: „Ein Angestellter muss es sein, der dem Publikum als schuldiger Teil gezeigt wird, den man tadeln kann vor der Kundschaft und hinauswerfen, so oft und so viel es verlangt wird“, so die präzise Arbeitsplatzbeschreibung durch den Personalchef. Mit Herrn Plim wird dieser Angestellte auch sogleich engagiert. Harte Bewährungsproben in Form von blassblau geblümtem Nachtgeschirr, defekten Selbstbindern und Damenschlüpfern oder auch nur eines einfachen Knopfes warten nun auf den hauptberuflichen Sündenbock. Mal freudvoll, dann wieder zerknirscht, schließlich keck und renitent begegnet Plim der illustren Kundenschar, angeführt von den Damen Caroline von Recknitz zu Recklitz und Elida de Coty. Aber auch männliche Käufer zählen zu den sich beschwerenden Kunden.
In der Titelrolle brillierte der Tenor Jörg Rathmann, der seit 1986 Ensemblemitglied am Theater Erfurt ist. Als Plim spielte er alle Register seines komödiantischen Talents aus und reizte das Publikum immer wieder zu Lachsalven. Er war der unbestrittene Star des Abends. Der Warenhausbesitzer und der Personalchef traten stets als Duo auf und wurden vom ungarischen Bariton Máté Sólyom-Nagy und vom türkischen Bariton Kartal Karagedik gleichfalls sehr humoristisch gespielt und gesungen.
Auch die Darstellerinnen der Kundinnen – die Mezzosopranistin Katja Bildt als Caroline von Recknitz zu Recklitz und die Sopranistin Anja Elz als Elida de Coty (beide Mitglieder des Thüringer Opernstudios) – boten kabarettreife Leistungen. Obwohl beide ein wenig zu heftig überzogen, verfielen sie nicht in Klamauk. Gewiss ein Verdienst der guten Personenführung des Regisseurs Hank Irwin Kittel, der auch für die Ausstattung verantwortlich zeichnete.
Sehr sympathisch stellte der Tenor Marwan Shamiyeh einen Käufer dar, der sich erst über einen defekten Selbstbinder erregte, dann aber die Contenance darüber verlor, dass sich die Verkäuferin weigerte, den von ihm erstandenen Damenschlüpfer probeweise anzuziehen. Als Plim nach seiner „Entlassung“ eine Klagearie anstimmte, war der Kunde sosehr zu Tränen gerührt, dass er sie mit dem gekauften Slip trocknen musste. Eine Sekretärin mit sexy Figur spielte die hübsche Sopranistin Christa Maria Dalby, wobei ihre Stärke im mimischen Ausdruck lag. Köstlich die Szene, als der Stehgeiger – von Daniel Drengk gegeben, der im Foyer, auf der Rolltreppe und im Publikumsraum seine einschmeichelnden Melodien zum Besten gab – die Sekretärin mit seinem Geigenspiel zu verführen trachtete und sie ihm nur mit größter Mühe widerstehen konnte. Die musikalische Leitung der Kabarettoper hatte Ralph Neubert vom Klavier aus inne, wobei ihm seine langjährige Erfahrung als Konzertpianist gewiss zugutekam.
Ein paar Worte zum Komponisten und zu den Librettisten, die in den 1920er und frühen 1930er Jahren zu den kreativsten Köpfen der Berliner Kabarett- und Revueszene zählten. Mischa Spoliansky wurde 1898 als Sohn einer Opernsängerin im damals russischen Bialystok geboren und, nachdem er früh Violin-, Violoncello- und Klavierunterricht bekommen hatte, 1920 Nachfolger von Friedrich Hollaender als musikalischer Leiter des 1919 von Max Reinhardt gegründeten Kabaretts Schall und Rauch. 1933 emigrierte er nach England, wo er als Filmkomponist begann und bis zu seinem Tod 1985 ein gefragter Pianist war. Als legendär gilt seine Einspielung von Gershwins Rhapsody in Blue.
Mit Spoliansky gingen auch der Prager Kabarettist und Autor Kurt Robitschek (1890 – 1950) ebenso wie viele weitere jüdische Stars der Berliner Kabarettszene ins Exil. Marcellus Schaffer (1892 geboren) jedoch beging knapp vier Monate nach der Uraufführung von „Rufen Sie Herrn Plim!“ am 24. August 1932 Selbstmord – wohl auch unter dem Eindruck des heraufziehenden braunen Terrors in Deutschland.
Udo Pacolt
PS: Wegen des großen Erfolgs wird die Kabarettoper „Rufen Sie Herrn Plim!“ auf der Studiobühne des Theaters Erfurt in der nächsten Spielzeit wiederaufgenommen! Die Termine: 10. 10., 11. 10., 18. 10. und 19. 10. 2014. Erfurt ist eine Reise wert!