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ERFURT: SIGURD von Ernest Reyer. Deutsche Erstaufführung / Premiere

31.01.2015 | Allgemein, Oper

Gelungene Ausgrabung: Deutsche Erstaufführung der Oper „Sigurd“ von Ernest Reyer, Premiere in Erfurt am 30.01.2015

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Foto-Copyright: Theater Erfurt

 Wenn Opern lange oder gar nicht mehr gespielt werden, dann gibt es dafür oft eine ganze Reihe von künstlerischen Gründen. Bei der Oper „Sigurd“ von Ernest Reyer ist ein künstlerischer Grund leicht nachvollziehbar: die große französische Oper mit Nummernprogramme aus Arien, Chören und Ballett vor exotischer Kulisse mit pompösen Ausstattungen war nicht mehr gefragt. So geriet Ernest Reyer mit seiner französischen Interpretation des Edda- und Nibelungen-Stoffes ab 1935 in Vergessenheit. Bis man ihn in Genf 2013 konzertant und in Erfurt mit einer Inszenierung wieder oder vielleicht sogar neu entdeckt. Hat sich die Erfurter „Ausgrabung“ gelohnt? Ohne Zweifel ist diese gekürzte Fassung der vieraktigen Oper ein Hörgenuss. Musikalisch bewegt sie sich im Fahrwasser von Berlioz und ist ansonsten weit entfernt von Wagners Musik. Schon das ist spannend, denn die Oper zeigt, dass ein Komponist sich auch ganz anders nähern kann. In das Erfurter Spielzeitmotto „Geliebter Feind“ passt diese Oper natürlich extra gut, denn das Bekämpfen und Fasziniert sein ist die Folie für die Stückwahl.

Generalintendant Guy Montavon wollte in seiner Inszenierung eine Rahmenhandlung, die einen Abstand zum vermeintlich kitschig-fantastisch-historisierenden Stoff schafft. Dramaturgisch erreicht er das, indem er Hilda, die Sigurd-Liebende vom Krankenbett einer Klapsmühle aus Singen und Spielen lässt. Dafür gibt es ein Krankenhausbett auf der rechten Bühnenseite.

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Copyright: Theater Erfurt

Reyers Handlung ist ganz auf den Siegfried-Stoff angelegt ohne Rheintöchter und Drachentöten usw. Stringent wird die Handlung erzählt von der Ankunft am burgundischen Hof über die Gunthervertretung auf Island und die Befreiung von Brunehild. Gunther darf nicht, denn ihm fehlen die von Odin vorgeschriebenen Attribute, vor allem die körperliche und seelische Jungfräulichkeit. Hilda, Gunthers Schwester, gelingt es mit Hilfe eines Zaubertranks, Sigurds Liebe auf sich zu ziehen. Um Hildas Liebe zu erringen, muss Sigurd vorher Gunther beistehen, die in Island gefangene Brunehild zu erobern. Er nähert sich verkleidet der Walküre und bringt sie zu Gunther. Doch Brunehild und Sigurd verlieben sich ineinander, als der Zaubertrank seine Wirkung verloren hat. Sigurd wird von Hagen ermordet und Brunehild steigt mit ihm ins Reich Odins auf. Hilda ruft Etzel oder Attila, den Hunnenkönig zur Rache auf.

Den ersten Akt siedelt Guy Montavon im zerbombten Worms nach 1945 an. Die kriegstraumatisierte Hilda, gesungen von Marisca Mulder, erzählt vom Krankenbett am rechten Bühnenrand ihre Geschichte. Auf der Bühne hat der Chor Steineklopfarbeit zu verrichten als Bombentrümmerbeseitiger und diese sehr naturalistisch ausgeführte Tätigkeit stört schon die Musik und den Gesang erheblich. In der finsteren Szene erscheint ein Barde, der gesungen wird von Máté Sólyom-Nagy. In einem Lichtkegel erscheint er als Rothaut und verkündet die Brunehild-Story. Quer über die Bühne hat der Ausstatter Maurizio Balò einen Heldenlaufsteg konzipiert und von dort aus überragen die Protagonisten das Fußvolk. Gunther, König der Burgunden, gesungen von Kartal Karagedik entwickelt gegenüber seinem hinterlistigen Gefährten Hagen, gespielt von Vazgen Ghazaryan, seinen Plan. Hinzu tritt Marc Heller als Sigurd, ein fränkischer Held, der das gleiche will und gleich mal zum Duell fordert, jetzt kommt weibliche List ins Spiel und die Amme Hildas, gesungen von Katja Bildt, hat einen Zaubertrank in den Burgunderwein geschüttet. So wird Marc Heller als Sigurd zum Walkürenerlösungsdienstleister, ein Job, der ihn später sein Leben kosten soll.

Doch bevor die Fahrt überhaupt beginnt zelebriert Juri Batukov, ein Priester Odins, erst mal den heidnischen Gottesdienst. Da berichtet er, wie der Retter beschaffen sein muss. Hier entsteht ein eindrucksvolles Wechselspiel zwischen dem Opernchor des Theaters Erfurt und Juri Batukov. Diese priesterliche Rolle scheint wie gemacht für seinen gemeißelten Bariton.

In der nächsten Szene wird der Pakt zwischen Marc Heller, Kartal Karagedik und Vazgen Ghazaryan als Sigurd, Gunther und Hagen besiegelt. Ein ausgezeichnet gesungenes Terzett von Tenor, Bariton und Bass. Wobei Vazgen Ghazaryan einen sehr ungewöhnlich hoch angesetzten Bass singen muss, was ihm aber sehr gut gelingt. Diese höhenorientierten Bass-Partien sind ein französisches Markenzeichen. Nachdem Hilda verstanden hat, was da läuft, beschwört sie Sigurd ihre Liebe und das ist ein von Marisca Mulder und Marc Heller sehr schön gesungenes Duett. Dann folgt eine Tanzszene, die relativ nett beginnt und brutal endet. Zum Einsatz kommen die Männer des Chores in Soldatenuniform. Sie leisten sich einen demütigenden Spaß.

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Copyright: Theater Erfurt

 Insgesamt sind die großen Ballettszenen gestrichen, Dramaturg Arne Langer hat aber tänzerische Episoden geschaffen, die den oft statischen Einzelfigurenführungen von Montavon wohltuend gegenüberstehen. Ein feuriges Spektakel ist die Ankunft Sigurds in Island, hier präsentiert die Bühnentechnik ein über die gesamte Bühne verteiltes Flammenmeer der Gefangenenburg. Sigurd überwindet natürlich alles und findet zum Lohn die schlafende Brunehild in der Gestalt Ilia Papandreous. Mit den richtigen Worten von Tenor Marc Heller geweckt, verkündet sie ihre Liebe. Ihre Freude ist riesengroß und in überschwänglichem Jubel stimmt sie die schönste Arie der Oper an. Mit den Worten: „Salut, splendeur du jour“ begrüßt sie die goldene Morgensonne und das Blau des Himmels und wünscht Enthüllung, d.h. Abnahme des Guntherschen Helmes. Das ist natürlich unmöglich und so blendet der Tenor seinerseits mit einer erstklassigen Arie, worauf sie bald wieder einschläft. Doch bevor dies geschieht, schenkt Ilia Papandreou (Brunehild) mit einer fantastischen Arie dem Befreier ihren Keuschheitsgürtel als Zeichen ewiger Liebe. Das Publikum zeigt sich berauscht von so viel schönem Gesang und spendet Szenenapplaus.

 Krank vor Eifersucht liegt Hilda in ihrem Gitterbett. Ein wenig später beschließt sie, musikalisch nicht minder ergreifend, den Kampf um den Geliebten aufzunehmen. Der hat ihr ein Mitbringsel gegeben, das die Täuschung bei der Rettung aus den Flammen beweisen wird: den Keuschheitsgürtel!

 Jetzt steigert sich diese Oper von Ernest Reyer auch musikalisch immer mehr. Hagen schmiedet schon seine Intrigen und Vazgen Ghazaryan beherrscht dabei einen so bedrohlichen Bass, mit dem er vor seinen Kriegern auftritt, dass die Tragödien-Leitmotivik hier schon stark wirkt. Gestützt auf seinen Krückstock verkörpert er das finstere Element und will den König schon auf Mord einschwören.

 Doch da ein herrlicher Stimmungswechsel: der Chor hat seinen Auftritt, um die Hochzeit von Gunther und Brunehilde vorzubereiten. In rotgoldenen Gewändern, tanzend und jubilierend, spielen sie eine schwungvolle Massenszene. Nun kommt das Gunther-Brunehild-Duett zwischen Kartal Karagedik und Ilia Papandreou. Er schwört seine Liebe, verweist auf seine Leistung und sie erwidert ihm ihre Zweifel und hält ihn nicht wirklich für den Befreiungs-Ritter. Ergreifend gesungen, aber auch hier sehr statisch gespielt. Sie stehen und singen eben.

 Brunehild spürt, dass Sigurd die Schwester des Burgundenkönigs nur deshalb liebte, weil sie ihm ein Mittelchen eingeflößt hatte. Jetzt hat Sigurd seine Leidenschaft für Brunehild entdeckt und denkt nicht mehr daran, sie an seinen Lehnsherrn abzutreten. Die Liebenden singen ein leidenschaftliches Duett miteinander und damit ist die Situation zwischen Sigurd und Brunehild geklärt.

 Verzicht üben, wollen aber weder Gunther noch Hilda, und der Geprellte beschwert sich bei Hagen. Den Verräter aus der Welt zu schaffen, wird ein Komplott beschlossen. Doch Hagen lehnt es ab, die Bluttat auszuführen. Er ist nicht der Nutznießer der Absprache. Gunther bleibt der Gedemütigte. Hilda sieht ebenfalls keine Möglichkeit, ihren Liebsten zurückzugewinnen und ihr Herz ist voller Traurigkeit.

 Das sind die Szenen, wo Orchester und Sänger dem dramatischen Höhepunkt zustreben. Joana Mallwitz (Musikalische Leitung) hat diese Konflikthöhepunkte sorgsam vorbereitet. Sie geleitet die einzelnen Sänger durch die filigranen und lyrischen Stellen und sie zeigt sich in der Lage Orchester, Sänger und Chor in diese expressiv dramatischen Steigerungen hineinzuführen. Das gelingt ihr glänzend. Diese Schlussszenen sind musikalisch aus einem Guss. Joana Mallwitz treibt eine atemberaubende Dynamik voran und spannt einen großen Bogen bis zum Schluss. Sänger und Orchester und Chor folgen den Linien der Partitur, die Joana Mallwitz mit emotionaler Hand vorgibt. Sie beherrscht die Tempi und auch die Lautstärken und so fügt sich ein Klangmosaik, in dem alle Teile stimmig ihren Platz haben. Anzumerken ist noch, dass Joana Mallwitz ein vereinigtes Orchester bestehend aus Philharmonischem Orchester Erfurt und Thüringen Philharmonie Gotha an diesem Abend dirigiert.

 Ilia Papandreou und Marc Heller als Brunehild und Sigurd besingen vor seinem Tod noch einmal ihre Liebe und hier wird die Tragik besonders leitmotivisch vorweg genommen. Deshalb ist es eine kluge Entscheidung von Generalintendant Guy Montavon auf eine naturalistische Erstechungsszene zu verzichten. Die Gewissheit vermittelt Hilda, Marisca Mulder, in einer ergreifenden Szene in ihrem Krankenhausbett. Dann bewegen sich die Rivalinnen aufeinander zu und Brunehild, Ilia Papandreou, wünscht ihr Ende durch die Götter. Szenisch löst Guy Montavon den Konflikt, indem Brunehild sich in das Bett Hildas legt und dort von ihr erstickt wird.

Musikalisch erklingt eine Schluss-Apotheose und zu den vergöttlichenden Klängen steigen Helmkopf und Schwert des künftigen Siegers Attila vom Bühnenboden auf. Auf dem Helm sitzen die im Liebestod vereinten: Ilia Papandreou und Marc Heller. Bühnenbildner Maurizio Balò hat hier noch mal ein Ass aus dem Ärmel gezogen, dessen Wirkung beim Publikum sitzt. Sehr viel zum Gelingen des Abends haben auch die Kostüme von Frauke Langer beigetragen.

 Der Opernchor des Theaters Erfurt und die Mitglieder des Philharmonischen Chores Erfurt unter der Leitung von Andreas Ketelhut haben die Chorszenen spielerisch und gesanglich wirkungsvoll auf die Bühne gebracht. Für die Lichteffekte sorgte Florian Hahn und gab damit der Inszenierung viel Flair.

 So folgte auf den Schlussakkord viel Beifall. Eine sehr lebendige Ausgrabung, eine Oper, die vielleicht noch öfter neu entdeckt wird.

 Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

 

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