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ERFURT: LA CLEMENZA DI TITO – Premiere

29.01.2012 | KRITIKEN, Oper

Theater Erfurt – La clemenza di Tito (Wolfgang Amadeus Mozart). Premiere am 28.01.2012

 Mozartscher Wohlklang – einfach wunderbar!

 

Mit Vorfreude aber auch leichtem Unbehagen besuchte ich die Erfurter Premiere der Mozartschen Krönungsoper. Vorfreude einerseits – ob der wundervollen musikalischen Charakterisierung Mozarts und dem Wissen, meine ganz persönliche Lieblingsoper dieses Komponisten wieder einmal live erleben zu dürfen. Jede einzelne Arie ist nicht nur echt und in ihrer Personendarstellung punktgenau, sondern auch im wahrsten Sinne des Wortes “hitverdächtig“. Wer einmal das „Non pui di fiori“ der Vitellia oder das „Parto, parto“ des Sextus gehört hat, wird diese Melodien nicht mehr aus dem Kopf verbannen können.

 Unbehagen andererseits – da ich dieses Werk schon in verschiedenen gelungen Inszenierungen (München, Barcelona/Leipzig) sehen und hören dürfte. Auch die Salzburger DVD-Produktion (unter Harnoncourt) oder die CD-Einspielungen unter Steinberg und Böhm haben mittlerweile förmlich Rillen ob ihrer häufigen Benutzung.

 Doch das Unbehagen wandelte sich an diesem Abend in eine große Freude. Der Erfurter Titus ist einfach rundum gelungen. Aus meiner Sicht war dies neben der “kleinen Rossini-Messe“ die bisher stärkste Premiere dieser Spielzeit.

 Dies liegt in erster Linie an der musikalischen Umsetzung des Werkes. Das Orchester des Erfurter Theaters unter der Leitung von Samuel Bächli spielte einen ganz leichtfüßigen, klaren, fließenden, fast schwebenden Mozart. Dies bereitet von Anbeginn größte Verzückung. Nicht nur ich “ertappte“ mich das ein oder andere Mal beim Mitsingen und Mitwippen, auch die Füße und Hände meiner Nachbarn standen offensichtlich nicht still.

 Zu dem Gelingen trug ebenfalls die erlesene Premierenbesetzung bei – hier allem voran die beiden Hosenrollen, gesungen von Mireille Lebel (Sextus) und Carolina Krogius (Annuis).

 Mireille Lebel als Sextus ist einfach zauberhaft. Warm, weich und samtig breitet sich der Klang ihres Mezzosoprans im Zuschauerraum des Erfurter Theaters aus. Sie gestaltet ihren Sextus jungenhaft, fast bübisch. Wenn sie die Worte „Parto, parto“ sprechend und singend zugleich, halb lachend und eine Spur “trotzig“ artikuliert, ist dies von höchster Intensität. Ein perfekter Sextus in vollkommen intimer und jugendlicher Schönheit. Dennoch sei aus dramaturgischer Sicht eine Anmerkung zu ihrer Interpretation erlaubt. Im Sinne der Nachvollziehbarkeit der Handlung stellt sich die Frage: Welche Empfindung treibt Sextus zum Verrat des besten Freundes und Förderers? – Es ist die sexuelle Hörigkeit, die Verblendung aufgrund körperlicher Leidenschaft zu Vitellia. Mag ein Bub‘ das Capitol anzünden – den Schneid, ein Komplott mit mehreren Beteiligten zu planen, hat er nicht. Unabhängig von der szenischen Umsetzung dieser Motivation, bedarf diese erotische Reife der vokalen Darstellung, denn diese große Verblendung erklärt die durch Sextus in seiner letzten Arie zu tiefst empfundene Reue und Niedergeschlagenheit gegenüber Titus. Diese Nuance fühle ich am Premierenabend noch nicht.

 Auf gleichem Niveau singt Carolina Krogius ihren Annius. Ihre Stimme ist etwas kantiger als die von Mireille Lebel – aber ebenfalls von intensiver Wärme ummantelt. Zudem transportiert ihr Mezzo in den Höhen ein bronzefarbenes Leuchten, das Gänsehaut erzeugt – toll.

 Ebenfalls ganz hervorragend ist Ilina Papandreou als Vitellia. Ihre Interpretation überzeugt stimmlich, wie darstellerisch. Sie ist ganz die im Inneren brodelnde und auf sich bezogene Löwin – für einen Kaiser kaum zu bändigen. Nachvollziehbar gestaltet sie die Wandlung hin zu einer erwachsenen Frau, die bereit ist, für ihr Handeln einzustehen. Sie meistert die für einen Sopran vielen tiefen Passagen der Partie mit Anmut, ohne unschöne Brüche zur Mittellage. Auch die dramatischen Ausbrüche in den Höhen klingen ganz im Sinne Mozarts kontrolliert und leidenschaftsvoll. Zudem trägt ihre Stimme wunderbar in den Ensembleszenen. Ihr Terzett mit Annuis und Publius kurz vor Ende des ersten Aktes („Vengo… aspettate… Sesto!“) ist für mich der musikalisch stärkste Moment an diesem Abend.

 Der Erfurter Titus wird von Richard Carlucci gesungen. Zwar verfügt sein Tenor nicht über die mozartsche Leichtigkeit, so dass er gerade in den schnellen Teilen seiner Arien hörbar um jede Note ringt. Dies stört jedoch nicht, da es die szenische Darstellung seiner Figur in jeder Hinsicht unterstreicht. Carluccis Titus ist verkopft, in sich gekehrt, eigene Bedürfnisse verdrängend. Wie ferngesteuert verlässt Carlucci als Titus immer wieder die Bühne. Nur ein einziges Mal – dann, wenn Titus den Verräter zugleich besten Freund (Sextus) leiden sieht – gesteht er sich einen Moment des persönlichen Empfindens zu.

 Das Ensemble wird durch den wohlklingenden Bariton des Máté Sólyom-Nagy als Publius sowie Julia Neumann als (Sevilia) ergänzt. Julia Neumanns Stimme klingt am Premierenabend wenig jugendlich und lässt eher an eine Figaro-Gräfin, als an ein junges Fräulein denken. Dabei gehört die Arie der Servilia („S’altro che lacrime“) zu den musikalischen Highlights dieser Oper. Mozart zeichnet eine ehrliche und mutige Person – als Gegenpol zu Vitellia, die im Angesicht der drohenden Hinrichtung ihres Bruders nicht in Hysterie verfällt. Mit Bedacht, Ruhe und Milde appelliert sie hoffnungsvoll an das Gute in Vitellia, was Julia Neumann mir aber nicht vermittelt.

 Der von Andreas Ketelhut einstudierte Chor klingt fantastisch. In dem Moment, in dem die Choristen direkt vor dem Publikum stehen und dem Bühnenraum zugewandt ihrem Kaiser frönen, entfaltet sich ein Klang von unendlicher Schönheit.

 Die szenische Konzeption von Christiane Küppers hätte auch als vollszenische Produktion durchaus Bestand gehabt. Die Darsteller agieren ganz intim auf dem Orchestergraben, meist durch eine Chiffon-Wand  vom Bühnenraum getrennt. Dort spielt das Orchester und der Chor darf auf neoklassizistischen Stufen auf- und abtreten. Der gesamte Abend wird durch dezente Video- und Bildeinspielungen begleitet, der die im gediegenen Weiß gehaltene Szenerie verstärkt. Auch die Kostüme (von Hank Irwin Kittel) nehmen das Weiß der Kulisse auf. Leicht modernisiert – aber das elitäre Milieu der Oper aufnehmend – tragen die Darsteller Anzug und Abendkleid. Bei dem Päarchen Servilia – Annius hätten die vorhandenen Größenunterschiede szenisch und optisch noch ein Stück mehr kaschiert werden können.

 Am Ende des Abends werden Orchester, Sänger und Regie mit großem Jubel auf der Bühne empfangen. Die anfänglichen, vor Beginn der Premiere deutlich zu vernehmenden Unmutsäußerungen über die Verlegung der Premiere, waren Dank der erlebten Leistung längst vergessen.

Tom Karl Soller

 Musikalische Leitung: Samuel Bächli

Szenische Konzeption: Christiane Küppers

Ausstattung: Hank Irwin Kittel

Lichtkonzept: Torsten Bante

Chor: Andreas Ketelhut

Dramaturgie: Dr. Berthold Warnecke

 Premierenbesetzung:

 Richard Carlucci (Titus)
Ilia Papandreou (Vitellia)
Julia Neumann (Servilia)
Mireille Lebel, (Sextus)
Carolina Krogius (Annius)
Máté Sólyom-Nagy (Publius)

 

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