Erfurt/Theater: „DON CARLO“ – mit Georg Zeppenfeld – 21.9.2013 Premiere.
Die Erfurter hatten Glück. Da Albert Pesendorfer leider erkrankt ist und in der „Don Carlo“-Premiere nicht König Philipp II. singen konnte, war Georg Zeppenfeld, der diese Rolle sehr gern singt, die ihm „wie auf den Leib geschrieben“ scheint, und die er wegen seiner vielen Verpflichtungen in Wien, Hamburg, München, Mailand, Lyon, San Francisco, an der Met, der Opera of Chicago und bei den Salzburger und Bayreuther Festspielen noch nicht einmal in Dresden an der Semperoper singen konnte, für die Premiere eingesprungen. Er eroberte die Herzen des Publikums im Sturm. Unvergesslich wird die große Arie des mit sich selbst hadernden Königs bleiben, der – alternd – erkennen muss, dass Macht, Gewalt, Herrschaft und unbeugsamer Wille letztendlich nichts bedeuten. Er ist menschlich am Ende, vereinsamt, gescheitert. Zeppenfeld bestach hier nicht nur mit seiner scheinbar mühelos alles bewältigende Stimme, seiner wunderbaren, samtenen Tiefe und sicheren Höhe, er beherrschte die Balance zwischen Machtanspruch eines absolutistischen Königs und dem Eingeständnis seiner menschlichen Schwäche in jeder Nuance. Hier stimmte einfach alles bis ins letzte Detail – eine starke Komposition – stark in der Ausführung, die sich nicht zuletzt in der andächtigen, atemlosen Stille im Zuschauerraum bemerkbar machte. Es war nicht zuletzt auch ein Gewinn für das Renommee des Hauses, und Zeppenfeld hat es sehr gern getan.
Dagegen hatten es die anderen Sängerinnen und Sänger nicht leicht. Eine ebenfalls sehr beeindruckende Leistung bot Kartal Karagedik als Rodrigo, Marquis von Posa, mit wohlklingender Stimme und guter Gestaltung. Nur das Freundschaftsduett mit Don Carlo alias Richard Carlucci konnte nicht den ersehnten, kongenialen Klanggenuss bringen, da Carlucci mit 38,7 Grad Fieber eigentlich ins Krankenbett gehörte, aber die Premiere retten wollte, wie der Intendant des Hauses ankündigte, der „nebenbei“ auch die Jubiläumssaison “10 Jahre Opernhaus Erfurt“ traditionsgemäß mit einem dreimaligen Klopfen auf den Bühnenboden eröffnete. Carlucci hatte vor allem Probleme mit der Höhe, was in diesem Falle verzeihlich ist.
Seine Rolle als greisenhafter, gebrechlicher Großinquisitor mit hohem Machtanspruch wurde Vazgen Ghazaryan gerecht und fügte sich „nahtlos“ in das düstere Gefüge um Macht und Gewalt ein.
Während Dariya Knyazyeva als von Anfang an hier fast „hysterisch“ eifer- und rachsüchtige Eboli, deren Charakter sich doch erst durch die Ereignisse wandelt, ihre Rollen entfremdete, brachte Ilia Papandreau als Elisabeth von Valois seitens der Damen die Aufführung wieder ins Lot. Mit zwar starkem Vibrato in dramatischen Situationen, konnte sie doch in lyrischen Passagen sehr ergreifen, z. B. wenn sie ihre schuldlos in Ungnade gefallene Hofdame im Abschied tröstet und am Handlungsende mit ihrer Arie voller Traurigkeit und Enttäuschung der Oper einen sanften, ergreifenden Ausklang gibt.
Sieht man von den Temposchwankungen im Orchester, die kurzzeitig manchen Sänger zu irritieren schienen, und den anfangs leicht verstimmt anmutenden Bläsern, die aber dann in der Szene, wo Carlo entwaffnet wird, sehr feinsinnig und leise das Freundschaftsduett mit Rodrigo wie sehnsüchtige Gedanken wieder anklingen ließen, einmal ab, spielte das Philharmonische Orchester Erfurt und die Thüringen Philharmonie Gotha unter der Musikalischen Leitung von Manlio Benzi, wenn auch mit etwas rauem Ton (der zur Inszenierung passte) zuverlässig und mit viel Engagement und Verve, dramatisch und kontrastreich und in extremen, sich zuspitzenden Handlungssituationen mit überbordender Pauke und großer Trommel extrem laut, im Allgemeinen aber mit dem Gesang konform und weitgehend, ohne die Sänger „zuzudecken“. Es gab sehr schöne Instrumentalsoli. Zuverlässig sang auch der Opernchor des Theaters Erfurt.
Die düstere, aber stimmige Inszenierung, einschließlich Bühnenbild, Kostümen und Licht von Stefano Poda ist glücklicherweise nicht gegen das Stück gerichtet, sondern betont mit viel Licht und Schatten, Dampf und Nebel und geschickt eingesetzten Hubpodien und verschieblicher Drehbühne und mit der vorrangigen Farbe schwarz bei den Kostümen, deren farbliche Differenzierungen, erst nach Ende der Vorstellung, wenn das Licht wieder angeht, wirklich zur Geltung kommen, die trostlose Seite einer Gewaltherrschaft. Selbst im Schlosspark oder wenn von blühenden Gärten wie Fontenbleau die Rede ist, bleibt die Bühne in schwarzes bis graues Dunkel gehüllt.
Bestimmende Elemente der Inszenierung sind überdimensionale Requisiten, eine riesige, knochige, fast schon verwesende Hand (die des Ahnvaters Karl V., der noch überall die Hand im Spiel hat?), die schon unter dem Schleier, der zunächst als knorriger Baum im Schlossgarten zu deuten sein konnte, zu erkennen war, und am Ende als übereinanderliegendes Händepaar mit übergroßem, offenbar „handgeschmiedetem“ Nagel an den Fußboden genagelt ist, einem Planeten im (künstlichen) Orbit, einem überdimensionalen Weihrauchkessel (Übermacht der Kirche und Inquisition), der über den Häuptern der agierenden Personen mit viel Rauch, von dem einige aus dem Volk etwas für sich einzufangen versuchen, bedrohlich wie eine Bombe hin und herschwebt und alles be- und vernebelt, und ein übergroßes Uhrzifferblatt, das die Vergänglichkeit der Zeit andeutet, Leichenberge, auf denen das Geschehen stattfindet, verkehrt herunterhängende Kruzifixe (Reminiszenz an den Maler Georg Baselitz, der für das Chemnitzer Opernhaus das Bühnenbild für „Le Grand Macabre“ von György Ligeti – Pr. 28.8. entwirft?) und einer Gruppe junger nackter Männer, die reglos wie vom Kreuz herabgenommene, erstarrte Christusleichname wirken, sich dann später aber langsam, einer nach dem anderen, leicht bewegen, sind die wesentlichen Elemente, auf denen sich eine beeindruckende Inszenierung in Dunkelheit und Düsternis entwickelt.
Ingrid Gerk