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ERFURT: DON CARLO – „Dunkles Licht“. Premiere

23.09.2013 | KRITIKEN, Oper

Dunkles Licht. Erfurt/Theater: „DON CARLO“ Premiere – 21.09.2013

inquisitor
Inquisitor. Foto: Theater Erfurt

 Es ist schon erstaunlich, wie Guy Montavon, Generalintendant des Theaters Erfurt, immer wieder ein As aus dem Ärmel zieht. Gelungen ist ihm dies mit der Verpflichtung von Stefano Poda als Regisseur und Ausstatter für die Erfurter „Don Carlo“ Inszenierung und der kongenialen Verpflichtung von Georg Zeppenfeld als König Philipp II. für die Premiere.

 Der Verdische „Don Carlos“ in seiner dunklen Pracht gibt als Werk viele Rätsel auf. Die Unvereinbarkeit von privatem Glück und Herrschaftspolitik. Schwermut drängt sich auf als zentrales Wort der ersten Wahrnehmung. Die Stimmung des Dramas und der persönlichen Tragödie des Infanten Carlos, der blutigen Auseinandersetzung zwischen weltlicher und kirchlicher Gewalt ist umwoben vom Purpur wildester Leidenschaften und darin wächst Verdi auch weit über Schiller hinaus. Szenen sind da, deren expressiv vokale und instrumentale Plastik von Podas Regie ergriffen wird in einem Gesamtkunstwerk, das den Zuschauer nachhaltig erschüttert. Stefano Podas Inszenierung zeigt eine vom habsburgisch-spanischen Katholizismus verdüsterte und trostlose Welt. Die Menschen schleppen sich hinfällig und freudlos durch ihr irdisches Dasein. Schon zu Beginn erblickt der Zuschauer eine schwarze Hand die sich mächtig auf dem Bühnenboden ausbreitet und darüber ein Planetenmodell. Diese Hand bleibt dominierend, wechselt aber ihre Rolle. Stefano Poda erreicht das mit seiner Lichtregie. Im dritten Akt wird diese Hand, dann zur Hand des Gekreuzigten und nimmt das tragische Scheitern vorweg.

 Es geht auch um einen Vater-Sohn Konflikt und um die Einsamkeit der Herrschenden. Eine Elegie in großer Opernform, bei der das Zeitlich-Bedingte einer politischen Staatsaktion mit dem Geistig-Bewegenden eines elementaren Dramas zusammenklingt. Die Regie Stefano Podas erfasst den von Verdi ausgeprägten Theatersinn einer großen Oper und seine inneren geistigen Triebkräfte. Szenen wie der Monolog des einsamen und sich als gescheitert empfindenden Königs und der nicht weniger unheimliche Auftritt des Großinquisitors, gelingen mit düsterer Strahlkraft. Diese Szenen ergreifen nicht nur die Sinne, die Wahrnehmung, sie greifen direkt das Herz an. Dies gelingt besonders eindrucksvoll, weil der kurzfristig umbesetzte Philipp II. von Georg Zeppenfeld dargestellt wird. Er ist einer der beeindruckendsten jungen deutschen Bassisten. Wenn Georg Zeppenfeld seinen herrlich strömenden Bass den tragisch umrissenen König formt, wird er zum Zentrum des Dramas. Sein mit Jubel aufgenommener Monolog, erhob sich zum entscheidenden Eindruck des Abends.

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Foto: Theater Erfurt

 Auch Vazgen Ghazaryan (Großinquisitor) ruft Erschütterung hervor. Wie er auf Krücken gestützt in der Tür erscheint, ein finsterer Schatten mit einem mächtigen Bass, der kaltes Grauen verbreitet. Ohne historische Anleihen zu nehmen gemahnt diese Figur an totalitäre Systeme. Der Dialog des Großinquisitors ist enorm dramatisch, kurze Phrasen werden mit strengen schrecklichen Akkorden des Orchesters unterstützt. Vazgen Ghazaryan hat seine Rolle schauspielerisch und gesanglich sehr gut verkörpert: „O König, wäre ich heute nicht hier in diesem Palast: Beim lebendigen Gott, morgen stündet Ihr selbst vor uns im obersten Tribunal!“ Poda vermittelt eine Szenerie abgründiger Finsternis, die Vazgen Ghazaryan auch stimmlich voll und ganz verkörpert und gerade dadurch eine Analogie ermöglicht.

 Dariya Knyazyeva (Prinzessin Eboli) ist ihr Deutschlanddebüt gut gelungen. Mit der dramatischen Arie „Ich verfluche dich, o meine Schönheit!“ charakterisiert sie ihre leidenschaftliche und unbändige Natur. Dariya Knyazyeva hat sehr emotional, temperamentvoll und mit viel Stärke in der Stimme gesungen. An manchen Stellen waren die hohen Töne aber sehr ausgepresst und leider nicht immer sauber. Den Typ einer abgewiesenen Liebeshungrigen stellte sie allerdings beachtlich glaubhaft dar. Das Triebhaft-Dämonische und das Hochdramatische sind in ihrer Reue-Arie klar zu erkennen.

 Ilia Papandreou (Elisabeth von Valois) hat sauber und technisch gut gesungen, aber es fehlte ihr an Volumen und Stärke in der Stimme. Außerdem war ihr Spiel als Königin nicht immer überzeugend. Im Vergleich zu Eboli wirkte sie etwas blass. Allerdings steht sie im Schnittpunkt von Macht und Liebe und wirkt gerade in den lyrischen Passagen kostbar verklärt.

 Kartal Karagedik als (Rodrigo, Marquis von Posa) ist eine Entdeckung des Theaters Erfurt. Als Simon Boccanegra gab er kürzlich sein Erfurter Debüt mit großem Erfolg. Sein dunkler Bariton passt hervorragend zu dieser Rolle. Auch schauspielerisch wirkt er überzeugend.

 Richard Carlucci (Don Carlos, Infant von Spanien), versuchte trotz seiner Erkältung seine Rolle zu singen, konnte aber leider nicht alles zeigen, wozu er sonst stimmlich fähig ist.

 Jörg Rathmann (Graf von Lerma) und Daniela Gerstenmeyer (Tebaldo und Stimme aus der Höhe) zeigen sich auch in ihren kleinen Rollen dem Gesamtgepräge gewachsen.

 Auch ein Glücksfall ist der italienische Dirigent Manlio Benzi, der Verdis „Don Carlos“ als erschütterndes Musikdrama hörbar macht. Manlio Benzi macht deutlich, dass die Partitur in Velázquez-Farben komponiert ist, mit vielen roten und braunen Tönen. Er zeigte sich insgesamt trotzdem sehr präzis an dieser sonoren Partitur und riss das Orchester mit seinem Temperament mit. Manchmal gab es kleine Temposchwankungen, dennoch spielte das Philharmonische Orchester Erfurt und die Thüringen Philharmonie Gotha unter der musikalischen Leitung von Manlio Benzi eine musikalische Beglaubigung der Inszenierung Stefano Podas und sorgte so für eine Aufführung aus einem Guss. Das Philharmonische Orchester Erfurt und die Thüringen Philharmonie Gotha sammelte sich zu einem sensiblen, wie kraftvollen Klang.

 Beim Schaugepräge des Autodafés, der Ketzerverbrennung, läuft der Chor in der Einstudierung von Andreas Ketelhut zur Höchstform auf.

 Insgesamt sollen historisch etwa 9000 Autodafés durchgeführt worden sein, eine Großzahl vom spanischen Großinquisitor Tomás de Torquemada, der sicher für Verdis Protagonisten Pate stand.

 Mit dem Einsatz von Dreh- und Hebebühnen erzielt Poda eine Dauerdynamik, die den Zuschauer hineinzieht in diese gruselig-schmerzenden Bilder, die dem Verdi-Furor so viel optische Intensität und Präsenz verleihen.

 Einprägsam sind auch die Bilder, die an den berühmten Botafumeiro, ein großes Weihrauchfass, in der Kathedrale von Santiago de Compostela in Spanien erinnern. Der Botafumeiro hängt an einem etwa 30 m langen Seil von der Decke und wird nach dem Hochamt von sechs Männern in Bewegung gesetzt. Außer seiner üblichen Funktion in der Liturgiefeier diente der Botafumeiro dazu, den Geruch der Pilger zu neutralisieren. Auch diese Bilder werden die Zuschauer so schnell nicht vergessen.

 Stefano Poda bemüht sich um ein intensives Erfassen des von Verdi ausgeführten Operntyps, damit geht die Inszenierung weit über das italienische Gesangsbrio hinaus. Poda legt die Triebkräfte frei und kehrt das Innere nach außen. Darin liegt dramaturgisch auch manchmal das Problem, denn in dieser dunklen Beleuchtung bleibt die individuelle Entwicklung der Figuren zu wenig sichtbar, wird sie dem Gesamtbild, dem zu erzielenden Gesamteindruck unterworfen. Vielleicht wäre der Kontrast viel größer, wenn die schönen Momente auch im Bühnenbild farblich differenzierter wären.

 Ein großer Wurf zum zehnjährigen Bestehen der Erfurter Oper ist diese Inszenierung in jedem Fall, später wird der erkrankte Albert Pesendorfer den König singen.

 Sehens- und Wahrnehmenswert, ein dunkler Diamant ist diese Operninszenierung, deren Botschaft den Zuschauer mit viel Diskussionsstoff entlässt. was kann man mehr erwarten?

 Larissa Gawritschenko, Thomas Janda

 Weitere Aufführungen Sa, 28.09. l Fr, 11.10. l So, 03.11. l Sa, 23.11. l So, 08.12.2013 l Fr, 07.03. l Mi, 09.04. l Sa, 04.05.2014

 

 

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