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ERFURT/ Domstufenfestival: CARMEN. Premiere

Autowracks auf den Erfurter Domstufen

04.08.2018 | Allgemein, Oper


Copyright: Lutz Edelhoff

Theater Erfurt /25. Domstufen-Festspiele /„Carmen“ Oper von George Bizet/ Premiere am 03.08.2018

 Autowracks auf den Erfurter Domstufen

Aufgetürmte Autowracks recken sich auf den Erfurter Domstufen in den Himmel. Das ist das optische Konzept, das sich Regisseur und Generalintendant Guy Montavon gemeinsam mit seinem Ausstatter Hank Irwin Kittel ausgedacht hat. Zu diesen Autowracks meinte Guy Montavon im Vorfeld: „Das hat mit dem Beruf der Zigeuner zu tun, die von jeher ausgesprochen gute Schmiede waren, Eisen und Stahl verarbeitet haben und Beförderungsmittel waren einfach immer ihr Metier. In Frankreich sind bis heute Schrottplätze sehr häufig von Zigeunern betrieben. Daraus ist die Assoziation von Schrottautos entstanden, die zu einem Berg aufgetürmt sind. Das hat etwas Geheimnisvolles, lässt sich künstlerisch toll gestalten und ist vor allem ein starkes Bild für die gesellschaftliche Situation von Carmen und den Schmugglern: Sie sind auf den Müll, in den Dreck abgeschoben.“ (Quelle Theater Erfurt)

Mit diesem Konzept will Montavon weg von der klischeehaften Zigeuner-Romantik, die er weder für angemessen noch zeitgemäß hält. In einem Interview für den Merker im Juni kündigte Montavon an: „Ich orientiere mich an der Novelle von Prosper Mérimée, an seiner Erzählweise. Das Thema Spanien ist dort nicht so präsent wie in der Oper von Bizet. Da will ich einen Akzent setzen, vor allem mit der Erzählung über Don José. Ich finde es faszinierend, was die Librettisten von Bizet aus dieser Novelle gemacht haben. Ich sehe die Gefahr, dass man immer dieselben Sehweisen bedient und das will ich nicht. Es ist nirgendwo geschrieben, dass Carmen schön ist oder eine Rose trägt. Ich erzähle die Story geradeaus wie in der Novelle. Bizet fügt da Flamenco-Tänze ein und das ist nicht so meine Sichtweise. Das wird viele Zuschauer überraschen, aber wir können eine neue spektakuläre „Carmen“ machen und das will ich. Ich hoffe, dass das Publikum sich darauf einlässt.“

Um es gleich vorweg zu sagen, das Publikum hat sich darauf eingelassen und sich begeistert gezeigt. Die vielen stimmungsvollen Bilder, die zwar jenseits pittoresker Romantik liegen, sprechen die Zuschauer an. Besonders nach der Pause, wenn die Nacht den Dom einhüllt, dann sind die Licht- und Pyro-Effekte für das Publikum mehr als beeindruckend. Montavon und Kittel haben besondere atmosphärische Räume geschaffen, die den Zuschauer hineinnehmen in eine Außenseitergesellschaft, die am Rande der Wohlstands-Wegwerfgesellschaft ihr kümmerliches Auskommen sucht und unabänderlich suchen muss.

Schon zu Beginn wird das deutlich, als ein spielendes Kind seinen Eltern mitteilt, dass das Spielzeugauto kaputt ist. Der Vater schmeißt es über den Zaun zu den Zigeunern. Dieser Zaun trennt auch die Welten zwischen Reichen und Schrottverwertern. Die Wohlhabenden begrüßen hysterisch kreischend zu Beginn Stierkämpfer Escamillo auf seinem Pick-up und schwarze Luftballons steigen in den Himmel. Diese Massenszenen gelingen Regisseur Montavon gut. Auch die Idee eine Polizeiphalanx auf die sich hinter dem Zaun Streitenden vorrücken zu lassen, bewährt sich. Der umstürzende Zaun gibt den Blick frei auf das Lager der Sinti und Roma. Eine Welt, wie man sie wahrscheinlich in vielen europäischen Staaten finden könnte. Hier zwischen diesen Wracks wird sich also das Liebesdrama in vier Akten abspielen. Die Anbändelei Carmens passiert auch schnell und ziemlich direkt und Don José wirkt etwas tölpelhaft und stolpert in das Abenteuer, das ihn tragisch mitreißen und scheitern lassen wird. Da gibt es in der Figurengestaltung Anklänge an die Novelle Mérimées, in der Don José sich ja vor allem als Opfer seines Schicksals sieht.


Katja Bildt, Won Whi Choi. Copyright: Lutz Edelhoff

Der 2. Akt spielt sich ganz zwischen den Wohnwagen unterhalb des Schrottplatzes ab. Hier wirkt vor allem das Bild der geschlossenen Zigeunergesellschaft. Gitarrenspieler und ein tanzendes Mädchen vermitteln eine andere Sicht als die sonst üblichen Flamenco-Estraden, obwohl die Szene dennoch einen kindlichen Als-ob-Charakter vermittelt.

Der 3. Akt verströmt mit offenen Feuern und einer gedimmten Lichtregie Schmuggler- und Banditenromantik wie aus dem Bilderbuch. In diese Schauerromantik passt dann auch wirklich das Kartenorakel, das Carmen den baldigen Tod ankündigt. Die Atmosphäre nimmt die Zuschauer ganz in das Stück hinein.

Der 4. Akt vor der Arena hält noch einmal viel „Action“ bereit. Da fahren dicke Geländewagen einige Stufen hinauf und bleiben schräggestellt stehen. Heraus springen flippige und illustre Stierkampf-Besucher in hysterisch aufgeregter Stimmung, gern bereit sich um jeden Preis zu amüsieren. Die Arena stellt ein Kreis aus Bauzäunen dar, in dem ein Stierdarsteller seinen Kampf erwartet. Dort kommt es zu einem Kampf, an dessen Ende alle Protagonisten Verlierer sein werden. Montavons Regie nimmt sich einige Freiheiten in der Gestaltung der Schlussszene. Imposant und wirkungsvoll ist auf jeden Fall das Feuerwerk, das am Ende Schrottplatz und Kirchenkulisse erhellt.

So wirkungsvoll wie Montavon einige Massenszenen gestaltet, so hat er allerdings bei einigen Szenen auf mögliche interessante Bilder verzichtet wie bei dem Streit der Arbeiterinnen im 1. Akt. Hier sieht der Zuschauer nur einige hochgeworfene Säcke über der Stellwand und hört noch ein bisschen Geschrei und Pistolenknallen. Die ganze Szene soll sich der Zuschauer vorstellen. Dadurch fehlt bis zum Eintreffen der Polizei jegliche Bewegung auf der Bühne. Auch bei der Führung der Einzelfiguren lässt Montavon viele Fragen offen z. B. warum Carmen in der Schlussszene im 2. Akt im Wohnwagen verschwindet, während sie singt, dass sie für Don José tanzen will. Auch zu Beginn des 2. Aktes müssen die Zuschauer ziemlich lange warten bis sich szenisch etwas entwickelt. Wie eingefroren wirken Gitarrenspieler und andere Akteure, bis es zweimal zaghaft klatscht. Auch beim Tanz des Mädchens ist Varianz vorstellbar. Sich wiederholende Drehungen und Ärmchen schwenken ist da etwas dürftig. Ein Personenwechsel hätte an dieser Stelle mehr bewirkt.

Der griechische Dirigent Myron Michailidis hat als neuer GMD ein Meisterstück abgeliefert. Mit den Musikern des Philharmonischen Orchesters arbeitet er viele Klangfacetten heraus. Er beherrscht auch Tempi und Dynamiken glänzend. Die Sänger können sich auf sein Dirigat verlassen, denn er unterstützt sie präzis und gut abgestimmt. Das ist bei dieser Großraum-Bespielung und dem fehlenden unmittelbaren Sichtkontakt sicher nicht immer ganz einfach. Der Klangeindruck des Orchesters insgesamt ist sehr dynamisch und wunderbar facettenreich. Dazu trägt übrigens auch eine sehr ausgewogene elektronische Übertragung bei, die ein sehr differenziertes und fein abgestimmtes räumliches Klangbild vermittelt. Optisch schaffen die Lichteffekte von Torsten Bante viele emotionale Bildwirkungen, die den Zuschauern starke Momente bescheren, die sie so schnell nicht vergessen werden.

Für die 25. Domstufen-Festspiele gibt es drei Besetzungen, die sich abwechseln werden. Für die Premiere ist Katja Bildt als Carmen aufgetreten. Sie spielt ihre Rolle gut und singt insgesamt mit viel Emotion und Hingabe. Stimmlich fehlt es ihr etwas an Klangvolumen und im 1. Akt hat sie bei dem Chanson mit dem berühmten „Tra lalalalalalala. Schneide mich in Stücke, verbrenne mich,…“ noch Probleme die richtige Tonhöhe zu treffen, beim zweiten Anlauf gelingt ihr das dann besser. Vielleicht ist die von der Regie geforderte ständige Zigaretten-Raucherei auch nicht gerade förderlich für die Stimmbänder?


Mandla Mndebele, Katja Bildt. Copyright: Lutz Edelhoff

 Won Whi Choi als Don José zeigt spielerisch und stimmlich eine ganz große Leistung. Er verkörpert die Rolle des leidenden und verzweifelten und mit sich selbst ringenden Mannes sehr überzeugend. Auch stimmlich kann er mit seinem Tenor an diesem Premieren-Abend überzeugen. Sein Gegenspieler Escamillo dargestellt von dem Südafrikaner Mandla Mndebele wird wie ein Gangster-Rapper präsentiert. Damit wird er zu einer düsteren Figur. Als Torero könnte er etwas mehr Kostüm-Farbe vertragen. Sein Bariton klingt rund und voll, mit schönem Timbre, aber nicht immer gelingen ihm hohe Töne. Kakhaber Shavidze als Zuniga singt einen satten Bass und mimt die Offiziersrolle kernig. Margrethe Fredheim reißt als Micaëla die Zuschauer durch ihren glockenhellen Sopran mit. Während des Stückes steigert sie sich ständig.

Julia Neumann als Frasquita und Annie Kruger als Mercédès sind besonders in der Kartenszene hervorragend und punkten damit beim Publikum. Ks. Máté Sólyom-Nagy als Moralès und Dancaïro singt mit seinem Bariton einmal den Sergeant und dann den Schmuggler sinnfällig. Ks. Jörg Rathmann macht auch als Schmuggler Remendado eine passable Figur.

Der Opernchor des Theaters Erfurt gemeinsam mit dem Philharmonischen Chor Erfurt und der Chorakademie produzieren in der Einstudierung von Andreas Ketelhut wieder schönen Klang. Loben muss man auch alle Statisten, die bei den hohen Temperaturen alle Proben absolviert haben, um dann mit einer guten Ensemble-Leistung aufzuwarten, die das Publikum auch bejubelt.

Bizets Oper in großen Panorama-Bildern ist noch bis zum 26. August 2018 bei den 25. Domstufen-Festspielen zu sehen und parallel dazu gibt es wieder ein Kinderprogramm mit dem Titel „An der Arche um Acht“. Da ist für jeden etwas dabei.

Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

 

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