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ERFURT: DER TRANK DER UNSTERBLICHKEIT von E.T.A Hoffmann

28.04.2012 | KRITIKEN, Oper

Erfurt: „DER TRANK DER UNSTERBLICHKEIT“ – UA: 28.4.2012

Undank ist der Welt(en) Lohn! Da entdeckt einer in der Staatsbibliothek Berlin einen ungehobenen Schatz, in diesem Falle die 1808 komponierte Oper „Der Trank der Unsterblichkeit“ von E.T.A. Hoffmann, besorgt die Herausgabe der Partitur als Faksimile, auf dessen Grundlage die Noten gedruckt werden, präsentiert im Opernhaus die Entdeckung einem erwartungsvollen Publikum und wird zum Dank ausgebuht.

Peter P. Pachl hat bereits in der Vergangenheit viele Werke reanimiert, die in der Schublade verschwunden waren. Erinnert sei an seinen
unermüdlichen Einsatz für die Werke Siegfried Wagners, die heute allesamt auf Tonträgern erhältlich sind. Sein Augenmerk scheint nun E.T.A. Hoffmann zu gelten. Pachl weiß genau, wo da was noch schlummert. „Der Trank der Unsterblichkeit“ ist eine fantastisch, schaurig-komische Geschichte, die mitunter verblüffende Bezüge zur Gegenwart hat. Namarand, ein junger orientalischer Edelmann, schlägt ein hohes Amt am Hofe des Schachs aus. Er strebt lieber nach Unsterblichkeit. Der Schach ist ob der Maßlosigkeit des Wunsches erzürnt, gewährt ihn aber. Spät, sehr spät erkennt Namarand den Fluch der Unsterblichkeit. Kurios ist, dass sich der begnadete Schriftsteller E.T.A. Hoffmann seine Opernlibretti nur selten selbst verfasste. In diesem Falle stammt die Vorlage von Julius von Soden, der einst als Theaterleiter in Bamberg wirkte.

Die von E.T.A. Hoffmann komponierte Musik erinnert stark an Mozart. „Die Zauberflöte“ lässt mehrfach grüßen. Insofern kann man sich getrost zurücklehnen und genießen. Problematischer erscheint mir die Textlastigkeit des Werkes. Pachl verriet, dass an der Musik und der Diktion des Textes keine Veränderungen vorgenommen worden sind. Wohl aber an der Länge des gesprochenen Textes. Aus meiner Sicht gibt es immer noch Endlospassagen, die einer schlüssigeren Erzählweise im Wege stehen. Die Aktualität des Stoffes ist nicht von der Hand zu weisen:
Namarand soll ein hohes politisches Amt bekleiden. Um es ausüben zu können, müsste er sich in Bezug auf seine Persönlichkeit verbiegen. Das vermag  er nicht, das will er nicht. Eine Tugend, die ihn ehrt, und die man heute hier und da schmerzlich vermisst. Das Unheimliche und Bizarre des Stoffes manifestiert sich natürlich auch in der Problematik des Alt- und Älterwerdens. Ist das in jedem Fall ein Geschenk?

Der Opernregisseur Pachl möchte auch eine Verbindung zu Video- und Computerspielen herstellen, die von jetzt auf gleich Zeitreisen ermöglichen. Die Gefahr liegt auf der Hand: Die fatale Vermischung von Fiktion und Authentizität im Bewusstsein einzelner führt zu unkontrollierten Handlungen. All das drängt Pachl seiner Lesart, die mitunter sehr detailliert und intensiv gearbeitet ist, auf. Und damit überfrachtet er das Geschehen, zumal er auch mit Symbolen und Bildern arbeitet, die sich möglicherweise dem Publikum nicht erschließen. Nach der Pause zum Beispiel bevölkern Perserkatzen die Bühne. Im ersten Moment belächelt das Publikum diesen Einfall. Aber es fragt sich auch, was das soll!? Dass diese kitschig anzusehenden Wesen Reichtum symbolisieren, assoziiert wohl niemand im ersten Anlauf. Zugegeben, die opulente, im Fantasie-Orient angesiedelte Ausstattung von Robert Pflanz fasziniert, aber sie gibt auch Rätsel auf. Irgendwann fallen unentwegt Kissen auf die Bühne, und zwar immer dann, wenn die beteiligten Sänger Koloraturen singen müssen. Ich habe Pachl gefragt, was es damit auf sich hat. Man weiß, dass sich die von Mozart empfundenen Orgasmen in den Koloraturen seiner Protagonistinnen widerspiegeln.

Nun hat Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann seinen dritten Vornamen nicht zufällig in Amadeus umgewandelt. Auf die Inszenierung bezogen heißt das, dass jedes herabfallende Kissen einen Orgasmus symbolisiert. Und da es Namarand mit seiner Haremsdame recht heftig treibt, regnet es folgerichtig Kissen über Kissen. Leider habe ich keine Verbindung zu Sexualforschern. Ihre Meinung würde mich da schon interessieren!

Durchweg Erfreuliches gibt es von den Solisten zu berichten. Ein Gewinn für die Aufführung war die Verpflichtung von Uwe Stickert als Namarand. Der Sänger verfügt über eine schöne und geschmeidige Stimme, der es auch an lyrischem Schmelz nicht fehlt. Der Tenor singt nicht nur mit edler Tongebung, sondern vermag auch Namarands Zeitreise darstellerisch umzusetzen. Seinen Diener Hassem stattet der unverwüstliche Jörg Rathmann mit schöner Natürlichkeit aus. Mandane ist eine von den Frauen, die es Namarand besonders angetan hat. Julia Neumann ist in der Tat nicht nur ein Hingucker, sondern sie verzaubert auch mit ihren blitzsauber gesungenen Koloraturen. Marisca Mulder verkörpert die Mirza,
die als „Genius“ dem schlafenden Namarand erscheint. Musikalisch kann sie sich in dieser Szene mit ihrer kultivierten Stimme wunderbar in Szene setzen.

Die Liste der Mitwirkenden ist recht umfangreich, sodass ich namentlich nur noch auf Sebastian Pilgrim, der den Schach von Persien gab, eingehen möchte, da er durch seine schöne profunde Stimme aufmerksam machte. Alle anderen gefielen in Episodenrollen, die sie zum Teil durch
skurrile Komik ausfüllten. Ein Extralob gebührt auch dem Chor in der Einstudierung von Andreas Ketelhut.

Das Philharmonische Orchester spielte unter der Leitung von Samuel Bächli engagiert. Gelegentliche Intonationstrübungen seien allerdings nicht verschwiegen. Warum Bächli für sein Dirigat einzelne Missfallensäußerungen quittieren musste, erschließt sich mir nicht. Besitzt die Oper das Zeug zur Unsterblichkeit? Dem Erfurter Haus ist auf alle Fälle eine interessante Ausgrabung zu danken, die für die Interpreten anspruchsvolle und dankbare Aufgaben bereithält. Der Stoff enthält überaus interessante Bezüge zur Gegenwart. Nur sollte man dabei der Gefahr entgehen, sie mitunter so zu chiffrieren, dass dadurch die Geradlinigkeit der Handlung verloren geht. Und das, glaube ich, lastete ein Teil des heftig protestierenden
Publikums Pachl an.

Christoph Suhre

 

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