Der Freischütz (Carl Maria von Weber) – Theater Erfurt
Premierenaufführung vom 14.01.2012
Ännchen (Daniela Gerstenmeyer) und Kaspar (Albert Pesendorfer). (c) Theater Erfurt, Lutz Edelhoff
Vom Bösen infiziert…
Wald, Hörnerklang, ein Jagdmotiv, Versagensängste des Max, Zweifel an der eigenen Stärke – Zweifel, die durch das Einsetzen des Agathethemas fortwährend durchbrochen werden, Agathes Liebe ist stärker als das auflodernde Dunkel des Bösen – es erklingt eine fröhliche Tanzmusik: alles ist gut.
So erklingt in orchestrierter Vorwegnahme der Handlung die Ouvertüre des Weberschen Singspiels – nicht aber der Aufführungsbeginn des Erfurter Freischütz am heutigen Premierenabend. Der Regisseur, Dominique Horwitz, hatte bereits im Vorfeld angekündigt, das Werk umstellen und straffen zu wollen. Seine Interpretation beginnt anders als die Vorlage mit dem Ende des Weberschen Vorspiels und bereitet damit den Teufelshelfern Ännchen(!) und Kaspar den Weg auf die Bühne.
Verfremdend aber konsequent lässt Horwitz die einzelnen Motive der Ouvertüre über den ganzen Abend als Teilstücke erklingen, um dem Bösen den Weg zu ebnen. Entgegen der Originalgeschichte werden Max und Agathe am Ende der Aufführung, wie alle anderen Protagonisten, infiziert sein, infiziert mit dem Bösen. Die traute Zweisamkeit und gegenseitige Liebe ist Max und Agathe nicht vergönnt. Aus beider Körper müssen holz- und pilzartige Wucherungen wachsen, sie passen sich damit äußerlich ihrem abartig und gnomenhaftem Umfeld an.
Wegweisend, wie das Schwert des Damokles, schwebt seit dem ersten Schuss des Max eine schwarze Sonne über ihnen. Das Böse hat die Welt, in der die Protagonisten ihr Dasein fristen müssen, durch einen überdimensional großen Nagel, der in den Bühnenboden gerammt wurde, fixiert.
Zweifelsohne ist dieser Abend in seinem collagenartigen Verlauf packend und spannend. Immer wieder beschäftigt mich beim Sehen und Hören die Frage, wie wird die Regie ihren Freischütz auflösen, wie wird die Musik Webers verarbeitet werden. Das Ergebnis ist unterhaltsam und erinnert musikalisch wie optisch an ein Musical.
Dieser Eindruck wird durch das geniale und scheinbar alle Mittel der Technik nutzende Bühnenbild (Hank Irwin Kitte) verstärkt. Man sieht eine schwarz gehaltene und terrassenartig aber abstrakt gestaltete Gesteinsschlucht, die durch Verschiebungen immer wieder verschiedene Höhlenöffnungen aus sich hervorbringt. Diese bilden Rückzugspunkt der bereits infizierten Protagonisten und dienen ebenso als Agathes Behausung. Über allem thront wachend ein Geier – als weiteres Zeichen des Bösen. Während der Kugelgießszene erhebt sich die Felsenebene und eine Unterwelt, durchzogen mit monströsen Wurzeln, wird freigelegt.
Doch auch unter Berücksichtigung dieser optischen Verzückung (was nicht für die Kostüme von Agathe – matronenhaft – und Max – im Hochwasserlook – gilt) sowie der nie langweilig werdenden musikalischen Zusammenstellung stellt sich mir die Frage, was hat Dominique Horwitz mit seiner Collage erreicht?
Sicherlich sind Verfremdung, Umdeutung und das Zerschneiden sowie Zusammenfügen Methoden einer Interpetion. Aber müssen diese Mittel nicht dazu eingesetzt werden, die dem Werk inne wohnende Botschaft, dessen Idee freizulegen?
Entsprechend den bereits vor der Premiere erschienen Interviews war das Anliegen des Regisseurs, die beiden Hauptprotagonisten mehr ins Zentrum des Geschehens zu rücken, um insbesondere die Beweggründe ihres Handelns nachvollziehbar darzustellen. Misst man die vorliegende Interpretion an diesem – dem Regisseur sich selbst auferlegten – Maßstab kann aus meiner Sicht nur das Scheitern konstatiert werden.
Wer ist Agathe? Was beschäftigt sie in ihrem Inneren? Woher rührt ihre musikalisch so bezaubernd komponierte Sorge um Max? All diese Fragen bleiben szenisch unbeantwortet. Horwitz zeichnet mit seiner Agathe ein eher stereotypes – in jedem Fall rückwärts gewandtes – Frauenbild. Äußerlich hilfsbereit, wenn Agathe dem Eremiten Essen bringt, aber auch einpeitschend und dominierend im Verhältnis zu Max. Agathe verhält sich fast hysterisch, als er ihr zunächst mitteilt, noch nicht am Probeschuss teilgenommen zu haben. Horwitz Agathe erscheint ferner flatterhaft. Es ist ein Leichtes für Ännchen, Agathes erotische Ambitionen – nicht nur zu Max – freizulegen. Durch den Gesang Ännchens angestachelt rafft Agathe ihr Kleid und streichelt sich fast lüstern über ihren Schoß. Im Moment ihres körperlichen Begehrens (zu wem auch immer?) verfällt Agathe unwiederbringlich dem Dunklen.
Auch die Figur des Max bleibt letztendlich ohne wirkliche Konturen. Horwitz inszeniert lediglich die äußeren Umstände. Nicht nur die Gnomen ziehen ihren Kreis immer enger, auch Agathe treibt ihren Max in die Fänge des Kaspar. Was aber beschäftigt ihn? Warum bricht er nicht aus? Liebt er Agathe? Auch hier fehlen mir szenische Antworten. In diesem Zusammenhang hätte ich mir gerade von einem so erfahrenem Schauspieler, wie Dominique Horwirtz, eine individualisierte Personenregie gewünscht. Zu oft muss die Figur des Max hin und her rennen oder am Bühnenrand verharren.
Die Schwäche der Interpretation liegt aus meiner Sicht vorallem darin, dass Horwitz seine Arbeit wohl eher vom Text aus angeht, ohne die Musik dabei einzubeziehen. Dieser Widerspruch wird insbesondere bei der Darstellung des Ännchens deutlich. Weber hat eine aufrichtige, ehrliche und treue Frauenfigur geschaffen, die Agathe als beste Freundin zur Seite steht. Die musikalische Botschaft Ännchens an Agathe ist klar und deutlich formuliert: “Agathe sorge dich nicht, du bist jung, vergiss nicht den Moment zu genießen“ Hierin liegt nichts Doppelbödiges. Dem entgegnen ist das Horwitzsche Ännchen eine Gnomenfigur, die sich nur durch das Lila ihres Kleides von den anderen Personen abhebt. Sie lenkt und verführt Agathe zum Bösen. Dieser Ansatz ist musikalisch jedoch nicht einmal im Ansatz fühlbar.
Auch in der Wolfsschluchtszene vertraut Horwitz nicht der Partitur. Die Dunkelheit, das Grauen – das schafft bereits Weber ganz allein, ohne dass es irgend einer Hilfe bedarf. Die hier einsetzenden Bonga-Bonga-Rhythmen überlagern und zerstören die der Musik immanenten Wirkung – auch wenn hierdurch unweigerlich ein gewisser Unterhaltungseffekt erzielt wird, insbesondere wenn Max mit seinen Hüften subtil wippend feststellt, dass sich das Böse gar nicht so schlecht an fühlt.
Insgesamt gewinne ich den Eindruck, dass Dominique Horwitz die eigentliche Botschaft des Stückes dem Entertainment opfert. Weber beschreibt in seiner musikalischen Vorlage nicht nur den Konflikt zwischen Gut und Böse, sondern löst diesen auch zugunsten des Guten auf. Die Liebe füreinander, Ehrlichkeit und das zu seinen Fehlern stehen weisen den richtigen Weg. Diese romantisch verklärte – vielleicht durch Weber zu pauschaliert formulierte – aber doch sehr humanistische Aussage, ist nach wie vor wertvoll. Der Abend selbst trägt diese und auch keine andere Botschaft ins Publikum. Agathe und Max werden unwiederbringlich Teil der bösen Masse – während Kaspar in Abwandlung an den Originaltext “Triumph, die Rache gelang“ ins Publikum schleudert.
In musikalischer Hinsicht ist der Abend anständig. Der von Andreas Ketelhut präparierte Chor singt ordentlich, wobei besonders die Frauenpassagen überzeugen. Im Gegensatz zu den Männern klingen die Damen des Opernchores fokussierter und erzeugen stellenweise einen sehr einnehmenden und berührenden Klang.
Das unter der Leitung von Walter E. Gugerbauer stehende Orchester wirkt auf mich stellenweise etwas fahl und kleinteilig. Ein raumeinnehmendes mich überströmendes Klangkörpergefühl stellt sich bei mir am Premierenabend nicht ein. Wobei dieser Umstand auch der musikalischen Collage Horwitz geschuldet sein mag, die den Beteiligeten nur wenig Zeit lässt, einen gemeinsamen Klang zu entwickeln.
Ein ganz wunderbarer Max ist Andreas Schager. Sein dunkel, fast erdig timbrierter Tenor kommt ohne “Kraftstrotzerei“ aus und integriert sich damit vortrefflich in die Inszenierung, da ihm durch seine vokale Darstellung der Weg zum Bösen vorgezeichnet zu sein schein.
Die Partie der Agathe war bei dem ehemaligen Ensemblemitglied Kelly God in guten – wenn auch nicht in den aller besten – Händen. Sie sang ihre Partie getragen-innig und damit ganz im Sinne des Komponisten, wobei ihr bei ihrem ersten Auftritt der Ton zweimal für einen kurzen aber kaum wahrnehmbaren Moment wegbrach und ihre Stimme in der Höhe in den lauten Solopassagen eine Nuance zu schrill erklang.
Der als indisponiert angekündigte Albert Pesendorfer meisterte den Abend als Kaspar hervorragend. Glaubhaft führte sein dunkel und voluminös klingender Bass Max und Agathe in den Abgrund.
Daniela Gerstenmeyer als Ännchen verfügt nicht nur über einen ausgewogenen, vollmundigen und weich klingenden Sopran, besonders hervorzuheben ist ihre schauspielerische und sprachliche Umsetzung der Partie. Ihr Sprechen ist ausdrucksvoll, deutlich und natürlich zugleich. Gern hätte ich sie an diesem Abend als die treue Freundin der Agathe sowie in der „Kettenhund“-Arie erlebt.
Mit der sprachlichen Umsetzung hatte hingegen Vazgen Ghazaryan als Eremit so seine Probleme. Auch die kleine Partie des Kilian war nicht ideal besetzt. Jörg Rathman war im Rang des Hauses sehr schlecht zu hören, so dass die Häme und Schadenfreude über das Versagen Max nicht transportiert werden konnte.
Am Ende der Aufführung verbleibt bei mir, wie auch beim Publikum, ein zwiespältiges Gefühl (viel Jubel aber auch deutlich vernehmbare Buhrufe für die Inszenierung). Einerseits habe ich mich amüsiert, anderseits gehe ich ohne jede echte Berührung und etwas ratlos nach Hause. Aber im Sinne Webers glaube ich hoffnungsvoll daran, dass sowohl Agathe als auch Max genesen und sich befreien werden – denn das Gute siegt!
Tom Karl Soller
Musikalische Leitung: Walter E. Gugerbauer
Inszenierung: Dominique Horwitz
Ausstattung: Hank Irwin Kittel
Einstudierung Chor: Andreas Ketelhut
Dramaturgie: Dr. Berthold Warnecke
Premierenbesetzung:
Florian Götz (Ottokar)
Dario Süß (Kuno)
Kelly God (Agathe)
Daniela Gerstenmeyer (Ännchen)
Albert Pesendorfer (Kaspar)
Andreas Schager (Max)
Vazgen Ghazaryan (Ein Eremit)
Jörg Rathmann (Kilian)
Nicole Enßle, Antje Koark, Corina Krücken, Sylvia Wiryadi (Vier Brautjungfern)